9.So.n.Tr., 28.07.2024, Mt.13,44-46, Mutterhauskirche, Pfr.i.R. Ulrike Heimann

„In Krisenzeiten auf Schatzsuche gehen“

Liebe Gemeinde,

nein, Jesus ist kein Theologe gewesen und er hat nichts Schriftliches hinterlassen. Er sprach nicht die Gelehrtensprache seiner Zeit, sondern das Aramäisch der kleinen Leute. Die literarischen und philosophischen Werke der antiken Welt kannte er wohl nicht – weder die griechischen noch die römischen. Er hatte weder die Akropolis gesehen noch das Forum Romanum. Seine Welt, das waren die Dörfer und Kleinstädte Galiläas, da kannte er sich aus. Er wusste um das harte Leben der Menschen, um ihren arbeitsreichen und mühevollen Alltag, um ihre Sorgen und Nöte. Und mit ihnen suchte er Kraft und Orientierung im Glauben der Väter und Mütter, wenn er am Sabbat mit ihnen den Gottesdienst in der Synagoge besuchte und die Worte der Thora vernahm. Alle hörten dieselben Worte, aber er verstand sie neu, der Geist Gottes sorgte dafür. Sie gaben seinem Leben eine neue Wendung, Nichts, was war, musste so bleiben. Alles konnte sich ändern, sich wandeln – die Verhältnisse, die Beziehungen zwischen den Menschen. Aber zuerst der einzelne Mensch selbst. Der Wurzelgrund für das Neue – Jesus nannte es das Reich Gottes oder das Reich der Himmel – das war das Herz jedes einzelnen. Er brach auf, um andere an dieser Erfahrung teilnehmen zu lassen. Wie sag ich, was mich erfüllt, so, dass mich meine Mitmenschen verstehen, nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen? Darum ging es ihm. Er entschied sich gegen lange Vorträge und für prägnante Bildergeschichten, Geschichten aus dem Alltag der Menschen in Galiläa, die sie neugierig machen sollten auf mehr – auf ein anderes Leben mitten im Alten, auf neue Erfahrungen mit Gott mitten in dieser Welt und Zeit. Denn das Himmelreich/Reich der Himmel ist kein Reich jenseits dieser Welt, es kommt nicht später, sondern es ist „mitten unter uns“; man kann nicht sagen „hier ist es oder dort ist es“, man kann es nicht dingfest machen, sondern es ist „inwendig in uns“; es ist nicht von dieser Welt, es gehorcht nicht ihren Regeln, aber es ist für diese Welt, es ermuntert zu einem neuen Miteinander und einem neuen Umgang mit der Welt – so wie ihn sich Gott für seine Menschenkinder gedacht hat.

Der Evangelist Matthäus hat das 13.Kapitel – also ziemlich die Mitte seines Evangeliums – den Reich Gottes- oder Himmelreichsgleichnissen gewidmet, ihnen damit den Stellenwert als Herzstück der Verkündigung Jesu eingeräumt. Zwei dieser Gleichnisse – die beiden kürzesten – begegnen uns heute als Predigttext.  

Das Reich der Himmel gleicht einem Schatz, der im Acker vergraben ist: ein Mensch entdeckte ihn und vergrub ihn wieder. Voller Freude ging er los und verkaufte alles, was er hatte. Dann kaufte er diesen Acker. Ebenso gleicht das Reich der Himmel einem Kaufmann: Der war auf der Suche nach schönen Perlen. Er entdeckte eine besonders wertvolle Perle. Da ging er los und verkaufte alles, was er hatte. Dann kaufte er diese Perle.“  

