1.Christtag, 25.12.2024, Stadtkirche, Johannes 1, 1-5.9-14, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 1.Christtag 2024                                                                                                                 

                Johannes 1,1-5.9-14

Liebe Gemeinde!

Dass der Prolog, also das ouvertürenartige Vor-Wort des Johannesevangeliums einer der größten Texte der Menschheit ist, bleibt bei aller Vertrautheit und allem Abstand spürbar auch noch heute. Und dass sich im ersten Satz dieser weihnachtlichen Meditation über sein Mysterium gleich drei hochkomplexe Stichwort aus der literarischen, der musikalischen und der medialen Theorie finden – nämlich Prolog, Ouvertüre und Text –…, das zeigt an, dass wir es dabei mit einer Mitteilung zu tun haben, die höchste Aufmerksamkeit, tiefste Konzentration und weiteste Verständnisbewegungen erfordert.

Um dem Johannesprolog nicht oberflächlich zu begegnen, müssten wir alle vielleicht wirklich beim Hören knien, wie es in der Messe traditionell war, oder wir müssten uns lange ins Schweigen versenken, wie es die Überlieferung als die typische Haltung des Evangelisten Johannes auf Ikonen zeigt, die ihn darstellen.

… Ungestörte Innerlichkeit. … Gesammelte Reflektion. … Jenes stille Geschehen des Betens, der Erleuchtung und der Erkenntnis: So könnte sich das Wunder des göttlichen Wortes in Seiner auf diese Welt zielenden Selbstkundgabe und Seiner innermenschlichen Verwirklichung nachvollziehen lassen.

Doch der uralte Brauch, diesen unergründlichsten Abschnitt der Bibel ausgerechnet am Weihnachtsmorgen lesen und deuten zu lassen, hat eine völlig andere Bewegung und Begegnung im Blick. Die tonlose Ruhe und spirituelle Schwingung einer Beschäftigung mit dem Schöpfungswort in Seiner Einkehr in die Schöpfung selbst kann anderswo und anderweitig geschehen: Wenn wir den kosmischen Beginn des Johannes-Evangeliums hier und jetzt vernehmen, dann sind ganz andere Nebengeräusche und Lautmalerei die eigentliche Partitur dessen, was da mit Worten vom Wort, mit Zeichen vom Leben und in jahrhundertelang geübter Wiederholung vom nun Gegenwärtigen gesagt wird.

Denn wenn Weihnachten ist, dann klingt die Luft und pulsiert der Geist vor irdischer Direktheit:

Da summt im Hintergrund eine zum Bersten volle kleine Stadt, in der sich dank eines römischen Steuerzensus viele wiedersehen, die sich voneinander entfernt hatten. Es schwirren Begrüßungen und Befürchtungen in der Bevölkerung, die nicht ahnt, was die Menschen-Mathematik des Augustus für eine Absicht verrät. Es wird gerufen, geküsst und geschwätzt. Gestritten wird auch. Und gelacht. Hufgetrappel, knarrende Türangeln, die Geräuschkulisse der Tierwelt, die das Leben der Menschheit fast immer und überall ständig untermalt.

Es geht ein Wind, es prasseln die Feuer zum Backen des täglichen Brotes. Sie beten. Die Römer bellen Befehle. Die Steine von Bethlehem geben das unmerkliche Schmirgelgeräusch ab, das man mit menschlichen Sinnen gar nicht wahrnimmt: Der Zahn der Zeit nagt an ihnen, damals wie heute. Uralter Fels wird leise seufzend in jeder Mauer, auf allen Straßen und Flächen wieder zu Staub.

Das kakophone Lied des Lebens, das nie verstummt, ist in seiner ganzen Nebensächlichkeit und Zufälligkeit in schönstem Konzert begriffen. Alles blökt, scheppert und pocht: Was immer es an menschlichem, tierischem, organischem Leben nur gibt, das setzt seine Melodie fort, die begann, als das Wort, das im Anfang war, das Wort, das Gott ist, zum allerersten Mal sprach.

