8.Sonntag nach Trinitatis, 21.07.2024, Stadtkirche, Epheser 5,8b-14, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 8.n.Trin. – 21.VII.2024                                                                                                       

                 Epheser 5, 8b - 14

Liebe Gemeinde!

Zwei Wochen des Predigtenthusiasmus liegen hinter uns: Der 6. und 7. Sonntag n. Trin., die die beiden Sakramente in den Mittelpunkt rücken, sind Anlass gewesen, über den Ursprung und die bleibende Kraftquelle des christlichen Lebens nachzudenken.

Taufe und Abendmahl, unsere einmalige und unsere kontinuierliche Christusverbindung begegneten uns in der Gestalt des Kämmerers aus Äthiopien und des Manna in der Wüste in ihrer jeweiligen Frühform: Ganz unvermittelt nämlich in die Wirklichkeit Jesu Christi einzutauchen und dann in einem Strom, der seit Jahrtausenden nicht abreißt, täglich die Wirkung der Gegenwart Gottes auf unser Dasein zu empfangen.

In diesen beiden Vorbildern ist das Glück des Glaubens unmittelbar anschaulich geworden:

Der fröhliche Wanderer auf irdischen Wegen, die himmlische Nahrung im zeitlichen Alltag. Zusammen hatten die beiden vergangenen Sonntage geradezu eindringlichen Sinnbildcharakter. … So sehr, dass es sich fast aufdringlich anfühlte, so enthusiastisch darüber zu predigen.

Denn als so befreiend und stärkend, als so wunderbar und so notwendig nehmen wir die wirksamen Zeichen des Glaubens ja eher selten wahr. Privatisierung und Banalisierung haben uns viel von der ungefilterten, der rohen, elementaren Kraft des Mit-Christus-Sterbens-und-Auferstehens und des Von-Seinem-Fleisch-und-Blut-Lebens, des Lebens von Seiner Lebendigkeit und Wirklichkeit genommen.

Evangelischerseits hat es sich eingebürgert, bei den Sakramenten von symbolischen Gedächtnishandlungen, von erinnernden Zeichen zu sprechen, …so wie der Strauß am Hochzeitstag, wie die Anstecknadel beim Jubiläum der Betriebs- oder Vereinszugehörigkeit: Eine Geste, eine Markierung, die etwas rein nachträglich bezeichnen. Dabei sind Taufe und Abendmahl in Wahrheit jedoch - um im Bild zu bleiben - der Ringwechsel bei der Hochzeit und die tägliche Ausstattung mit dem zur Arbeit nötigen Material im Beruf: Beide sind keinesfalls Hinweise, sondern in sich höchst wirkungs- und folgenreiche Vorgänge.

Trotzdem herrscht unter uns vermutlich die Haltung: „Mir geben diese Übungen einer vergangenen Kultur eher nix“.

Pietät und Konvention führen zum Taufbecken und an den Tisch. Bereitschaft zur eigenen Hingabe und zum Empfang des von Gott Hingegebenen dagegen eher weniger.

Obwohl es materiell wie spirituell feststeht, dass Gott denen nahe ist, die nicht als Habende, sondern als Empfangende leben.

Und ebenso sicher ist, dass nur Menschen, die sich selbst nicht als Ursprung, sondern als Folge betrachten, die Möglichkeit haben, die Seligkeit zu erlangen, denn das Glück, das ich mir selbst verdanke, müsste ich mir ja auch in Ewigkeit selbst beschaffen.

„Tu deinen Mund weit auf, lass Mich ihn füllen“: Die fundamentale Zusage Gottes, mit der im Psalm (8111) Exodus und Sinai, Rettung und Bund zusammengefasst werden, ist nichts für die Autonomen, die Schein-Selbständigen, die „Das-Leben-alleine-Bewältiger“, als die wir uns gern sähen.

… „Füttern“, „Abspeisen“, wie Kinder behandeln, … das lassen wir uns ja wohl nicht! ——

Daher ist es weise und gut, dass wir heute nach den beiden Gnadengaben Gottes aus den vergangenen Wochen ein anderes Motiv im Herzen bewegen müssen. Ein Motiv, das unsere, ihre Autonomie vergötzende Welt kennt und teilt: Selbstverwirklichung!    

