Okuli, 23.03.2025, Stadtkirche, Jeremia 20, 7 - 11a, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Okuli - 23.III.2025
Jeremia 20, 7 - 11a
Liebe Gemeinde!
In der neuen Fach- und Fremdsprache, die ich jetzt lernen muss, heißt es „Beschwerdemanagement“: Das Ohr und die Anlaufstelle für die Klagen.
Es ist vermutlich nicht beneidenswert, wenn man dafür als Mensch unter Menschen zuständig ist.
… Aber wie mag es erst sein, wenn man Gottes Beschwerdemanagement verantworten soll?!
Selbst die, die nicht Seine Klienten sind - um kurz in dem Jargon zu bleiben, der mir blüht -, … selbst die, die Ihn für nichts sonst zuständig sehen, … selbst die, für die Er gar nicht existiert, … selbst die klagen Ihn an, fordern Ihn zur Rechenschaft, weisen Ihm Versagen und verletzte Aufsichtspflicht nach und drohen, Ihn (Der für Sie niemand ist!) zu diskreditieren und in ihrem Weltbild wegen ihres gestörten Gerechtigkeitsempfindens und Sinnhaftigkeitsgefühls rechtskräftig durch eine andere Instanz ersetzen zu lassen. Berufung ausgeschlossen.
Gottes Beschwerdemanagement also: … Sein vollstes Brieffach, während die Dankespost, die Lieder des Lobes und der Anbetung, aber auch die Bittgesuche und der schlichte Alltagsaustausch im Gebet immer weiter zurückgehen.
Es ist im Himmel so wie in der großen Gastronomie: Das Gute, ja das Beste wird nicht mehr mit Anerkennung genossen, dafür nimmt die Unzufriedenheit im gleichen Maße wie die Unverschämtheit der Gäste überhand. Ein berühmter Koch in Kensington - so las man jüngst in der englischen Presse[i] - dem es schwerfiel, den jahrzehntelang verinnerlichten Grundsatz, dass der Kunde immer Recht habe, zu verabschieden, wurde schließlich erst durch einen Gast ernüchtert, die für eine prachtvolle Delikatesse kostenlosen Ersatz verlangte, weil sie im frisch zubereiteten Gericht eine Folie entdeckt haben wollte. Die Überwachungskamera zeigte, wie die Kundin selbst die Folie in die Speise steckte, um ihren Anspruch zu erschleichen.
… Wer müsste da nicht am Morgen nach der “Earth hour” an die wundervolle Schöpfung Gottes denken, die wir wie jener Gast von Nord- bis Südpol mit unserm Plastik überzogen und unserer Zerstörungskraft verdorben haben, und doch wird der Schöpfer angeklagt, dass die Welt voller unlösbarer Probleme und die Menschheit in der Sackgasse sei: „Her mit der kostenlosen Ersatzwelt zur Entschädigung! Die Menschheit will den Manager sprechen! Wir verlangen unser Recht!“ …
Das ist die eine Seite der endlosen Klagen, der grundlosen Beschwerden, die von jeher in Gottes Richtung abgeladen werden: Klagen, die Ablenkungsmanöver waren und sind. Klagen, die Selbsttäuschung und Hinterlist verraten. Klagen der Schuldigen.
Aber der HERR ist ein Gott des Rechts (Jes.30,18)!
Das sollen alle wissen, die heute und in Zukunft meinen, sie könnten das Recht beugen und brechen, sie könnten es sich nehmen und niemand anderem geben, sie dürften es verdrehen und brauchten es nicht zu fürchten. Der HERR ist ein Gott des Rechts! Und darum dringen vor Ihn die Klagen aller, die Unrecht leiden (vgl.Ps.146,7); Er hört das Gebet der Unterdrückten (Sirach35,16) und die Stimme derer, die rechtlich und körperlich ohne Stimme sind, … und sollten diese - die Kinder nämlich - einst schweigen, so werden doch nach Jesu Prophezeiung die Steine schreien (vgl.Lk.19,40!).
Die Klage der Unschuldigen also dringt durch zu Gott, und sie ist eine viel, viel stärkere Macht als die perfide und verlogene Anklagerei derer, die Ihn haftbar machen wollen für die Sünden, die sie selbst begehen. ———
Eben nun haben wir den Klagepropheten schlechthin gehört.
