16.Sonntag nach Trinitatis, 15.09.2024, Stadtkirche, Psalm 16, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 15.IX.2024 - 16.n.Trin.                                                                                                       

                         Psalm 16

Liebe Gemeinde!

So wie heute gepredigt werden müsste, kann ein Mensch nicht predigen.

Denn der Psalm, den wir eben gesungen haben und den wir heute nicht nur be-, sondern von ganzem Herzen und von ganzer Seele und mit allen unseren Kräften ergreifen sollten, wenn wir den Weg zum Leben suchen … dieser Psalm ist tatsächlich das Herzstück der allerersten christlichen Predigt auf Erden gewesen. Und damals sprach aus Petrus, dem galiläischen Nicht-Rhetoriker Der ihn und die anderen Jünger und die vielsprachige Festversammlung von Jerusalem erfüllende Heilige Geist selbst (vgl. Apg.2,25ff).

Darum bittet, Brüder und Schwestern, dass Ihr heute nicht mich hören müsst! … Sondern die Botschaft der ersten Pfingstpredigt, die die Krönung aller Predigten ist und bleibt.

In dieser Premierenpredigt wird die Weissagung des Propheten Joel, dass Gottes Geist die Erfüllung der Sehnsucht und Hoffnung aller Menschen befeuern werde, als Gegenwart verkündet, … als die global grenzenlose Gegenwart, in deren Mitte Psalm 16 wahr geworden ist.

Um die Welt und die Menschheit zu verstehen, müssen wir also in diesen Psalm eindringen, sagt uns der erste aller unwahrscheinlichen Zeugen, aller überraschten Lehrer, aller unvermuteten Tröster und hilflosen Wegweiser der Kirche.

Doch warum ausgerechnet in diesen Psalm?

… Psalm ist das Vertrauenslied eines Einzelnen. Eines Menschen, der sein individuelles Leben und sein eigenständiges Glaubensbekenntnis, seinen persönlichen Dienst und Lohn und seine totale Zukunft konzentriert in den Fokus nimmt. Es ist also ein ziemliches Ich-Lied …, dafür, dass es mit der Antwort auf die gesamte Erwartung der Menschheit in Verbindung gebracht wird. … Die ganz breiten, kollektiven, geschichtlichen Anliegen und Bedürfnisse des Mängelwesens und Massentieres Mensch kommen darin zunächst nicht wirklich vor: Das materielle Verlangen des Einzelnen und die Interessen-Konflikte der Vielen, … des Menschen Triebe und Not und Genuss ihrer Befriedigung, … die weltlichen Angsterfahrungen und das einzigartige Potential des vernunftbegabten Geschöpfs mit dem aufrechten Gang und der ungeschützten Haut … alles das fehlt.

Stattdessen betet hier einer, der für sich das vollkommene Glück einfach bei seinem Gott findet und sich daher bewusst trennt von allen, die auf andere Glücksversprechen und Opfer setzen.

In diesem Gebet ist also trotz - oder vielleicht gerade wegen - des genügsamen, innigen Tones von vornherein auch etwas Ausschließliches zu hören.

… Etwas, das niemand gern hört. Die allermeisten Menschen sind vom „Stamme Nimm“, wie das Eichhörnchen. Es juckt sie, immer mehr zu haben: „Hier noch und da noch, dies noch und das da auch. Ob man’s nun braucht, ob es nützt und hält oder ob es sich nur ansammelt und vergammelt: Hauptsache, es gibt auch Nebensächliches! Wichtig, dass man das Überflüssige hat! Zentral, dass möglichst viel Drumherum erscheint!“

Hätten wir nur das Nötige und nicht auch die Qual der Wahl des vielen Unnötigen, würden die meisten von uns nicht ruhen können.

Der Zwang, den uns das Mehren-Müssen auferlegt, ist eine schreckliche Sklaverei.

