Palmarum, 13.04.2025, Stadtkirche, Jesaja 50, 4 - 9, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth Palmarum - 13.IV.2025                                                                                                      

                  Jesaja 50, 4 – 9

Liebe Gemeinde!

Alles ist Flaschenpost.

Wir heben etwas auf und wissen nicht, wer’s brauchen wird.

Wir stellen etwas her und ahnen nicht, wer dies als seine Schüssel, … als ihr Kleid, … als das ureigenste Zuhause empfinden wird.

Wir bauen eine Brücke und werden nie erfahren, wer sie nutzte, … eine Tür, von der wir nicht erleben werden, wem sie zur Rettung wurde.

Wir tun eine Tat und werden nie bezeugen, wem sie half. Oder zum Verhängnis wurde.

Uns unterläuft nur eine kleine Dummheit, und verborgen bleibt uns, wer ihre schweren Folgen leidet: Wir haben etwas nicht gewollt, und einen anderen hat das vernichtet.

Da hat einer einen Gedanken und er trägt Frucht, die viele nährt.

Vor langer Zeit ist was entstanden, das morgen Segen bringt.

Ein Wort hat einer hingesagt und langsam wurde es zur Mitte einer ganzen Wissenschaft.

Eine Scherbe, die wir zerbrachen, zeigt später eine ganze Welt.

Ein Brief zwischen Zweien tröstet Millionen.

Eine Unscheinbarkeit berührt die Zukunft aller Menschen.

Ein Satz, den jemand auf der Straße hörte, bewahrt ihn vor dem Wahnsinn.

Ein klitzekleiner Punkt wird unvermutet zum Schlussstein einer ganzen Lebensweisheit.

Weil vor und nach uns Menschen waren, Menschen kommen werden, ist alles Flaschenpost.

Das sollten wir nie aus den Augen verlieren: Dass wir an einem Ufer leben, an dem die Strömung der Vergangenheit uns vor die Füße wirft, was wir heut nötig haben. Und dass wir selbst darum solche sein müssen, die dem Strom der Zeit bewusst das übergeben und anvertrauen, was die brauchen können, die in der Zukunft auf die wohltuenden und wegweisenden Zeichen aus unserer Gegenwart warten mögen!

Alles könnte also Flaschenpost werden …. Nur dass sich nie bestimmen lässt, wer wann von wem welche dieser Botschaften empfängt …. ——

Darum könnte es tatsächlich immer wieder zum Nägelkauen sein, wenn an Palmsonntag das dritte Lied vom Gottesknecht aufgeschlagen und zu hören ist: Der dritte jener vier geheimnisvollen Abschnitte (Jes. 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12), die in den reichen Trostworten des Seelsorgepropheten Jesaja in der babylonischen Gefangenschaft ihre seltsamen Zwischentöne entfalten. In diesen vier Liedern wird ein anderes Dunkel sichtbar als das Leiden des Exils. … Eine Gestalt wird da beschrieben und beklagt, … eine Gestalt bezeugt da ihre Berufung und beseufzt ihre Aussonderung, die kaum aus dem Schatten der Verborgenheit in Gottes tiefstem Innerem tritt, … ja, die im letzten, größten, erschütterndsten der Lieder sogar im Rätsel der totalen Verwerfung, der stellvertretenden Vernichtung untergeht. Im vorletzten Lied vor dieser Liturgie vom verachteten, vom verwundeten, vom geschlachteten und verschwundenen Schmerzensmann (vgl. Jes.53,2ff) aber, … in dem Lied, das wir an Palmsonntag hören, da spricht der später Verstummte selber, da spricht und singt Seine Stimme, und bevor Er hingerichtet wird, richtet Er sich darin kerzengerade und herausfordernd in Seiner Herzensruhe auf.

Und es wäre zum Nägelkauen, ja, zum Zittern und zum Zagen, wenn wir annehmen müssten, dass diese Flaschenpost aus dem 6.Jahrhundert vor Christus Christus selber nicht erreicht hätte!

– Er, Der in jeder Hinsicht das erleben, das ertragen, das erfüllen würde, was Jesajas unergründliche Lieder der Ahnung vom völlig unschuldigen Mitleid mit den Schuldigen durchdringt, … Er, Der wie der singende und schweigende Gottesknecht der Vision das alles in aller Realität zu erdulden bestimmt war, … Er muss von dieser Botschaft erreicht worden, Er muss von ihr erfüllt, Er muss von ihr gestärkt worden sein! – … Oder? …….