Das ist, trotz allen Missbrauchs in den emanzipatorischen Egoismen und den individualistischen Entsolidarisierungen der letzten Jahrzehnte kein schmutziges Wort. Auch wenn es im Körper- und Jugendkult, in der hedonistischen Hirnlosigkeit und den zerstörerischen Ersatzbefriedigungen des Konsumismus an den Rand der Unerträglichkeit gebracht worden ist, gilt doch die aus der Antike durch alle Jahrhunderte schallende Ermutigungs-Mahnung: „Werde – oder: lerne -, was du bist“[i] gerade für uns Christen.

Kein anderer als Friedrich Nietzsche[ii], der diese Parole gegen die Realisierung des christlichen Menschenbildes ins Feld führte, wusste aber genau, woher die Zuversicht und die Aufforderung stammten, dass Menschen etwas ausprägen können, das ihnen geradezu unerklärlicherweise eingegeben ist. Nietzsche kannte ja die ungeheuerliche neutestamentliche Ethik von Kindesbeinen an, die allerdings nicht von der reinen Natur, sondern von der gereinigten Natur des Menschen ausgeht und ihn auffordert, wie es der Apostel atemberaubend sagt: „Wandelt als Kinder des Lichts!“          

Wenn uns das nicht so schmeichelte – uns, die wir so gern strahlen, die wir uns so gern als aufgeklärt und erleuchtet, m.a.W. als „Lichtgestalten“ sehen! – … wenn uns das also nicht so schmeichelte, dann würden wir wohl noch viel tiefer Luft holen: Das soll in der Bibel stehen, die doch weiß, wie es nüchtern betrachtet non-paradiesisch in uns aussieht: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1.Mose 8,21)?!

Dass wir in unserm Dasein Früchte des Lichtes verwirklichen können: Das soll ausgerechnet in der Bibel stehen, die vollkommen unsentimental feststellt, dass wir so unwesentlich sind wie ein Schlaf und so unwirksam wie ein Schatten dahergehen (vgl. Ps.90,5 + 37,7) und dass schon unsere Lippen unrein sind (vgl.Jes.6,5), … von unserm Inneren ganz zu schweigen (vgl. Mk.7,15)?! …….

In der Bibel, diesem schnörkellosen Attest der menschlichen Gebrechlichkeit und inneren Fehlstellungen, in der Jesus es ist, der diagnostiziert (Mk.7,21ff): „Von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft. All dies Böse kommt von innen heraus …“ - in diesem Dokument also, das nicht schmeichelt, und von diesem Zeugen, der nicht lügt, findet man aber auch das erstaunliche Gegenmittel gegen die unheilvollen Zustände.

… Denn genauso wie alles Böse keine einfache Entschuldigung durch die Verhältnisse erlaubt – auch wenn das so entlastend schiene –, sondern tatsächlich aus menschlicher Verfinsterung entsteht, genauso kann das Menschliche auch zum Leuchten gebracht werden.

Es gibt nicht nur die innere Quelle der Misere, die uns so trüb in den allermeisten Erscheinungen einer Gegenwart begegnet, in der das Negative und Süchtige und Unbeherrschte und Unersättliche aus uns Menschen entfesselt hervorbricht, sondern es gibt auch die Möglichkeit, dass wir ausstrahlen, wovon wir selber durchlichtet und erleichtert sind. … Das ist das Licht der Welt: Jesus. … Der als die hellste Gestalt des Menschen allen anderen, die Ihn in sich aufnehmen, ebenfalls die Macht gibt, Gottes Kinder zu werden (Joh1,12), ja selber Licht der Welt zu sein (vgl. Matth.5,14).

Es gibt also das Gegenmittel gegen die schwarzen Seiten unserer Realität, … und es ist kein über-, oder unterirdisches Hexenwerk: Es ist schlicht das Entfachen eines unauslöschbaren Lichtes unter den Menschen durch uns Menschen!

Und das soll nun auch in der Bibel stehen? In jenem ungeschönten Buch von des verlorenen Menschen Schlechtigkeit?

– Gewiss!

Das steht nicht nur dort, sondern das entsteht dort. Denn wenn man die Wirklichkeit Gottes kennt, Der als erstes Licht schuf und Der das Zwielicht - teils Phosphor, teils Horror -, das der Mensch alleine hervorbringt, nicht einfach auspusten lässt, … wenn man die begeisternde Nachricht kennt, dass Gott nicht durch Kometeneinschlag, Blitz und Feuer, sondern durch einen Menschen (!) die Verwandlung der sich ausbreitenden Finsternis in das klare Licht Seines Friedens begonnen hat, dann ahnt man, dass die Geschichte des Reiches Gottes eine Geschichte derer ist, die trotz aller Trübung dieser Welt das helle Menschsein, die leuchtende Gottebenbildlichkeit, ja, eine strahlende Gotteskindschaft üben.