Seine Qualen und seine Traurigkeit, sein Jammer und Schmerz tönen seit Jahrhunderten in den Wochen der Passionszeit durch die Liturgien und Gottesdienste der Christenheit: Jeremia, der seelische Märtyrer bei lebendigem Leib, der untröstlich Verunsicherte in Zeiten verdächtiger Sicherheitsillusionen, … Jeremia, der verhasste Unglücksrabe, als Jerusalem kurz vor seiner Katastrophe vom Tempel und vom Königspalast aus noch mit Wohlstands- und Friedenspropaganda berieselt und eingelullt wurde, … Jeremia, der pessimistische Realist in Gottes Auftrag, als man überall religiöse und politische Positivitäts-Halluzinationen verströmte wie den Cannabis-Dunst heute, … Jeremia, der Bote der Wahrheit, die weniger schmeichelt und schont als die Lüge …, Jeremia hat seine Unschuld satt, die ihm viel, viel mehr Verfolgung, Hass und Lebensgefahr einträgt als die übelste Korruption und Unmoral es jemals könnten.
Er kann und mag nicht mehr die Warnungen und die Maßstäbe Gottes überbringen an eine Welt und eine Gemeinde, die sich viel lieber bequem im Selbstbetrug einrichten, der 605 v. Chr. genauso klang und verfing wie 2025 danach.: „So schlimm kommt’s schon nicht. Es muss sich nichts ändern. Wenn alle dabeibleiben, können wir logischerweise nicht aufhören.“
So änderte Jerusalem seine Gewohnheiten, seine Blindheiten nicht. Es blieb seiner Untreue treu. Bis Nebukadnezar kam und mit ihm die alte Wahrheit, dass man in seinem Tun nicht erntet, was man gerne hätte, sondern was man sät und nicht das erhält, was man sich einbildet, sondern das, was man anrichtet. …
Doch einstweilen brach nur Jeremia zusammen. In einer Klage, die heute direkt vor die Disziplinarkammer jeder Kirche führen würde und die darum seit Hieronymus niemand mehr wörtlich zu übersetzen wagte[ii]: „Du hast mich verführt … verführt zum erbärmlichen, entwürdigenden Los des Propheten; Du hast mich entmündigt, als ich zu Deinem Mund gemacht wurde“, schluchzt und schleudert er Gott ins Gesicht. … Im Klartext: Du hast mir Gewalt angetan. … Du hast mich missbraucht. …… ….. …. … .. .
Das ist die abgründigste Klage der Unschuld, die es gibt.
Es ist - wie wir wissen müssen - das abgründigste Verbrechen, als dessen Opfer Jeremia sich erfährt. Seine unzweifelhafte Unschuld, seine ganz und gar nicht selbstverschuldete Isolation und Stigmatisierung, seine bis zum Selbsthass und zur Daseinsverzweiflung reichenden Selbstzweifel und sein ganz und gar zerbrochenes Vertrauen in alles und jeden sind die furchtbaren Schmerzen eines Menschen, der psychische und persönliche Gewalt erlitten hat.
… Gerade seine Unschuld ist sein vernichtender Schmerz.
Hätte er sich in Szene setzen wollen, hätte er für sich Wahrnehmung und Echo gesucht, hätte es ihm geschmeichelt, mit der leidenschaftlichsten Wirklichkeit der Welt - Gott nämlich - in Verbindung gebracht zu werden: Sein Leid wäre immerhin durch diese Anhaltspunkte in ihm selber erklärbarer gewesen.
… Doch nichts von alledem traf bei Jeremia zu. Schüchtern, wie kein zweiter Prophet (vgl. Jer.1,6), hilflos und verlassen vergleicht er sich selbst mit einem arglosen Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird (vgl.Jer.11,19). …..
Kein Zweifel: Die Psyche Jeremias ist die Psyche eines Gewaltopfers. Die Psyche des unschuldigen Menschen, der unter Menschenschuld erstickt.
