Invokavit, 09.03.2026, Stadtkirche, Hebräer 4, 14 - 16, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Invokavit - 9.III.2025
Hebräer 4, 14-16
Liebe Gemeinde!
Seit der Kreml in Washington steht und daher die Nachrichten dieser Welt kaum auszuhalten sind, … seit also das irdische Tagesgeschehen so rat- und trostlos macht, wie derzeit …, seit es - mit anderen Worten – nun wieder Passionszeit ist auf Erden, sind die Nachrichten von oben, die Taten im Himmel, die Zeitansagen aus der Ewigkeit umso wichtiger.
Weil das, was nicht die Präsidenten und die Diktatoren und alle ihre schmutzigen Mischformen anrichten, sondern der Sohn Gottes, … weil das die einzig gute Nachricht ist: Das „Eu“-Angelion! Und dieses „Evangelium“ ist nicht nur eine gute - sogar die beste! -, sondern auch eine große Nachricht … tatsächlich die Größte.
Es besagt in den unnachahmlich einfachen Worten des Hebräerbriefes, dass Jesus alle Weiten und Tiefen, alle Sphären und schwindelnden Distanzen der Himmel durchquert hat. … Und zwar nicht als ein Raumfahrer des Universums, der die Unendlichkeit durchmes-sen wollte, sondern als der Hohepriester für alle.
Der judenchristlichen Sicht und Seele des Hebräerbriefs steht bei diesen Worten der Hohepriester in Israel vor Augen, der alleine und stellvertretend für das ganze Volk den ernstesten aller Wege zurücklegen musste: Am Versöhnungstag, Jom Kippur – diesem alljährlich für jeden Israeliten konkret im Blut des Sühnopfers vorweggenommenen Tag des Todes und des Jüngsten Gerichtes (vgl. 3.Mose16, bes.V.17) – durchquerte der Hohepriester den geheiligten Bezirk des Tempels, wo die schönen Gottes-dienste des HERRN (vgl.Ps.27,4) Recht und Ordnung in der Welt bewirkten und bezeugten, … und ging noch weiter. … Schweigen senkte sich auf die Menge der Büßenden und Fastenden. Das Feuer auf dem Opferaltar wird der einzige Laut gewesen sein, wenn der Hohepriester da seine Schritte durch den angehaltenen Atem der Versammlung lenkte und sie alle – die Gemeinde, die Leviten, die den hochheiligen Dienst tuende Priesterordnung und die Ältesten – stumm zurückließ. Dann nämlich schlug er einmal im Jahr den dichten, sonst unangetasteten Vorhang zum Allerheiligsten zurück und er trat ein in die mystische Gegenwart Gottes in der unerblickten und undurchdringlichen Finsternis über der Bundeslade, um die Sühne dort in der gewaltigen Stille der unendlichen Nähe, der Präsenz des Ewigen zu kommunizieren am Thron der Gnade.
So schritt der Hohepriester durch die Welt der Profanität und alle Stufen der Liturgie, quer durch den Bezirk der kultischen Reinheit am Altar zuletzt hinein zu Gott.
… Auf einem geheimnisvollen Weg von hier nach da.
… Und Jesus genauso.
Von da nach hier: Aus der vollkommenen Schönheit und Klarheit der Gotteswirklichkeit durch alle Stufen des Himmels in die bitteren, schmerzhaften Konflikte und die brutalen menschlichen und menschheitlichen Katastrophen der irdischen Welt.
Jesus, der Hohepriester – das persönliche Bindeglied zwischen den Sündigen und ihrem Versöhner – schreitet durch die Himmel, … und läuft und wandert, stolpert und hinkt, wird schließlich gestoßen und dann entkräftet nur noch geschleift durch den Staub unseres Daseins.
Damit diese ganze Misere, diese Tragik und Bedrohung, die so viele Menschenleben prägen, nicht auch noch gottfreies Vakuum, eine Landschaft der Lieblosigkeit, mitleidsleere Wildnis seien!