Das sind keine Übungen, die überirdische Strahlungen einsetzen, … so wie die allesverwandelnde Gestalt Jesu Christi bis heute gerade nicht durch apokalyptisch-grelle Blitze, sondern durch die Spur des Trostes, des Heilens und Teilens, durch das wärmende Erwecken reinen Vertrauens und das sich ausbreitende Entzünden von Liebe und Dankbarkeit durch die Jahrtausende zieht und es hell macht, wo es ohne Ihn zappenduster bliebe.

Die Frucht des Lichtes dieses Jesus aber, das sind schlicht Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit, die wachsen, wo ein Mensch den anderen ansieht, annimmt und aufnimmt, … wo Einer  Hand und Herz nicht verschließt, wo Einer die ihn gar nicht drückende Last des Anderen wirklich mitträgt und sein Brot und Leben zu teilen beginnt, … und wo darum die tiefen Schatten des Zweifels und die großen Ängste der Schwarzseher der unerschütterlich geduldigen Zuversicht weichen, dass das Weinen den Abend lang währen mag, aber des Morgens doch Freude kommt (vgl. Ps.30,6) und dass die Nacht wahrhaftig vorgedrungen und der Tag nun wohl endlich nahe herbeigekommen ist (vgl. Rö.13,12).

Das sind die Übungen, in denen wir Jesus-Menschen, wir Reflektoren Christi das Licht der Welt ausbreiten und wachsen lassen sollen und dadurch verwirklichen, wer wir sind und wozu wir berufen wurden.   

Diese Übungen der Selbstverwirklichung unserer christlichen Mission sind tatsächlich noch einmal ein anderes Grundmotiv als das reine Empfangen unserer selbst in der Taufe und das reine Empfangen Jesu im Abendmahl, von denen wir in den letzten zwei Wochen sprachen. Sie liegen uns als aktive Lebensäußerungen vielleicht überwiegend näher als die meditative Haltung, die die Sakramente erfordern.

Aber wir müssen schon genau hinhören. Den Christen, die Christin in uns aktiv zu verwirklichen, das ist nicht deshalb die uns angemessenere sportliche Variante der geistlichen Existenz – die weniger Frömmigkeit, weniger Innerlichkeit voraussetzt – , nur weil wir sie eben selber ausüben.

… Gewiss: Unser Christsein zu verwirklichen, setzt in der Tat Willen voraus, denn es verhält sich damit so, wie wir die Wirklichkeit im ersten Satz der Bibel kennenlernen (vgl. 1.Mose1,2f): Finsternis und Nichts sind einfach, …. Licht und alles andere dagegen müssen werden.

Wir müssen es also wirklich wollen: Das Christsein, die Nachfolge, die aufklärende und ausstrahlende Wirkung des Glaubens. Wir müssen sie wollen, um sie üben und aus-prägen, um sie verkörpern und realisieren zu können.

Das ist ein in unsern Ohren seltener Imperativ, denn Evangelisch-Sein heißt – im Wider-spruch zur selbstbewussten, freiheitsbetonenden Wirkungsgeschichte – zunächst ja: Ganz passiv sein, um die fremde Gerechtigkeit[iii], die allein uns rechtfertigen kann, anzunehmen.

Wir müssen das Leben als Kinder des Lichts aber ganz bestimmt wollen!

So aktivisch klar ist die Ethik des Neuen Testaments: Das neue Sein, das dem uns geschenkten neuen Leben entspricht, ist nicht Gabe, sondern Aufgabe, es ist also Herausforderung und Arbeit, es bedeutet Prüfung, wie der Epheserbrief sagt und also auch Irrtum, es bedeutet Fehler und Selbst-Korrektur, es bedeutet eine für uns lebenslange und für die Kirche eine äonenlange Klarheit, Entschiedenheit und Bereitschaft!

Wir müssen der Finsternis klar begegnen wollen; wir müssen der einfachen Grausamkeit derer, die zerstören, mit dem schwierigen Widerstand der Hoffnung, der Geduld und des Einstecken-Könnens gewachsen bleiben; wir müssen Umkehr und Veränderung, die natürlich auch Versuch und Verzicht erfordern, hellauf bejahen! Wir brauchen als Kinder des Lichts also den Trotz, die Phantasie und die Kreativität, die alle brauchen, die jung sind und nicht das alte Verhängnis, sondern den neuen Weg suchen.
So entsteht die Selbstverwirklichung der Christen, die das kommende Reich Gottes und nicht die vergehende Dunkelheit als ihre innere Berufung erfahren.