Denn auch wenn wir geneigt sein mögen, uns in hochfeierlicher Andacht und Stille zu vergegenwärtigen, was der Evangelist von der geheimnisvollen Durchdringung der Realität durch den Logos, durch das sinnstiftende und wahrheitweckende Wort sagt, so ist die Wirklichkeit, um die es dabei von der ersten Seite der Bibel und dem ersten Buchstaben des Evangeliums an geht, nichts Hochgeistiges – nichts Abgehobenes, wie wir so anschaulich sagen –, sondern eben völlig irdisch.

Vogelsang und Donnerwetter, Meeresbrandung und Atemgeschnauf: Sie sind der Klangteppich, den das Wort Gottes in der Schöpfung webt.

Die zart-geflüsterten und die störenden Knirschlaute des Mit- und Gegeneinanders aller Wesen entstammen dem gleichen, großen, unendlichen, mystischen Aufruf zum Dasein, mit dem Johannes seine Schau der Wahrheit beginnt.

Und doch – obwohl wir uns die Echovielfalt, den Variantenreichtum, die unbegrenzten Ober- und Untertöne nicht im entferntesten ausmalen können, die das Wort hervorruft – … und doch war eine in aller dieser Vielstimmigkeit kaum auffallende Leerstelle in den Lebensäußerungen der sämtlichen Geschöpfe Gottes.

Eine Stimmzeile in der Symphonie des Weltalls ist bis Weihnachten mit anhaltendem Pausenzeichen durchzogen gewesen.

Die Dinge und die Kreaturen, ja selbst die Engel und die Menschen sind erfüllt und belebt von wundervollem und weiterwellendem Echo auf das unnachahmliche, unwiederholbare und deshalb auch unendliche Wort, das Gott spricht. Dieses Wort, das der Welt Gestalt gibt, findet Gehör und Gehorsam, und um es herum bauen sich die Harmonien und auch die Dissonanzen auf, die der Ur- und Grundklang, aus Dem alles andere folgt, in Sich trägt und miterzeugt:

  • „Heilig! Heilig! Heilig!“ tönt es durch alle Äonen in sämtlichen Sphären des Himmels und der Tiefe.
  • „Danket dem HERRN, denn Er ist freundlich und Seine Güte währet ewiglich“, beten die Auserwählten in Einem fort, seit das Wort Sich besondere Zeugen berufen und in Abraham und Israel Seine Bekenner mit dem Auftrag zu tätigem Lob und praktischer Treue betraut hat.

Aber in alledem ist das Wort das Wort geblieben: Auch im Vertrauen, das Abraham Ihm entgegenbringt, auch in der Lehre und Weisung, mit der Mose das Leben Israels und die Moral der Welt am Wort und dem Wort gemäß ausrichtet.

Das Wort ist das Wort geblieben. …….

… Wie sollte es auch nicht?

… Wer sollte dieses Wort denn noch einmal anders sprechen, als Es Sich Selbst aussagt und auslegt?!!!

… Wer dürfte es wagen, sich selber das Wort anzueignen, Dem sich doch alles ganz und gar verdankt?!!!

… Wer sollte dem Gotteswort, Das wirksame Tat ist, gleichlautend in solcher Wirksamkeit begegnen dürfen?!!!   

Man wird also sagen müssen: Das Wort hat wohl getan, wozu es ausgegangen ist.

Und doch lässt sich noch immer fragen, ob sich wirklich erfüllt hat, was der Prophet Jesaja (55,12) als Gottes Verheißung über das eigene Wort kündet: „Der HERR spricht: Das Wort, das aus meinem Munde geht, soll nicht wieder leer zu mir zurückkomme, sondern wird tun, was mir gefällt und ihm wird gelingen, wozu ich es sende“?!!!

Das Wort hat wahrhaftig gewirkt. … Aber es ist das Wort geblieben.

… Es hat noch nicht gefunden, was jedes wirkliche Wort sucht und wodurch auch ein noch so ursprüngliches Wort verwandelt wird, weil es ja noch mehr zu sich kommt, wenn etwas ihm entspricht, das anders als es selbst ist: Eine Ant-Wort nämlich! ———

Das einzigartige und unverwechselbare Wort, das Wort, das nur Es Selber ist, von Dem der Prolog des Johannesevangeliums so eindringlich spricht, Es wird ja im selben Prolog tatsächlich noch zu mehr als Es Selber!

