14.So. n. Trin., 01.09.2024, Stadtkirche, Römer 8, 14 - 17, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 14.n.Trin. - 1.IX.2024                                                                                                        

                    Römer 8, 14-17

Liebe Gemeinde!

Weniges ist nach meinem Geschmack dämlicher als die Kanzelgewohnheit, eine Predigt mit der Frage anzufangen: „Liebe Gemeinde! – Kennen Sie das auch?“

Und darum, liebe Gemeinde!, kennen Sie das nicht so gut. Und sind vielleicht umso peinlicher berührt oder belustigt, wenn die Predigt nachher ein zweites Mal anheben und es gleich lauten wird: „Kennen Sie das auch?“ …

Bereiten Sie sich also drauf vor, dass ich Ihnen gleich wie der Kumpel am Tresen oder ein Sokrates im Westentaschenformat jovial in die Rippen stoße, anzüglich zwinkere und eine distanzlose Nähe zwischen Ihnen und mir spiele, die uns die genau gleichen Kenntnisse und Allgemeinplätze, Plattitüden und Einerleiheiten unterstellt, so dass meine Erfahrungen wohl genauso auch die Ihren sein müssten und Ihr Horizont deckungsgleich mit meinem sein wird. Das ist volkstümlich und nahbar und wir können uns dabei unterhaken und schunkeln, da wir das ja alle kennen, was die anderen beschäftigt und bewegt, … und dann sollten wir vielleicht ein rheinisches Liedchen krächzen „Mir sin’ alle kleine Sünderlein“ und dann prosten wir uns zu oder klopfen uns gegenseitig auf die Schultern, weil wir alle prima Kerle sind und dann hatten wir ein Gemeinschaftserlebnis un’ et war schön jewesen. … —

Das kennen Sie auch, oder?

Diese Anbiederung. Dieses schmierige Ranwanzen. Dieses ein wenig hypnotische „Wir-Gefühl“-Erpressen. Diese Illusion, dass wir alle eine große, unterschiedslose Menschenkörper- und Volksmassen-Verbindung sind, in der einer für alle spricht und denkt und alle nicht anders als der eine.

Je weniger es wahr ist, was dann als das allen Bekannte behauptet wird, desto verblüffender funktioniert der „Das kennen Sie doch auch“-Trick. Weil es immer so wirkt, als hätte da einer das Zauberwort getroffen, das alle nun wirklich mitnimmt, ja mitreißt in eine Stimmung, in der sich endlich äußert, was innerlich so lange unausgesprochen blieb. Ehre, Ruhm und Sieg den „Das kennen Sie doch auch“-Fritzen! Sieg und Ruhm und Ehre den Propheten, die es endlich sagen, was wir tatsächlich stumm und unterbewusst genau so kannten! …

Heute wird ein großer Tag für die werden, die das kennen. Für die, die populistisch die Falle stellen, mit der so viele Predigten anfangen: „Ihr kennt das auch, was ich Euch sage.“

… Ausgerechnet heute - am Tag des Kriegsbeginns 1939 - wird es wohl zu einem Massenphänomen der Zustimmung zu Parolen kommen, die behaupten, was alle fühlen und niemand beweisen muss. Und wenn dann die anderen, die politisch Verantwortlichen, die Mehrheit wohl gar, sich nicht die Mühe machen, die echten Schwierigkeiten in echter Diskussion und echtem Abwägen und Lernen und mit echten Entscheidungen zu bewältigen, dann ist es arg. …

 

Und nun kennen Sie mich ja auch, liebe Gemeinde!

Ich stehe hier und möchte etwas sagen. Und möchte es nicht sagen nach Art derer, die unterstellen, dass alle Hörer ihnen Recht geben und damit auf den Leim gehen müssen. Und möchte es doch gleichzeitig sagen in der tiefen, ganz tiefen, ja abgrundtiefen Überzeugung, dass es um etwas geht, das zum Segen und zur Rettung würde, wenn es nur mehr, wenn es nur alle wüssten und wenn viele, … immer mehr es glauben dürften und festhalten könnten, um es dadurch mit ihrem ganzen Leben zu vermehren und also auszuteilen.