Das klingt natürlich auch enthusiastisch, jungspundig und halbstark, stürmisch und präpotent - ein bisschen nach Nietzsche eben -, diese Haltung der getrosten Avantgarde, der erfolgsgewissen Vorhut der Welt von morgen.

Und doch ist es ein anderer Enthusiasmus als jener der inneren Ergriffenheit, die Taufe und Abendmahl erwecken: Es ist der Enthusiasmus der Entschlossenheit. Der Enthusiasmus des christlichen Willens zum Guten!

Damit könnte die Predigt jetzt auf dem moralischen Höhepunkt selbstbewusst und backenblähend enden.

…………

 

Wenn ich vergangene Woche nicht eine notwendige, harmlose pastorale Feuertaufe empfangen hätte, die unbedingt dazugehört und mit der die Ethik des Neuen Testaments erst wirklich klar und echt wird:

… Ich bin ins Grab gerutscht.

Es war nur ein offenes Urnengrab, täuschend abgedeckt wie mit festen Brettern, neben jenem Grab, an dem ich die letzten Worte des Geleits zu sprechen hatte. Als ich mich umdrehen wollte, um die Trauergemeinde dabei anzusehen, bin ich auf die Bretter getreten, die keine waren und kann sagen, was außer den Friedhofsmitarbeitern nicht viele behaupten können: Ich habe meine Fußspur in einem Grab hinterlassen dürfen. … Wobei ich natürlich wie ein Maikäfer auf dem Rücken strampeln und zappeln musste, lächerlich unbeholfen mit dem sprichwörtlichen einen Bein in der achtzig Zentimeter tiefen Grube, bis mir einer Arm und Hand entgegenstreckte und zu meiner kleinen, hochwillkommenen Auferstehung beitrug.

Und genau das ist das Bild, das wir beim größten Enthusiasmus, bei der heiligsten und grimmigsten Entschlossenheit, als Kinder des Lichtes zu wandeln, vor Augen haben müssen: … Wir würden gewiss gern, … aber Können vor Lachen! …

Unsere ganze große, gerechte und gewollte Ethik ist letztlich lächerlich, wenn nicht …… ja, wenn da nicht jenes unglaubliche Lied wäre, in dem alle Ethik des Epheserbriefes ausklingt.

Es sind zwei Zeilen, die zu den ältesten, erstaunlichsten, eigensinnigsten Zeilen des Neuen Testaments gehören, von denen wir bis heute nicht wissen, woher Paulus oder die Epheser die Freiheit und die Frechheit nahmen, so zu singen und dann auch noch zu behaupten, das stünde schon in der Bibel.

Es sind die unerhörten, anmaßenden, selbstüberschätzenden, eigentlich schon unverschämt gotteslästerlichen Zeilen: „Wache auf, der du schläfst und stehe auf von den Toten!“

Können wir das denn etwa aus eigenem Entschluss und eigener Kraft? - Natürlich nicht.

Aber können wir denn auch nur Kinder des Lichts sein? Können wir wirklich uneingeschränkt gute Menschen sein? - „Natürlich“ nicht.

… Aber wir können mehr wollen, als wir können.

Und das ist die ganze christliche Ethik: Mehr zu wollen, als wir können und darin dann die Hilfe Christi erfahren!          

„Wache auf, der du schläfst und stehe auf von den Toten,

so wird Christus dich erleuchten!“

Das also ist unsere ganze Selbstverwirklichung:

…….. Christus!

Amen.

 

[i] Der Satz aus Pindars (522-445 v.Chr.) Zweiter Pythischer Ode hat eine Vielfalt von Übersetzungen und Deutungen erfahren, wirkt aber allgemein als pädagogische Maxime, die zur bewussten Ausprägung des eigenen Wesens auffordert, nach.

[ii] Nietzsches letztes Werk „Ecce homo. Wie man wird, was man ist“ arbeitet sich an der berühmten Formel, die auch in seinen früheren Schriften durchaus leitmotivisch vorkommt, intensiv ab.

[iii] Vgl. dazu grundlegend Luthers „sermo de duplici iustitia“ von 1519 (WA 2, S.143 – 152), wo die „iustitia aliena“ – die fremde Gerechtigkeit Jesu Christi – in ihrer rechtfertigenden Wirkung systematisch ausgelegt wird.

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