Zum Glück sind sich schon die Apostel (vgl. Apg.8,32ff) und in allen Jahrhunderten seitdem die Kirche sicher gewesen, dass zwischen Jesajas Gottesknechtsliedern und Jesus Christus ein unlöslicher und unzweifelhafter Zusammenhang besteht.

Es wäre darum gar nicht nötig gewesen, dass wir im Lukasevangelium nun tatsächlich hören dürfen, wie die Flaschenpost des Trostkünders an ihr messianisches Ziel kam: Dort aber (Lk.4,17) erleben wir ausdrücklich den Augenblick in der Synagoge von Nazareth, wo es heißt, dass Jesus am Sabbat „das Buch des Propheten Jesaja gereicht wurde“. „… (U)nd er fand die Stelle“ - heißt es als Nächstes -, wo im letzten, verheißungssatten Teil der Prophetenrolle, weit hinter den Liedern vom leidenden Gottesknecht noch einmal der Gesalbte Gottes in der Ich-Form von Seiner Mission zur Heilung und zur Lösung und zur Rettung spricht.

… „Er fand die Stelle…“: Das heißt Er wickelte die Rolle von vorn bis beinah an ihr Ende auf und kannte ihren Inhalt, Er wusste, wo Er suchen sollte und wie Er finden würde, was das reine Evangelium beschreibt, zu dem die vier tiefen, schweren, sonst kaum erträglichen Leidenslieder führen! ——

… Nur so kann man Ihn heute reiten lassen!

Nur so kann man es aushalten, Ihn einziehen zu sehen in das, wo Er nun wie in einen Strudel hineingerät, der Ihn rascher und unbarmherziger verschlingen wird, als alle anderen Zeugen dieses Freudensonntags in der Todeswoche es auch nur ahnen.

Doch weil Er die Buchrolle des Jesaja am Anfang Seines öffentlichen Wegs empfing, wird sie ihre Botschaft auch bis zum Ziel in Ihm entfaltet haben. … Diese für Ihn bestimmte, diese auf Ihn gerichtete Botschaft vom Leidensweg, der sinnlos unverständlich ohnegleichen und doch gerade darin einzigartig überraschend in seiner alles verwandelnden Wirkung sein würde, …  diese Botschaft war Ihm gegenwärtig, Er vergegenwärtigte sie.

Und so hören wir mitten im ungeheuren Lärm der Menge heute dank dessen, dass der prophetische Grundton einer beschönigungslosen Nüchternheit und Gewissheit dabei in Ihm nachklingt, tatsächlich nur auf die innere Stimme Dessen auf dem Esel.

 

Um Ihn herum skandieren sie - ohrenbetäubend wie jede Menschenmasse - „Juhu! Der Da! Du da! Dieser!“ …, währenddessen in Ihm ganz still und trotzdem klar das Wort schwingt, das Massen durch ihre Zuneigung immer am meisten gefährden, korrumpieren und fast unausweichlich begraben. „Du bist Der!“, schreit die Menge. … Und in ihm schweigt es hell: „Ich … Ich bin Mund und Ohr für Gott und die Müden: Nicht Erfüllungsgehilfe der Tobenden, nicht Brennstoff für die Begeisterten, sondern Ich bin das leise Wort, Ich bin der angehaltene Atem, das wie am jungen Morgen offene Gehör für die unbemerkten, die erstickten Weisen und Laute aller Liebe und aller Not.“ …

 

„Juhu! Der König!“ jubeln sie in einem Taumel, der aus frommer Gerechtigkeit und spontaner Hoffnung und wilder Sehnsucht nach Größe gemischt ist, wie Politisches so oft.