Nur dass eben die Gewalttat, die Jeremia zum Märtyrer macht, nicht die Tat Gottes an ihm, sondern das Echo auf Gott ist, das die Unschuldigen trifft.
Jeremia erleidet die Passion Gottes mit.
Er trägt Gott in sich, auf den die Welt allergisch und das heißt mit reflexhafter, fiebriger, glühender Abstoßung reagiert.
Die Gotteskrankheit, die in Jeremias Leben ausgebrochen ist und wütet, die Gottes-schmerzen, die er trägt, der Gottesspott, der auch den Propheten trifft, die Gottverdammung, die dem Gottesboten und Gottesfreund gilt, sie alle führen zu den bitteren Schmerzen der Unschuld, die Jeremias Klage so grauenvoll machen.
Grauenvoll, weil alle Logik an ihr zerbricht.
Denn es stimmt nur halb - und also gar nicht-, wenn wir uns logisch aus der Befassung mit der furchtbaren Klage und Anklage Jeremias retten wollen, die er eindeutig gegen Gott richtet, obwohl sie doch den Menschen, die ihn stellvertretend für Gott leiden lassen, gelten müssten. Zu dozieren, Jeremia verwechsele Ursache und Wirkung, wenn er seine schmerzhaften Leidenserfahrungen, die Menschen ihm zufügen, auf Gott zurückführt, stimmt nur halb … und also gar nicht.
Ja, tatsächlich sind es die Menschen, die Jeremia so ohnmächtig das Schicksal des Lammes auf dem Weg zur Schlachtbank empfinden lassen.
Es sind Menschen, die Jeremia die feurigen Schmerzen seines Scheiterns im Namen Gottes … und seines Scheiterns am Verschweigen Gottes zufügen. ——
Aber dass dieses Lamm Jeremia gerade so für das andere Lamm, … das Gotteslamm, … das Lamm, das Gott ist, leidet, lässt sich nicht verkennen. …….
Es fällt darum – allerdings in der Gemeinsamkeit der unschuldigen Opfer, nicht im Sinne der Täteranklage – tatsächlich auch auf Gott das schwere Gewicht der Jeremia-Klage. Sein Leid unter den Menschen ist ein Um-Gottes-willen-Leiden. ——
Und da werden wir stumm.
… Diese Vorwürfe, diese Beschwerden soll dann eben Gott irgendwie aufklären und ausräumen. Mit den Anklagen, dass Menschen mit Ihm, für Ihn und um Seinetwillen leiden, muss Er nun fertigwerden: So denken wir.
… Dass wir also wahrhaftig nicht die Beschwerdemanager Gottes sind, denken wir. …
Aber wenn das der letzte Gedanke dazu ist, dann müssten wir nicht nur wiederholt den dritten Sonntag der Passionszeit, sondern eigentlich das ganze Evangelium überspringen.
Denn auch wenn uns das immer furchtbar - furchtbar fremd und furchtbar lästig und furchtbar bedrängend und beschwerlich – ist, ist heute dennoch dieser Sonntag: Der Sonntag der Nachfolge.
Weil das Evangelium von Jesus Christus vom Ruf in die Nachfolge durchwoben ist. Ohne diesen wiederholten Ruf, der Menschen beim Fischen (vgl. Matth.4,19) und am Zoll (Matth.9,9) - also im plattesten Alltag - ergreift, … ohne diese Gelegenheit zur Nachfolge, die Reichen (Matth.19,21) wie Bettlern (Matth.9,27) gleichermaßen offensteht, … ohne diese Freiheit zur Nachfolge, in der Frauen (Matth.27,55) und Unfreie aus der Dunkelheit treten und das Licht ihres eigenen Lebens am Licht der Welt hellglänzend und sichtbar entzünden dürfen (vgl. Joh.8,12), … ohne diese befreiende, aber auch verbindliche Nachfolge, die Menschen im Kreuztragen (Matth.10,38) wie im endzeitlichen Sitzen auf dem Thron der Herrlichkeit (Matth.19,28) ganz und gar und unlöslich mit Jesus verbindet, … ohne die Aufforderung also zur Nachfolge und ohne die antwortende Freiwilligkeit in solcher Nachfolge, wäre das Evangelium vorbei: Beendete Geschichte. Abgeschnittener Faden. Fertig gewebter Stoff.