Und darum beginnt die Freiheit mit der Beschränkung aufs Ausschließliche: Nur Einer ist, nur Ich allein - spricht der HERR - bin Dein Gott (vgl. 2.Mose20,2f). Nichts sonst und kein anderer ist nötig.

Diese geradezu bescheidene Reduktion, dieses Vorliebnehmen mit dem Einzelnen, dem der Verzicht auf beliebige Fülle entspricht, ist ein Grundgeheimnis des biblischen Glaubens. Während alle anderen elementaren Funktionen des Daseins sich in unabsehbarer Variation und Abwechslung, in ständiger Neugier und grenzenlosem Erfindungsreichtum ausprägen, ist der Glaube die eine Vitalfunktion, die nicht durch Erweiterung des Erfahrungsschatzes, sondern durch Konzentration vertieft wird.

Je genügsamer, je gebündelter die Glaubensbindung sich also auf den Einen richtet, desto weiter und größer wird das Glück, das sie auslöst und dauerhaft schenkt.

Das ist die Grundbotschaft des Zentralpsalms, den Petrus an Pfingsten den Menschen aus allen Himmels- und Denkrichtungen, aus allen Sprachen und Hintergründen in der Mitte Jerusalems gepredigt hat.

Die Heiligen, die auf Erden sind, die nicht allem Möglichen nachlaufen, sondern im Zentrum gründen, die können dort im ganz Begrenzten das alles Umfassende, ja Übertreffende finden.

Und genau davon spricht der 16.Psalm in unscheinbaren, aber wahrhaftig grundlegenden Worten. Der ursprüngliche Beter, der in Gott sein Gut und Teil, sein liebliches Landlos und schönes Erbe findet, wird wohl ein Levit, ein Mitglied des dem Gottesdienst geweihten Stammes Levi gewesen sein: Des Einzigen unter den 12 Stämmen Israels, dem kein eigenes Gebiet im gelobten Land zugelost wurde, weil seine Mitglieder ohne Besitz an Grund und Boden von ihrem Einsatz für das Heilige im Namen aller leben sollten. … Der, dem nichts gehört, besingt hier also, dass Gott ihm alles bedeutet. … Der Mensch ohne Habe ist der Mensch des vollkommensten Heimisch-Seins im Bleibenden.

Und dieses Zugehören ist ihm so umfassend, dass er es bei Tag und Nacht, bewusstlos schlafend, aber auch mit allen wachen Sinnen als unüberbietbaren Inhalt seines Lebens empfindet. In der Dunkelheit spülen seine „Nieren“ - so heißt es wörtlich (V.7) - ihm den Segen, in dem er existiert, durch alle seine Bahnen. Und in der Klarheit seiner wieder und wieder bejahten Entscheidung schwört er Gott - auch das wiederum wörtlich -, dass Der ihm das Gegenüber (V.8) ist, als das die ersten Menschen einander in Entsprechung und Liebe zugesellt wurden.

Gott ist mein Zuhause, und ganz und gar bezogen auf Ihn bin ich vollkommen im Reinen: Das ist die dankbare, durch und durch tragende Grundbotschaft des herrlichen Glaubensbekenntnisses aus dem Gebetbuch Israels, mit dem der Heilige Geist alle christliche Predigt begonnen hat. ——

Kein Wunder, dass wir stutzen.

So schlicht kann ein Mensch im 21.Jahrhundert doch nun wirklich nicht predigen. … Denn wir wissen einfach mehr: Der Baum der Erkenntnis ist unser Schicksal. Gut und Böse und alle Zwischenstufen davon, allen Eintopf daraus kennen wir genau. Das Leben ist vielseitiger, der Mensch ist differenzierter, die Realität ist verwickelter, als dass solche einfachen Einheitsmittel uns helfen könnten. Einfältig nur den einen Gott und einzig die Bindung an Ihn zu predigen, das mag in der Antike einleuchtend und einheitsstiftend gewesen sein, aber wir in unserer unverwechselbaren und unvereinbaren Vielfalt sind von solchem unterschiedslosen Monotheismus nicht mehr zu erreichen. Wir stehen vor der Unendlichkeit der Varianten, der Geschmäcker und Ansprüche. Uns in der Komplexität und Komplikation von hier und heute kann keine Urpredigt endgültige Botschaft sein. Wir wissen mehr und darum brauchen wir mehr …..