Aber wie kann man sagen, was alle kennen sollten, ohne allen vorzuschreiben oder unterzuschieben, dass sie es ganz unzweifelhaft längst doch schon kennen, meinen, wollen und teilen?

……. Versuchen wir’s. – Aber es klappt womöglich nicht. …

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das auch? - Die Welt?

(Da müssen Sie jetzt nicken und über eine so banale Frage lächelnd natürlich die selbstverständliche Antwort der kopfsenkenden Zustimmung geben. _ „Der Spaßvogel! Fragt, ob wir die Welt kennen?! … Wer kennt die denn nicht?“)

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das auch? - Das Leben?  

(Das gleiche Spielchen: Wieder ist es ja klar, dass man da ja wohl nur bestätigen kann, natürlich im Bild zu sein und ganz genau Bescheid zu wissen. … Nett, wie man plötzlich merkt, dass man die wirklich wichtigen Dinge so sattelfest beherrscht!)

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das auch? - Den Sinn?

(Nanu?! Das ist natürlich jetzt ein bisschen happig. Kommt so philosophisch rüber. Aber wer die Welt und das Leben kennt, wird jetzt nicht passen können. Irgendwie ist der Sinn da vermutlich doch inklusive. … Also klar! … Kennen wir auch!)

Nun gut, liebe Gemeinde! Wenn wir das alles kennen - Welt, Leben und Sinn -, dann müssen wir nur noch die Rumpelstilzchen-Frage beantworten, … die Frage, die in Bibel und Märchen und Philosophie und Wissenschaft den Schlüssel zu allem bietet: Die Frage nach dem Begriff für eine Erscheinung oder ein Wesen. Wenn wir den Begriff, den Namen dafür haben, dann kennen wir’s wirklich, dann ist es uns möglich, es einzuordnen und im Einordnen es auch unterzuordnen. – Sag’ mir die Formel, sag’ mir den Nenner für das, was Du kennst und Du bist der Herr, Du bist die Meisterin.

Wie also sagen wir zur Welt, zum Leben, zum Sinn: Zu diesen allervertrautesten essenziellen und existentiellen Phänomenen und Wirklichkeiten, die uns umgeben, ausmachen und erfüllen??

…  – Soll ich anfangen? Ich, der ich mich ein einziges Mal außerhalb des Abendlandes und seines Sonnenstands und seiner Jahreszeitenverteilung, seines Klimas und seiner Geschichte aufgehalten habe? Soll ich sagen, was ich von der Welt weiß? Ich, der zwei Drittel eines einzelnen, winzigen Lebens gelebt hat, … ich soll das Leben nennen, das in milliardenfacher Verästelung und unerschöpflicher Vielfalt immer wieder neu geschaffen und gesegnet wird?

Ich, der ich so beschränkt und unerfahren bin, sollte den Sinn im Allgemeinen auf einen bündigen Begriff bringen?

… – Sie kennen es auch, liebe Gemeinde, was dabei herauskommt: Plötzlich heißt das alles eben nur noch „Ich.

Die Welt, wie ich sie so ein winziges Bisschen erlebt habe, ist ein Stück von mir.

Das Leben, das ich nur bei mir selbst vielleicht ein wenig unterhalb der Oberfläche verstehe, ist darum natürlich ebenfalls eine Funktion meines Ichs.

Und auch der Sinn, den ich suche und verfolge, ist so getränkt und so gefärbt von mir, dass auch er schließlich bloß aussieht und wirkt, wie das, was Ich bin. Der Name für die Welt und das Leben und den Sinn ist leider immer eine Variante des Wörtchens „Ego“. - Oder wenn ich ein ganz harter Hund, ein Theoretiker reiner Abstraktion, ein Wissenschaftler vom Schlag der Alleszermalmer bin, dann kann ich zu dem allen auch sachlich etwas sagen.