Nur die Möglichkeit unserer Nachfolge macht das Evangelium zu dem, was es ist: Wahrheit!
Das aber steht heute und in diesen Wochen des Kirchenjahres, … vielleicht indes auch allgemein und ganz politisch und ganz existentiell in unseren Tagen und in der Zukunft, die uns bevorsteht, in so vollem, lebendigem Ernst vor uns, wie wir das alle nicht mehr gewohnt sind: Jesus Christus ist gekommen als Erlöser der Welt und gerade deshalb als das Lamm, das zur Schlachtbank dieser Welt gezerrt wird. Und diese, Seine Beschwerden, … dieses, Sein Kreuz, … diese, Seine Passionsnöte, … dieser, Sein Dienst der Liebe und der Hingabe in aller Unschuld an die Schuldigen … dies alles ist verbunden mit dem Ruf, dass auch wir uns davon beschweren und betreffen lassen.
Werden wir diesen Ruf hören und ertragen?
Werden wir die Beschwernis des Kreuzes und der Kreuzgemeinschaft aushalten oder werden wir uns auf’s Beschweren, auf’s Motzen und Jammern und Fordern zurückziehen?
Werden wir gemeinsam mit dem unschuldigen Jesus wie Jeremia den Argwohn und den Ärger der Menschen aushalten, die in Ruhe gelassen werden und nicht erkennen wollen, was sie tun und lassen müssten, um das Recht zu wahren und weitere, bittere, absichtliche Schuld zu vermeiden?
Werden wir unsere Gewohnheiten lieber haben, als die Gemeinschaft mit Gott, zu der wir gerufen sind?
Werden wir nachfolgen oder das Evangelium Lügen strafen? —
Werden wir also die Hand überhaupt an den Pflug legen[iii]?
Und wenn wir das tun, werden wir dann die Spur mit Jesus halten, obwohl es wahrhaftig beschwerlich ist?
Oder werden wir zurückblicken und lieber in unserm alten Trott bleiben, obwohl da, wo heute nicht umgebrochen und gepflügt wird, morgen nichts mehr gedeihen kann?
Werden wir trotz der Nachteile, der Einschränkungen, der Schwierigkeiten, der möglichen Stigmatisierung und schließlich der ungeahnten letzten Folgen einer Nachfolge Christinnen und Christen bleiben?
Werden wir als die Gemeinde Jesu Christi Seinen Weg zum Reich Gottes mitgehen?
Auch wenn wir dabei klagen müssten wie einst Jeremia? …
… Doch haben wir auch gehört, was er mitten in seiner Klage bekennt?
– „Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held ...“
Und ahnen wir, was das aus dem Mund des leidenden Propheten mitten in der Brutalität seiner Zeit und Welt und unserer Welt und Zeit bedeutet?
Ahnen wir, wohin uns die Nachfolge - wenn wir sie denn wählen - führen wird?
… „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob!“ (Offenb.5,12)
Sollten alle Beschwerlichkeiten, alle Beschwerden und Kümmernisse der jetzigen Passionszeiten nicht dieses österliche Lied wert sein, … das Lied des Lammes, das die Überwinder singen werden am gläsernen Meer, mit Feuer vermengt (vgl. Offenb.15,2), wo klare Erkenntnis also und Leidenschaft verschmelzen, … das Lied des Lammes, das alle Überwinder zusammen singen werden mit Jeremia, dem es im Herzen brannte – wie den Emmaus-Jüngern (vgl. Lk.24,32)! –, als er Gottes nicht mehr gendenken und in Seinem Namen nicht mehr predigen wollte?!
Dahin kann man nachfolgen: Durch die Passion. … Durch die Zeit
Folgen auch wir!
Amen.
[i] https://www.theguardian.com/food/2025/mar/15/north-wales-chef-loses-appetite-for-difficult-diners
[ii] In der Vulgata heißt es schonungslos: „Seduxisti me Domine et seductus sum …“
[iii] Der Wochenspruch – „Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ – aus dem Evangelium dieses Sonntags (Lk.9,57 – 62) gibt dem gesamten Sonntag sein Gepräge.
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