Ganz wichtig, um nicht auf eine falsche Fährte zu kommen, ist der Hinweis, dass Jesus hier nicht das Reich der Himmel mit einem Schatz oder einer Perle vergleicht. Es geht nicht um eine Schatzsuche oder einen Schatzfund wie den von Ali Baba und den 40 Räubern in dem Märchen von Tausend und einer Nacht. Das Reich der Himmel oder das Reich Gottes ist kein Gegenstand, sondern es ist Ereignis. Es geschieht. Und darum braucht es Menschen, die durch ihr Handeln das Himmelreich auf die Erde ziehen, es wirklich werden lassen. Schauen wir, um welches Handeln und Verhalten es in den beiden Gleichnissen geht. Im ersten Gleichnis geht es um einen Zufallsfund. Ein Mensch (das kann ein Mann oder eine Frau sein) ist unterwegs, er kommt vielleicht gerade von zuhause, ist in Gedanken mit seinen Alltagssorgen beschäftigt, stolpert über einen holprigen Acker – und macht den Fund seines Lebens. Was tun? Der Acker gehört ihm nicht. Den Schatz einfach mitzunehmen, das wäre Diebstahl, darauf ruht kein Segen. Er muss den Acker erwerben. Also den Schatz erst wieder verbuddeln, nach Hause eilen, alles Geld zusammenkratzen und den Acker kaufen. Das Reich der Himmel – wir können es erleben mitten auf unserem Weg über den oft holprigen Acker unseres Lebens. Wir können ihm unvorhergesehen begegnen. Es ist da, wo wir uns ansprechen lassen und wo wir unser Herz sprechen lassen und klug und überlegt handeln.  

Das zweite Gleichnis beginnt damit, dass ein Kaufmann gezielt schöne Perlen sucht, mit denen er handelt. Er kauft sie und verkauft sie mit Gewinn weiter. Doch auch hier ist es Zufall: sein Blick fällt auf die eine Perle, sie ist wunderschön und von großem Wert. Um sie zu erwerben, trennt er sich von allen anderen. Eine Entscheidung von nicht unerheblicher Tragweite. Vielleicht hat er sich verspekuliert. Die Schönheit und der Wert liegen im Auge des Betrachters. Aber der Kaufmann handelt, wie es ihm sein Herz – mehr noch als sein kaufmännischer Instinkt – gebietet.

Alles oder nichts – ganz oder gar nicht: darum geht es, wenn man ein Stück vom Himmelreich erleben will. Entschlossen und entschieden zu handeln, wenn es darauf ankommt, sei es, während man nichts ahnend über den Acker seines Lebens stolpert, sei es, während man auf der Suche ist nach dem ganz Großen.  

Jesus ist jedenfalls überzeugt: das Reich der Himmel wartet auf Menschen, die sich entscheiden, den Weisungen Gottes für ihr Leben zu folgen und entschieden handeln – klug und besonnen und risikobereit und mutig ihrem Herzen folgend.

Lassen Sie mich diese beiden Mini-Gleichnisse in unsere Zeit und in unseren Alltag hineinholen mit zwei wahren Geschichten, in denen das Reich der Himmel sich auf unserer Erde / unter den Menschen ereignet hat.  

Die eine Geschichte ereignete sich in einem Dorf im Hochland von Papua-Neuguinea. Die Protagonistin heißt Elisabeth. Sie war von einer Frauenkonferenz in ihr Dorf zurückgekommen und hörte schon von Weitem lautes Wehklagen. Ein junger Mann aus ihrem Dorf war gestorben. Nach Meinung des Dorfes konnte nur Hexerei die Todesursache sein. Einige verdächtige Frauen wurden in eine Hütte gesperrt, befragt und gefoltert, um die Schuldige zu finden und umzubringen. Das ist auch dort nicht erlaubt, aber üblich. Eine der Frauen war Elisabeths Freundin. Verzweifelt hat Elisabeth die ganze Nacht geweint und gebetet. Am Morgen ging sie dann zu den Wachen der Hütte und sagte: „Ich gehe jetzt an euch vorbei und nehme meine Freundin mit. Sie ist Gottes Kind, keine Hexe. Hier geschieht Unrecht und es ist mir egal, was ihr mir antut.“ Mutig hat sie die Türe geöffnet und ihre Freundin mitgenommen. Sie hat alles riskiert! Das Dorf hat das staunend beobachtet. Es ist nichts passiert, niemand wurde verurteilt!  