… „Ich bin ein Jünger“, setzt sich die Ihn tragende Ruhe auf dem ruckelnden Esel inmitten des Tumults in Ihm fort. „Ich führe nicht, ich folge; … befehle nicht, sondern höre; … verlange nicht, sondern habe gelernt zu vertrauen.“ …

……. Nicht einmal die frohlockenden und stolzen Jünger, die das ganze wärmende Schneetreiben der Palmblätterrispen und der Zustimmung und der Fröhlichkeit und der Gebetsfetzen und der Applaussalven aus vollem Herzen genossen, … nicht einmal die Jünger ahnten, dass sie tatsächlich hinter dem Größten alle Jünger, dass sie tatsächlich hinter der Demut selbst, hinter dem bereitwilligsten Schüler der geheimen Ratschlüsse Gottes her tanzten bei diesem herrlichen Volksfest! … Obwohl der Esel es ihnen hätte sagen können, dass sie nicht einem Sieger in eigener Sache auf der Spur waren, sondern Einem, Der Sich senden ließ, weil die Welt Brot braucht und etwas, wovon sie leben kann. Doch wer hört schon auf die Einfaltsesel, wenn die Stunde des Löwen zu schlagen scheint? …….   

 

„Ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück“, so hat die geheime Botschaft aus der Vergangenheit in Jesu Innerem einen ganz einfachen, ganz geraden Takt vorgegeben: Ruhig-regelmäßig, ohne Schleppen, Stocken, Zittern. Und wenn Er im Sausen der wedelnden Palmen auch schon das Zischen des Flagrums, der mehrschwänzigen Folterpeitsche ahnte, die die Römer über alle ihre Provinzen schwangen, … so blieb sein Puls doch durch die prophetische Stärkung im Gleichgewicht:

Ich bot meinen Rücken dar,

ich bot meine Wangen dar,

ich verbarg nicht mein Angesicht

So hat von Pflasterstein zu Pflasterstein, über die der Esel Ihn näher an das Kommende trug, auch Jesu Seele Schritt für Schritt eingestimmt in das, was damals vor langer Zeit Gott Selber angestimmt hatte in den Silben des Liedes, das Ihm jetzt zum tiefen, gleichmäßigen Halt im Wirbelsturm des Schicksals wurde. …

 

Die Schrift erfüllt sich also wahrlich nicht nur in Christus, sondern noch viel mehr erfüllt und erhält sie Ihn! Sie hilft!

 

Gott der HERR hilft mir!“ Das ist im schrillen Singsang, den die orientalischen Triller der Jerusalemerinnen und ihrer Kinder sowohl bei Klagen als auch bei Lustbarkeiten verzieren, der tragende Grundton, der basso continuo, über dem sich die „Hosianna!“- und die „Stabat-mater“-Melodien dieser Woche entfalten werden. …

 

Auf dem Esel reitet also Einer, Den die Schrift da durchträgt.

In den Wirbel der auflösenden Vernichtung wagt sich Einer, Der zusammengehalten wird von einem alten Wort, ohne das Er zerfließen müsste in lauter Panik.

… Nun aber bleibt Er aufrecht durch Jesajas Zusicherung; sie hat Ihm die nötige Fassung gegeben, Ihn glatt und hart wie einen Kiesel geschliffen, in den nichts tiefer bohren kann. –

… … … Gewiss, mit letzter Macht kann man sogar alle Steine und jeden Felsen pulverisieren: Das weiß der ruhende Pol in der Hosianna-Hektik, … der stille Mensch im Auge dieser in Zerstörungsrausch kippenden Herzlichkeit. … … … Aber noch sicherer weiß Er, dass nicht irgendein Erfolg zu Jerusalem Ihm Recht geben kann, weil nur das Recht und die Gerechtigkeit Gottes Ihm einst zu Seiner und unserer Rechtfertigung und so zum Sieg verhelfen werden. … … … ———

 

Und so reitet Er in einer vollkommenen Ruhe in die vollkommene Katastrophe.

 

Er wird dort – in Gethsemane, dem Garten Seiner Verzweiflung und auf Gabbata, der Richtstätte (vgl.Joh.19,13) und auf Golgatha, der Hinrichtungsstätte – noch weinen. Betteln, ob Er nicht doch verschont werden könnte. Er wird wilde Schmerzen, Todesangst und eine seelische Nacht erleben, der die Sonnenfinsternis (vgl. Mk.15,33) um Ihn herum entspricht. Er wird leiden und sterben wie ein Mensch unter der Folter und in den Fieberkrallen der körperlichen Qual nun einmal leidet und stirbt. ……. ——

 

Und deshalb bleibt zu fragen, ob man nicht diese Flasche und die Post in ihr, … ob man also diesen Jesus von Nazareth und das prophetische Wort, das Er in Sich trägt und das Ihn durchträgt, heute nicht wegwerfen sollte?!