Aber weder meine Beschränkung als Subjekt noch die Flucht ins Objektive eröffnen wirkliches Wissen, … jenes biblische Erkennen, das eine Gestalt der Liebe des Anderen, des Annehmens des Fremden, der Verbindung mit dem ist, was ich nicht bin.

Und darum kann alles bei uns eigentlich nur anfangen und schließen mit einer ganz anderen als der populistischen, der nur scheinbar einvernehmlichen, in Wirklichkeit aber nur selbstsüchtigen Frage und Antwort zu dem, was wir vermeintlich alle kennen und teilen. ———

 

Bei uns kann’s nur heißen:

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das von selber auch nicht? – Dass man zur Welt einfach „Mutter“ sagt?! …

Kennen Sie das auch nicht, dass man das Leben und alle Lebendigen ehrlich „Schwester“ nennt oder „Bruder“?! …

Kennen Sie das auch nicht, dass man zum Sinn der Welt und des Lebens ein unerschütterliches Vertrauensverhältnis hat wie zu einem zwar fernen Nächsten, einem Kind oder sonstigem Angehörigen, mit denen die Verbindung untrennbar und jenseits jeden Zweifels ist, auch wenn die jeweilige Gegenwart nicht zusammenfällt?! …

… Kennen Sie das auch nicht?

… Kennst Du das auch nicht?

– Dann ist der Brief an die Römer eine Nachricht an Dich! Dann ist die Botschaft des Evangeliums eine Neuentdeckung, die Dein Leben vollkommen verändern und heilen kann. Dann ist das Geschenk des Heiligen Geistes das, was Dir in dieser Welt, in diesem Leben an Sinn und Glück fehlt.

Das alles ist nämlich nichts anderes, als die Gabe, die Vielen so verächtlich vorkommt: Die Gabe, ein Kind Gottes sein zu dürfen.

Von dieser allereinfachsten Gabe spricht ausgerechnet das anspruchsvolle, hochgeistige, tiefsinnige Doppelkapitel Römer 7 und 8, in dem die Verloren- und Verlassenheit des Menschen, seine ganze egoistische Selbstbezogenheit und seine atemberaubende Befreiung und Erneuerung durch den schöpferischen Geist Gottes beklagt und besungen wird.

Dass wir so an uns selber gefesselt sind, dass alles nur wie ein verzerrtes Echo und ein ewig weitergehendes, verkehrtes, immer verkleinerteres Spiegelbild unserer selbst wirkt und wir nichts finden, das sinnvoller, lebendiger und größer wäre als unser Ego: Das ist der Horror. Und dass es in Wahrheit ein Ur- und Weltvertrauen, eine dankbare Zuversicht in das Leben, eine immer wieder ins Sorglose spielende, kindliche Unbelastetheit gibt, in der wir den herrlichen Psalm dieses Sonntags (Ps.103) jubeln können: Das ist das Wunder über alle Wunder, das der Glaube bedeutet, durch den wir das einfache Wort lernen, mit dem unser Beten anfängt und das auch Du kennst, liebe Gemeinde:

„Abba“: Semitische und auch indogermanische Wurzel des klaren Gefühls des Nicht-Allein-Seins, des Dazu-Gehörens, einer dankbaren Selbständigkeit und gleichzeitigen Sich-Verlassen-Dürfens.

„Vater“ zu sagen – oder welches Wort solche Nähe und Treue und Freiheit und Sicherheit am besten ausdrückt – „Vater“ zu sagen, ist kein Rückfall, keine kindliche Unreife, keine blödsinnige Babyhaftigkeit.