Dafür ist der, Der aus Gott Selber kommt, in Dem Gott Selber kommt, nicht bloß vierzig Tage lang in alle Entbehrung und Anfechtung, in sämtliche grobe und feine Zermürbung, unter der Sterbliche leiden, getaucht, sondern in die radikalste und ungeschützteste und völlig unbegründete, aber buchstäblich auch grund- und bodenlose Verlorenheit, die Unrecht gegenüber der Unschuld, Verletzlichkeit, Verlassenheit und körperliche Qual dem Menschen zufügen können.
Doch gerade damit wird Trauma zum theologischen Thema.
Schmerzen isolieren nicht mehr nur, sondern in all ihrer fürchterlich unentrinnbaren Selbstbezogenheit führen sie trotzdem zu einer Inklusion in die weltweite Verheißung ihrer Heilbarkeit und eines endgültigen Trostes.
Und selbst Angst, Agonie und Endlichkeit bedeuten bei allem gnadenlosen Ausgeliefertsein an sie plötzlich und paradox die Erfahrung einer Gemeinsamkeit, … einer Gemeinsamkeit mit Gott! ——
An der Leidensfähigkeit und Leidensbereitschaft und zuletzt natürlich an der konkreten Leidenserfahrung Jesu entscheidet sich daher tatsächlich alles: Ob wir an einen Gott in der Wirklichkeit unserer illusionslos unbeschönigten Beschaffenheit als Erde, Staub und Asche glauben dürfen … oder ob’s um einen geht, der jenseits unsrer Welt, außerhalb des irdischen Lebens verharrt.
Dass Christus, der Hohepriester die Himmel durchschreitet und sich in das Reich des Berührbaren begibt, sich also ausliefert an die Antastbarkeit, die anfällig macht für Verwundung und schließlich die Gefahr der Zerstörbarkeit bedeutet, … dass Christus diesen umgekehrten priesterlichen Weg aus dem reinen Heil dort in die große Störung der Realität hier geht, ist das, was der Hebräerbrief uns als Grundlage aller Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch und damit aller menschlichen Hoffnung und endlich gottgewirkten Erlösung vor Augen hält.
Doch der Blick des Hebräerbriefes geht nicht nur diesem unfassbar weiten Weg aus der Höhe der Heiligkeit im Himmel nach, sondern er bohrt auch ganz tief. … Bis unter die Haut. … Bis in ein Herz, in das wir selten so unverhüllt blicken dürfen.
Er sagt uns nämlich, dass Jesus, der Sohn Gottes bei diesem schwindelerregenden Höhenverlust, bei diesem steilen Niedergang durch jenseitige Sphären, Zonen und Ebenen, die sich menschlicher Erfahrung entziehen, schließlich in unserm instabilen, störungsanfälligen Lebensraum Einflüssen ausgesetzt worden ist, die Ihn uns erschütternd ähnlich machten.
Was wir in der Erzählung des Evangelisten (Matth.4, 1-11) heute als die vergebliche Initiative des Störers und Zerstörers hörten, der von außen auf Jesus einstürmt und -flüstert und -schleimt, benennt der Hebräerbrief aus der Innenperspektive: Die aus der Balance geratene Menschenwirklichkeit, das gefährliche Durcheinander, in dem Gutes und Böses sich in einem wirbelnden Sog von Kraft und Anti-Kraft verquirlen, hat auch Jesus durcheinandergebracht. Er wurde in allem versucht wie wir!
Was aber dieser unterkühlt wirkende Satz tatsächlich an Explosivstoff enthält, ist kaum zu überschätzen: Das Böse hat nicht nur an Jesus herumgezüngelt und ihn aufgepeitscht umleckt wie die verderbenbringende Sturmflut den Leuchtturm. Die Gefahr blieb nicht bloß äußerlich. … Auch Jesus hat sie im Inneren erleben müssen! Genau wie wir.
… Der Zwiespalt wollte auch Ihn spalten. Dieser verfluchte, giftige, tödliche Zwiespalt, der in uns die Gestalt der fatal betrügerischen Einheit mit uns selber annimmt: Weil er uns immer und immer wieder nur spüren machen und glauben und beweisen lassen will, dass wir alles und noch viel mehr alleine können!!!