– Wodurch?

– Dadurch, dass jemand Ihm antwortet!

Und durch diese Antwort eines anderen wird das Wort zwar nicht anders, aber eben ein beantwortetes und dadurch ein zur Erfüllung verwandeltes Wort, … ein Wort, das nicht mehr leer zurückkehrt, sondern in Gestalt der fruchtbaren Verbindung von Wort und Antwort.

Das mag nun zwar nach Wortspielerei klingen.

Doch es ist weitaus mehr.

Es ist die im Johannesprolog bloß vorausgesetzte, aber nicht aufgedeckte Szene, wie aus dem reinen, alleinigen Wort Fleisch werden konnte.

Dazu ist es biblisch hilfreich, sich zu überlegen, was mit „DAS Wort / ὅ λόγος“ eigentlich gemeint sein muss, wenn wir es nicht nur abstrakt philosophisch als ein Instrument verstehen sollen, das zugleich Bedeutungsträger und Deutungswerkzeug ist.

DAS biblische Wort schlechthin – so drängt es sich ja auf – ist nicht ein intellektueller Allgemeinplatz, sondern das vollkommen individuelle Offenbarungsgeheimnis, dass Gott so heißt, wie Er handelt, dass Sein Tun und Sein Name eins sind und dass Wesen, Wort und Wille Gottes eine geistig-praktisch-emotionale Gesamtheit darstellen, die sich nicht in verbale oder nominale Anteile, nicht in äußerlich aktive gegenüber innerlich unveränderlichen Merkmalen aufgliedern lässt.

Das eine Wort, Das ganz Gott, Das Gott ganz ist, ist ein Name und ein allumfassender Verbalsatz. Es ist die berühmte Offenbarung aus dem brennenden Dornbusch (vgl. 2.Mose3,14):

ICH BIN, DER ICH BIN. ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE.“

Und dieses schöpferische Wort, in dem Gott ganz ist, … dieses schöpferische Wort, Das ganz Gott ist und Das im Anfang als das große und nie-endende „Es werde“ die Welt ins Dasein rief, … dieses Wort, Das als der unaussprechliche, aber überall wahre und wirkende Name die Gegenwart Gottes als Trost und Verheißung für jeden Augenblick schafft und besiegelt und Das in der Lautflaute der Wüste im Prasseln des brennenden Dornbuschs zuerst dem Mose offenbart wurde, … dieses Namenwort, Schöpfungswort, Gotteswort hat an einer ganz anderen Stelle Seine Antwort gefunden:

In den dörflichen Alltagsgeräuschen einer Siedlung, wo alles gluckert und klopft, wo die Werkzeuge dumpf und das Brunnenseil quietschend den Tag rhythmisieren, unterm Blöken der Herden und dem Patschen nackter Kinderfüße, unter dem Klappern des Webstuhls, dem Sausen des Abendwindes um die Ecken, unter den Liedern, die von hier oder dort vielleicht durch die Dämmerung wehten oder unter den viel derberen Geräuschen, wenn das Dorf im Schein der kleinen Öllampen bei der Vesper schmatzt und die Läden vor die Fenster setzt und seinen Trieben nachgeht … mitten in dieser kakophonen, aber von Gott gewollten und gesegneten Melodie des Geschöpflichen hat eine junge Stimme „DAS Wort“ beantwortet.

Sie war überraschend begrüßt worden. Und eine Schöpfung – viel kleiner als die Genesis, aber doch der Beginn einer neuen, einer unendlichen Welt, in der alles und alle das Leben ewig erfahren sollten –, … eine Schöpfung also war ihr angesagt worden. … Eine winzige Schöpfung, die endgültige Rettung, … ein Anfang, der Ewigkeit sein könnte.

Und da nahm sie - nach kurzem Zögern - Den Namen, Der alles hervorruft, selbst in den Mund, … als sei sie der Dornbusch, den Feuer nicht verzehren, als sei sie der Hohepriester, den Heiligkeit nicht erschlagen kann[i].

Sie nahm das Wort in den Mund und nahm mit ihrer gleichlautenden Antwort Das Wort in sich auf, um es lebensschöpferisch in sich zu erden, einzufleischen, einzumenschen.