Die andere Geschichte hat der Zeit-Redakteur Bastian Berbner recherchiert. Sie erzählt, wie eine Begegnung das Leben von Harald und Christa Hermes um 180 Grad ändert: Die Hermes leben vor sich hin in ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, in der sie seit bald 50 Jahren wohnen. Ausländer/Migranten mögen sie nicht, die bringen nur Probleme. Sie fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt, als immer mehr Flüchtlinge in die Reihenhaussiedlung ziehen. Dann zieht auch noch eine Roma-Familie in die Wohnung über ihnen ein. Die Kinder rennen und trampeln, die Hermes müssen ihren Fernseher lauter stellen. Am nächsten Tag tropft Wasser auf ihren Balkon herunter. Wutentbrannt rennt Christa nach oben, stürmt durch die Wohnung auf den Balkon. Auf einer Leine hängt Wäsche, tropfnass. So geht das nicht! Die neue Nachbarin führt Christa ins Badezimmer. Da versteht sie: Die Frau hat die Wäsche in der Wanne gewaschen. Christa erinnert sich an früher; als Kind musste sie auch Wäsche mit der Hand waschen. Sie schaut sich um. Kein Wäscheständer. Auf dem Herd steht eine Erdnuss-Dose, in der die Frau Babynahrung warm gemacht hat. Es scheint kein Geschirr zu geben. Außerdem ist es viel zu warm in der Wohnung für einen sonnigen Apriltag. Christa Hermes deutet fragend auf den Heizkörper, und die Frau erklärt ihr in gebrochenem Deutsch, die Kinder frören nachts in den Betten, sie hätten keine Decken, keine Kissen, nur ihre Pyjamas. „Da wurde es bei mir erst mal heller im Kopf“, erinnert sich Christa Hermes. Den Rest des Tages verbringt sie damit, ihre neuen Nachbarn mit Dingen, die sie nicht mehr braucht, auszustatten: Wäscheständer, Töpfe, Geschirr, Decken, Bettwäsche, eine alte Kaffeemaschine, die noch voll funktionstüchtig war. Bald trinkt sie mit der Frau Kaffee, von der sie jetzt weiß, dass sie Rosi heißt. Schnell sitzt der kleine Milan auf Christas Schoß. Dann kommt ihr Mann Harald dazu und erfährt, dass Robert, der neue Nachbar, in Serbien als Kfz-Mechaniker ausgebildet worden war. Dass sie denselben Beruf haben. Für alle der Beginn einer langen Freundschaft. „Wir können uns das selbst nicht erklären“, sagt Harald. Und Christa sagt: „Dass das Herz so voll Liebe sein kann für fremde Menschen.“ (Bastian Berbner, 180 Grad. Geschichten gegen den Hass, München 2019) Bastian Berbner hält fest: „Innerhalb weniger Wochen waren die „Zigeuner“ zu Menschen geworden, zu Robert, Rosi, Milan, Anastasia, Christina und Monika. Zu den engsten Freunden der Hermes. Die Hermes füllten eine Lücke im Leben „ihrer Serben“, wie sie ihre Nachbarn damals bald nannten. Sie zeigten ihnen Hamburg, erklärten ihnen Deutschland. Und ihre Serben füllten eine Lücke im Leben der Hermes, die gar nicht gewusst hatten, wie sehr sie sich danach sehnten, gebraucht zu werden.“  

Das Reich der Himmel in unseren Alltag einziehen zu lassen, sich zur Liebe anstecken zu lassen, macht froh. Geschichten wie diese geben unserem Glauben Hand und Fuß und zeigen auf, dass wir auch ganz anders können. Gerade die zweite Geschichte kennt viele Parallelgeschichten, die sich in den letzten 10 Jahren auch hier in Kaiserswerth ereignet haben – in Zeiten der Flüchtlingskrise und auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Krisenzeiten sind immer auch Zeiten, die Gelegenheiten bieten, dem Reich der Himmel Raum zu geben und darüber von Herzen froh zu werden. Paradox – aber wahr.
Darum: nutzen wir die Krisen unserer Zeit, und gönnen wir uns himmlische Freude. Amen.    

Alle anzeigen
Cookies auf dieser Website
Um unsere Internetseite optimal für Sie zu gestalten und fortlaufend zu optimieren verwendet diese Website Cookies
Benötigt:
+
Funktional:
+
+