Das „Abba“, mit dem alle Gebete, die Dank- und Vertrauens-, genauso wie die Klagegebete Jesu beginnen (vgl. z.B. Matth.11,25; Joh.17,1; Joh,12,27)), … das „Abba“, das er noch in Gethsemane, in der Krise seiner Anfechtung ruft (vgl. Mk.14,36!), … das „Abba“, das am Kreuz erklang und aus dem Tod schon die Heimkehr zum Vater machte (vgl. Lk.23,46), … das „Abba“, das bereits Jesaja, der Prophet der Verlorenen betete (vgl. Jes.63,16) und das in der Synagoge an den hochfeierlichen Tagen zwischen Neujahr und dem Versöhnungstag in der Litanei „Avinu, Malkeinu“: „Unser Vater und unser König“ unendlich ergreifend gesungen wird, … das „Abba“, das Jesus aus diesem Gebet der ersten und der letzten Tage zum Gebet an allen Tagen aller Menschen überall erhob, indem er es uns lehrte und gleich wieder mit uns spricht, … das „Abba“, das dem Paulus eine solche Offenbarung der Gemeinschaft mit dem eingeborenen Sohn Gottes bedeutete, dass er es unmittelbar in der Sprache des Sohnes und des Heiligen Geistes in die Muttersprachen aller Christen pfingstlich einfließen ließ (vgl. Gal.4,6), … dieses „Abba“, das wir rufen und spüren, das wir im Vaterunser beten und im stummen Schrei der Seele tröstend brennen gewahren, … dieses „Abba“, das Paul Gerhardt und unser Düsseldorfer Crasselius uns auch im Singen auf die Zunge legen (EG 328,4 & 351,7), ………… dieses „Abba, lieber Vater“ das ist die Freiheit und die Wahrheit, die Angstlosigkeit und die Kraftquelle unserer Gotteskindschaft.

Es macht uns nicht unmündig, sondern im Gegenteil.

Es eröffnet uns die ganze Wirklichkeit, die wir sonst nicht kennen: Dass die Welt nicht nur mein enger Ausschnitt davon ist, sondern ein unendliches Erbe, das allen Kindern und Ge-schöpfen Gottes gehört, … und dass mein Ich nicht das Leben bedeutet, sondern dass mir und allen anderen von meinem Vater, von unserm Vater das Leben geschenkt und erhalten wird in einer Fülle und Herrlichkeit, die einfach unermesslich sind, … und dass es deshalb an keiner Stelle nur auf meinen Sinn und Verstand, nur auf unsere schwachen Kräfte oder reichlichen Katastrophen ankommt, sondern dass der Wille unseres Vaters im Himmel und Sein Reich die Garantie und die Verheißung dafür sind, dass keins Seiner Kinder verderben, sondern an ihnen allen Sein Vater-Name geheiligt werden soll.

Wer „Abba, lieber Vater“ zu Gott sagen darf und kann, … wer diesen Namen voller Urvertrauen, dieses „Du“ der  ursprünglichen Zuversicht auf Liebe vor allen Missverständnissen und Konflikten sagen, singen und beten kann, … wer auf diese Weise sich eingebunden findet in eine Welt, die so ganz anders ist als die, die wir kennen – voll Messerstechens und Fremde-Hassens und Kriegsgeheul, voller Gewaltspiralen, Selbstsucht und Todestrieb – wer auf diese Weise sich eingebunden findet in eine familiäre Hoffnung und Liebe, die allen gelten, die mit uns in der Welt leben und nach dem Anfang auch das Ziel suchen, … wer als Kind Gottes also im Glauben daran leben und sterben darf, dass der Vater nicht nur den Sohn, sondern uns alle verherrlichen und in Sein Reich des Friedens bringen wird, … wer so im Geist der Kindschaft fröhlichen rufen, singen und bekennen kann, dass unvergesslich ist, was der HERR Gutes an uns getan hat (vgl. Ps.103,2) ….. wer das alles kann und darf und wagt und will und gar nicht lassen mag: Kennen Sie den auch, liebe Gemeinde? …

… Wenn nicht, … dann ist es umso besser.

Denn dann wirst Du es kennenlernen:

Das bist nämlich Du, wie Gott Dich will und wie Er Dich erwählt hat und vollenden wird.

Lobe den HERRN, meine Seele!

Amen.    

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