Der Grüßende hatte ihr gesagt: Es soll ein Neues von Dir geboren werden.

Und sie antwortete: „Es werde!“  

Und so wurde aus Gottes Wort und Marias Antwort Weihnachten.

Das geschah an einem Frühlingstag, der noch im 18.Jahrhundert in manchen europäischen Kalendern als der Neujahrstag gefeiert wurde, weil der Beginn, der sich diesem Geschehen von schöpferischer Anrede und Menschenantwort verdankt, universal, ja kosmisch ist.

Heute nun feiern wir, was die fruchtbare Verbindung von Gottes „Es werde!“-Wort und Marias „Es geschehe!“-Antwort ermöglicht hat:

Dass nämlich Menschen – alle Menschen, ohne Festlegung, ohne biologische oder moralische oder kulturelle Bedingtheiten und Beschränkungen – ihrerseits zu Kindern Gottes, zu Brüdern und Schwestern Jesu und damit ja auch zu Angehörigen derer werden können, die an seinen Namen so glaubte, dass sie ihr eigenes Leben ganz mit Ihm verband.

Wo wir Gott also weihnachtlich aufnehmen in dieser gott- und menschenfeindlich werdenden Welt, da geschieht das, wovon der Johannesprolog spricht: Das Ende der Anti-Schöpfungs-Feindschaft und das Aufgehen des viel zu lange verdunkelten Lichtes, das in jedem Leben den göttlichen Ursprung, die Wirkung des Wortes und die Verbindung aller Wesen in Gott erkennen lässt.

Das ist die Macht, die uns und allen gegeben ist, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben und mit ihm einswerden wollen wie Maria. 

Wenn Weihnachten uns mit dem Kind selbst in den evangelischen Liedern und Bildern und Bräuchen und Betrachtungen auch die Mutter dieses Kindes nahebringt, dann ist das kein Relikt aus der vorreformatorischen Kindheit der Kirche und auch nicht nur ein begrüßenswertes ökumenisches Zeichen, weil ja doch sämtliche Christen außerhalb der reformatorisch-en Konfessionsfamilie ein ungebrochenes Verhältnis zu Jesu Mutter pflegen, sondern es ist die Bestätigung dessen, was der Johannesprolog sagt: Dass das Wort Fleisch werden und wir Gottes Kinder werden können, geschah zwar nicht nach einem fremden Willen, doch eben auch nicht ohne einen Menschen … und es geschieht auch heute nicht ohne uns Menschen.

Wir dürfen Antwort geben!

Und wo wir antworten, … wo wir „Ja“ sagen, … wo wir bekennen, dass es geworden ist, wie es wurde, dass es sein soll, wie es ist, und dass es werden wird, wie es zu werden hat, da geschieht hier und jetzt das Wunder des fleischgewordenen Wortes, das in Jesus unter uns wohnt: Da erkennen wir seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eigeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit!

So sei es!

Es geschehe!

 

Amen. 

 

[i] Die theologisch längst fällige Grunderkenntnis hinter dieser Predigt verdankt sich einem Zufallsfund in einem vergessenen Roman eines leider ebenso vergessenen Dichters; Charles Williams, ein Freund und Geistesgenossen der großen, phantastischen, christlichen Literaten J.R.R. Tolkien und C.S. Lewis. Williams’ letzter, 1945 erschienener Roman „All Hallows‘ Eve“ thematisiert als erstes Werk der englischen Sprache die Erfahrung von Hitlers 3.Reich und der Schoah: Ambivalent und problematisch aus unserer heutigen Sicht, aber immerhin hellsichtig für einen unmittelbaren und durch die Zugehörigkeit zur Gegenseite „unbelasteten“ Zeitgenossen. Williams schreibt dort: „It had been a Jewish girl, who at the command of the Voice which sounded in her ears, in her heart, along her blood, and through the central cells of her body, had uttered everywhere in herself the perfect Tetragrammaton. What the high priest vicariously spoke among the secluded mysteries of the Temple, she substantially pronounced to God.  Redeemed from all division in herself, whole and identical in body and soul and spirit, she uttered the Word and the Word became flesh in her” (Charles Williams, All Hallows’ Eve, London 19473, S.59).

 

 

   

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