Mehr?

… Mehr als die beiden Grundpfeiler, die den Psalm erfüllen, den Psalmisten tragen und bei Petrus die pfingstlich-globale Gemeinde gründen? … Mehr bräuchten wir, als diese Zufriedenheit und jenes Vertrauen, die der 16.Psalm atmet? …

Hand aufs Herz: Kennen wir denn überhaupt diesen Frieden? Diesen Frieden, den Gott gibt und der höher ist als alle unsere Vernunft (vgl. Phil.4,7)  und stärker als alle unsere Götzen, sogar das geliebte Selbst, auf das wir so krampfhaft und verzweifelt ständig zu vertrauen beteuern? … Kennen wir dieses unbesorgte geistige und geistliche Heimatgefühl, das uns eine Sicherheit verleiht, die wir tagaus, tagein suchen und doch in keinem Augenblick wirklich beruhigt behaupten können?Ahnen wir überhaupt noch, wie das sein muss, zu spüren, dass nichts fehlt: An uns, für uns und von uns? Dass wir „ganz“ sind, die wir doch immer nur raumzeitlich entkoppelt, seelisch überfordert, mental zerstreut, leistungstechnisch aufgeladen, emotional unterernährt und als Menschen vor lauter Entwicklungen, Erkrankungen und süchtigem Suchen Fragmente sind? Würden wir sagen können: „Das da, … Der da ist alles, was ich zum Glück brauche: Ich weiß von keinem andern Gut“!?

Würden wir still-vergnügt oder öffentlich froh bekennen: „Lieblich ist mein Los“?!

Würden wir mit reinem Gewissen das tief strömende und schwingende Mantra sprechen können: „Mein Herz freut sich und meine Seele ist fröhlich und auch mein Leib ist sich sicher“?!

Leben wir in solcher Zufriedenheit, ruhen wir in solchem Vertrauen?

– Wenn nicht: Müssten wir nicht sie alleine suchen und nichts weiter?!

– Wenn Ja: Was um alles in der Welt wollen wir mehr? ——

Mehr als dieser Psalm umschließt, ist eigentlich nicht vorstellbar. In ihm herrscht die Harmonie, die uns mangelt; er baut auf einem Gleichgewicht, das wir verloren haben.

Wie durch das erste, befremdlich genügsame Lied aus der letzten großen Krisenzeit des Glaubens, mit dem wir heute begonnen haben, fließt durch Psalm 16 das stark wie Herzton und Puls alles im Schwang haltende Lob auf Gottes abgrundtiefe Liebe, … eine Lob- und Lebenskraft, die alles durchdringt und erfüllt, „bis unser Mund im Tode schweigt“ (EG 681,4). ————

                           Doch zum tragenden Grund, zum Grund, der tatsächlich auch jeden Abgrund umfängt, wird dieser Psalm in seinen letzten Versen.

Bis hierhin hören wir in ihm den David der Überschrift oder einen ihn ursprünglich betenden Leviten oder die Glaubensgemeinde der das Exil überlebenden Juden in ihrer bescheidenen, aber unzerstörbaren Bindung an Gott, Der Heimat, ist oder wir hören Petrus, den Erzzeugen des Messias oder die plötzlich wie Frühlingsblumen aufgeblühte Schar der Geretteten aus aller Welt, die der Heilige Geist an Pfingsten durchdrang.