Ob man sie nicht als völlig sinnlos entsorgen sollte, diese Zusicherung Jesajas an Jesus, dass alles Leiden, das Ihn trifft, Ihn nicht von Gott scheiden kann, sondern im Gegenteil für viele, viele, unzählig viele Menschen den einzig wahren Zugang zu Gott und Seiner rettenden Gerechtigkeit eröffnen wird?! …….

 

Weg mit dieser Botschaft, die niemanden mehr erreicht!

Her mit der Botschaft, dass alle Leiden sinnlos sind, … dass alles Schwere - für uns zumindest - leer ist, … dass wir nix Schöneres tun können, als nur das Schöne zu pflegen und dass es nichts Dümmeres gibt, als sich auf das Schmerzhafte einzulassen: Das ist in verkürzter Verdichtung doch die Stimmung unserer Gegenwart … gewesen.

Aber diese Unkultur der Verdrängung, die nicht nur das Unerfreuliche, sondern damit auch die Unerfreuten, die Bedürftigen, die Schwachen, die Leidenden verdrängt und mit dem Verdrängen aller Probleme und aller Problematischen, mit dem Verdrängen von Menschen also und Welt natürlich auch die Wahrheit und darin Gott verdrängt, … diese Unkultur, diese Anti-Kultur des Rein-Schönen und darum Glatt-Gelogenen wird gerade vor unseren Augen zerschlagen:

Das Schlimme ist immer noch da.

Der Schrecken ist immer noch da.

Der Schmerz ist da.

Die Schande ist da.

Die Sünde.

Satan … Satan ist da, … irgendwo.

Und wir stehen am Strom, der zur Flut anschwillt. Der verdrängte Dreck des Bösen, die entfesselten Wogen des Zerstörerischen, die aufgestaute Sintflut des Chaotischen steigen von Tag zu Tag an. …….

 

Und da spült uns der Anfang der Karwoche diese Flaschenpost vor die Füße, … diese Botschaft: Dass Christus und Seine Christen und Christinnen wie Jesaja und alle Knechte und Mägde Seines Gottes in die Katastrophen ihrer Tage gingen in der Gewissheit, dass sie darin trotz all ihrer Verluste nicht verloren sein würden, … dass sie trotz aller Leiden nicht vergeblich litten, … dass sie in allem Sterben - auch ihrem eigenen! - doch nicht den Tod finden sollten!

 

… Natürlich: Sie alle - einschließlich Jesu - wären lieber nicht gegangen. … … … Als sie jedoch mussten, konnten sie!

 

Wir sollten darum die Flaschenpost, die uns ihren Trost, die uns den Trost Christi zuträgt, bestimmt nicht wieder wegwerfen!

Sondern unser Ohr wecken lassen für ihren Zuspruch.

Unser Gewissen wecken lassen für die Wahrheit über uns und über diese Welt.

Unser Herz und unsere Haltung sollen wir wecken lassen für die Stärkung, die der gestärkte Jesus uns schenkt.

Unseren Glauben sollten wir wecken lassen für das große Leiden, zu dem Er bereit wurde und für das noch größere Ziel, zu dem es führt.

Unsere Welt schließlich sollten wir selber schlicht und im Ernst aufwecken und erwecken lassen für die Freude, dass dieser Jesus Christus gekommen ist, für die Hoffnung, die in Seinem Hingang liegt und für das Wunder, das Seine Auferstehung und Seine Zukunft vollenden werden.

 

Das alles will die alte Botschaft tun, wenn wir sie hören, wie Jünger hören.

 

Dazu verhelfe uns der erste Morgen dieser Woche – der heiligen Woche für die gesamte Kirche auf dem ganzen Erdkreis im Osten wie im Westen! –, … dazu verhelfe uns diese weltweite Woche des Leidens und der unendlichen Hoffnung, die wie keine andere unseren Halt, unseren Trost und unsere sichere Zuversicht wecken und kräftigen will!

Amen.

 

EG 452, 1 - 3 

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