Das ist es ja, was wir an jedem Invokavit-Sonntag im Evangelium zu Beginn der Passionszeit hören: Dass Jesus verführt und verlockt werden sollte, zum endgültigen „Wie-Gott-Werden“ … Er, Der doch als Der aus dem Himmel in die Schwäche Gekommene Gott ist!
Er sollte in seiner menschlichen Wirklichkeit die einfachen Sätze, die wir sämtlich unsern Kindern beibringen, als wären sie nicht die Ur-Kunde des Teuflischen, bestätigen:
„Du kannst vollkommen selbständig für Dich sorgen! – Konsumier’ doch, was immer Du willst.
Du allein bist der Gipfel des Wertvollen! – Wenn Du willst, kannst Du sogar Gott zwingen, Sich zu Dir zu bekennen.
Dein Recht geht über alles! – Na, nimm schon endlich die Welt in Besitz.“
– Du bist autonom. – Du bist sakrosankt. – Du bist super im Superlativ.
Das ist die unveränderte, menschheitsalte Sirenenmelodie, die Adam und Eva und Adolf und Eva und uns alle in unserem Elend betören will, um das Menschengeschlecht zu verderben. … Zu verderben, indem dieses Selbstbewusstsein und dieses Selbstwertgefühl und diese Selbstherrlichkeit uns von unserer Herkunft und Bestimmung total abspalten.
Denn genau diese Versuchung – allein zu leben, alleine zu zählen, alleine zu herrschen! – … genau diese Versuchung ist der ewige Spalt, die Sünde, die uns in den Tod führt, weil sie uns diametral und abgründig tief von Gott fortreißt, Der Seinerseits von Anfang an mit uns leben, bei uns zählen und durch uns heilend, heilig, herrlich und Herrscher sein will.
Doch eben diese Kernspaltung, die das vollkommene Verderben auslöst, … diese innerste Spaltung zwischen Mensch und Gott ist in Jesus trotz aller seiner Auslieferung und Anfechtung und Verlassenheit und Verzweiflung niemals möglich gewesen – nicht in der Wüste, nicht in Gethsemane, nicht auf Golgatha, nicht im Reich des Todes.
In Ihm war diese Trennung, dieses Gegeneinander und Auseinander des Schöpfers und des Geschöpfes keinen Spaltbreit möglich.
In Ihm blieb trotz aller Versuchung eins, was für uns erst versöhnt werden muss.
Die Passionszeit beginnt wahrhaftig nicht umsonst immer mit dem Versuch des Versuchers, den Menschen Jesus und Gott zu trennen, und sie endet nicht umsonst mit der schweren, aber eindeutigen Stunde, in der dieser Mensch in Seiner völligen Anfechtung sich trotz allem sogar durch sich selbst nicht abbringen lässt von Gott: „Abba, mein Vater … nicht was ich will, sondern was Du willst!“ (Mk.14,36) ———
Das ist mehr Verbindung, mehr Übereinstimmung, mehr Ein-Verständnis und Einigung als wir uns vorstellen können, obwohl es das bei uns Christinnen und Christen in der Bindung an Christus durchaus immer wieder gibt:
Der vorgestrige Freitag erinnerte uns im kirchlichen Kalender an zwei der eindrucksvollsten und durch ein eigenhändiges Tagebuch aus ihrer Haft[i] bis heute persönlich zu uns sprechenden Märtyrerinnen der frühesten Christenheit - Perpetua und Felicitas -, die am 7.März 203 in Karthago ihren Glauben frohgemut mit dem Tod besiegelten.
Und in der Woche vor dem diesjährigen Palmsonntag, am 9.April werden wir an den ebenso unerschütterten Tod Dietrich Bonhoeffers vor 80 Jahren erinnert, der in seinen Aufzeichnungen aus der Todeszelle alle, die es aufgreifen, singen lässt: „Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar, ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand“ (EG 65,3 // 652, 3).