Bis hierhin hören wir also, wie das menschliche Leben in der unendlich einfachen und einfach unendlich wirksamen Bindung an Gott sein kann: Gewiss. Und gehalten. ——  

Doch dann hören wir – obwohl wir tatsächlich bescheiden sein wollen und uns wahrhaftig zufrieden und überzufrieden mit der Gnade des Gottes-Glücks begnügen könnten und wirklich nicht mehr zu verlangen hätten –, … doch dann hören wir am Ende dieses Gebets glückenden Lebens jenseits allen Erfolgs, allen Habens, aller Ansprüche und Verwicklungen eine Botschaft, die tatsächlich Anfang und Ziel, Urquell und Vollendung aller Predigt und aller sonstiger Gaben des Heiligen Geistes ist!

… Davon kann ein Mensch aber nun wirklich nicht predigen, ohne getrieben von Gier oder gequält von Projektionen und Träumen zu wirken. Wäre das, was jetzt folgt, nur die Sprache unserer Wünsche oder einer symbolischen Verschlüsselung dessen, was unsereins sich immer noch mehr vorstellen und beanspruchen kann, dann wäre es so unerhört wie unwert zu hören.

Doch es ist die Sprache einer so vollständigen Ausrichtung auf Gottes Frieden, auf den Frieden, Der Gott ist, dass sie alle Zufriedenheit übertrifft wie etwas Ewiges die Zeit; es ist die Sprache eines Gottvertrauens, das mehr ist als das Vertrauen auf Gott, … Ver-trauen in Gott nämlich. Und dieser Friede, Der Gott ist, dieses Vertrauen, das in Gott herrscht: Die sprechen das aus, was mehr ist als alles, was wir behaupten, beschreiben oder auch nur hoffen und wünschen könnten.

Schon um uns wirklich das Unerhörte wünschen, … um wirklich mehr als nur das Gewohnte träumen, … um wirklich also hoffen zu können – das sagt uns die Pfingstpredigt des Petrus doch –, brauchen wir Menschen - die kein Genügen und keine Zuversicht kennen - tatsächlich schon den Heiligen Geist.
Und in Psalm 16 spricht dieser Geist Gottes ein Vertrauen aus, betet dieser Geist Gottes aus einer Gewissheit heraus, die nur in Gott gründen können: Es ist die innergöttliche Gewissheit, es ist das Jesus-Vertrauen, dass der Mensch Gottes nicht dem Tod gehört.

Und darum hören wir heute, was die Vielvölker-Schar am Wochenfest, am Pfingsttag in Jerusalem hörte: Dass in Psalm 16 der Heilige Geist das unendliche Vertrauen aus-spricht, das sich im Erleiden und in der Erhöhung des gekreuzigten Jesus Christus erfüllt hat. „Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe“

In diesem Bekenntnissatz der letzten Gottesgewissheit über das Sterben hinaus, fängt alle Predigt an, die in Jesu Namen geschieht und vollendet sich das alttestamentliche Evangelium vom unauflöslichen Bund, den Gott mit Seinen Menschen – in Israel und in Christus – geschlossen hat.

Darum ist diese Predigt die einzige, die es gibt und die nie überboten werden kann.

Weil sie die größte Einfachheit in der größten Weite ausspricht: Dass Gott denen, die auf Ihn vertrauen, Leben und Frieden über den Tod hinaus und jenseits des Todes schenkt.
Das ist in Jesus Christus wahr geworden.

So wahr, wie Gottes Geist und Sohn im Psalm und am Kreuz diese Gewissheit verwirklicht haben.

So wahr wie Petrus sie in der Kraft des Heiligen Geistes am ersten Tag der weltweiten Gemeinde des Auferweckten bezeugt hat.

So wahr wie diese Botschaft uns heute, am ersten Tag der Woche im selben Geist und mit den selben Worten begegnet ist.

So wahr wie wir alle darum sprechen sollen und dürfen:
„Herr, Du tust mir kund den Weg zum Leben,

vor Dir ist Freude die Fülle und Wonne zu Deiner Rechten ewiglich.“

So wahr uns Gott allen dazu durch Christus Jesus, Der Selber die Auferstehung und das Leben ist (vgl. Joh.11,25) , helfe!

Amen.

… Das werde wahr!

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