Doch auch wenn wir nicht den Heldenmut der freien Nordafrikanerin Perpetua und ihrer Freundin, der kurz vor der Hinrichtung noch frühzeitig von einer kleinen, überlebenden Tochter entbundenen Sklavin Felicitas haben oder wenn uns in unserer noch so unverbindlich bequemen Kultur des „Christ-Seins-oder-auch-nicht“ die Haltung und Zivilcourage Dietrich Bonhoeffers fehlen, so ist doch für unseren Freimut, unsere innere Gewissheit und sichere Zuversicht gesorgt, wenn wir einst Hilfe nötig haben werden.
Weil das, was der Weg des großen Hohenpriesters Jesus durch die Himmel bis in die abgrundtief menschliche Erfahrung der Versuchung für uns bedeutet, im Hebräerbrief in einem uns allen verständlichen Wort zusammengefasst ist: Dieser Weg Jesu aus Seinem Heil-sein in die Zerreißprobe unserer Sünde ist der Weg Seiner „Sym-Pathie“ … Seines aktiven, unendlichen, wirksamen, gültigen, rettenden Mit-Leids.
Jesus ist sym-pathisch! … Wer das für eine Nettigkeitserklärung hält, für eine weiche Floskel der Harmlosigkeit hält, muss nur ein einziges Mal im Ernst bedenken, was wir heute hörten:
Als der Vermittler, als der Versöhner, als der Hohepriester, der die Zwiegespaltenen, die von Gott Abgespaltenen in Gnade und Barmherzigkeit wieder in die Übereinstimmung, in die Einigung mit Gott einbinden will, ist Jesus vom Himmel in den Reißwolf nicht Seiner, aber unserer Sünde gegangen. Er hat das Leiden unserer Trennung von Gott – das Leiden unseres gescheiterten Allein-Lebens, das Leiden unseres hoffnungslosen Alleingeltungsdrangs, das Leiden unseres tödlichen Totalitätsanspruchs als Menschen – in Seiner Einheit mit Gott mit uns getragen, … Er hat es mit uns gelitten … und Er hat es für uns bestanden!
Seine Sympathie, Sein Sich-ganz-und-gar-Mittreffen-Lassen von unserer Sünde ist unsere Erlösung von ihr!
Wenn einer der einflussreichsten und illegitimsten Machtmenschen im neuen Kreml von Washington - Musk - daher tatsächlich kürzlich gesagt hat, die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation sei die Empathie[ii], dann wissen wir, wer letztlich und zu Recht gemeint ist: Jesus, der große Hohepriester, Der nicht nur „Empathie“ - das „Einfühlen“ in fremdes Leid -, sondern menschheitsweite Sym-Pathie verkörpert: Das Teilhaben an allem Leid, um alle aus dem Zwang von Sünde und Leid zu befreien.
Treten wir also ebenso freimütig vor die Welt wie vor den Thron der Gnade mit dieser Nachricht aller Nachrichten: Unser Hohepriester hat Sich den Schwachen, die sich nicht helfen und verteidigen können, … denen, die nichts aufbieten und nichts anbieten können, … denen, die in ihrer ohnmächtigen Not alles nur brauchen, ohne irgendetwas zurückgeben zu können, an die Seite gestellt, weil Er ihnen und gerade damit genauso auch uns ganz gleich geworden ist.
Wer zu Ihm, … wer zu Jesus gehört, muss an diesem Bekenntnis festhalten!
Heute.
Und morgen.
Denn dadurch, nur dadurch werden wir Menschen alle Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden. In der Sym-Pathie Jesu! ——
Zu einem solchen, uns und die Welt rettenden Bekenntnis führe uns nun die diesjährige Passionszeit!
Amen.
[i] Gut greifbar sind die Aufzeichnungen der Perpetua und der Bericht des Herausgebers dieses einzigartigen Dokumentes in der Sammlung: „Ich bin Christ“ – Frühchristliche Martyrerakten, übertragen und erläutert v. Oda Hagemeyer, Düsseldorf 1961, S.90-110.
[ii] https://edition.cnn.com/2025/03/05/politics/elon-musk-rogan-interview-empathy-doge/index.html
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