Ostersonntag / Tag der Auferstehung des Herrn, 20.04.2025, Stadtkirche, Johannes 20, 11-18, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Tag der Auferstehung des Herrn - 20.IV.2025
Johannes 20, 11 – 18
Liebe Gemeinde!
Nach dem jüngsten medialen Hype um das Fasten der anderen und dessen Ende, gestatten Sie mir jetzt auch ein kleines Zuckerfest.
– Ich mag öfter zwar vollmundig gepredigt haben, aber selten bis nie mit vollem Mund. … Sei’s drum: Vor der Vollendung sind wir im tiefsten Innern alle Ferkel. … Ich darf also?! (Isst eine Madeleine; dabei mit vollem Mund:)
…. Nach dem ersten mit Gebäckkrümeln gemischten Schluck Tee: „Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein besteht und dessen Grund mir unbekannt bleibt, durchströmt mich. Es lässt mir mit einem Schlag, wie die Liebe, die Wechselfälle des Lebens gleichgültig werden, seine Katastrophen ungefährlich, seine Kürze imaginär, und es erfüllt mich mit einer köstlichen Essenz; oder vielmehr: diese Essenz ist nicht in mir, ich bin sie selbst. Ich hab’ aufgehört, mich mittelmäßig, zufallsbedingt, sterblich zu fühlen. Woher strömt diese mächtige Freude mir zu?“[i] ….
Manche werden diesen krümelreichen inneren Monolog, den der vielleicht größte Gedächtnisforscher im Gewand eines Dichters, Marcel Proust, zum Ausgangspunkt seiner überreich erfolglosen „Suche nach der verlorenen Zeit“ macht, gut kennen: Die will ich enttäuschen. … Mir geht’s nicht ums Gedächtnis, sondern ums Gebäck.
Weil es so wichtig heißt. … In Wirklichkeit vermutlich nur nach einer kleinen französischen Bäckerin im Ancien régime. … Für mich aber nach der Apostelin aller Apostel: Madeleine. Magdalena.
Diese Maria Magdalena ist unter allen unmittelbaren Zeuginnen und Zeugen Jesu die unverwechselbarste … und zugleich die völlig Verborgene.
Man spürt in allen Evangelien, dass sie eine einzigartige Rolle hat, gerade weil sie erst da auftaucht, wo niemand sie verdrängen kann, wenn fast alle anderen spurlos von Jesus gewichen sind, die nicht aus Gründen der Blutsverwandtschaft oder eines einzigartigen Bandes wie der Lieblingsjünger sein Verhängnis teilen.
Wo die anderen verschwinden, erscheint sie aus dem Nichts, wenn Schatten und Nebel des Leidens und Schmerzes die Bildfläche verdecken. Wie der Leuchtturm, der in ihrem zum Eigennamen gewordenen Beinamen - „die aus Magdala“ – anklingt, sieht man sie, wenn alles sonst in der Dämmerung versinkt.
Und auf Golgatha, im Meer der Dunkelheit, die die anderen schluckt, überragt Magdalena die Szene (vgl. Matth.27,56/ Mk.15,40 / vgl. Lk.23,49+55, das sich auf Lk.8,2 bezieht / Joh19,25). Aber nicht als Heldin der Treue oder der Rache wie Isolde oder Ophelia, sondern als etwas viel Eindringlicheres: Als eine Gebrochene. Geheilte. Eine Frau mit tiefsten Lebensnarben, die deshalb vor dem Leben auch in seinen Extremen nicht flieht, weil sie’s durchgemacht hat. … Erfährt man im Evangelium doch, als sei’s beiläufig (vgl. Lk.8,2 / Mk.16,9)), dass Jesus sie von sieben dämonischen Quälgeistern befreit hat. Sieben: Die biblische Zahl der Vollendung! Sie war also psychisch vollkommen durch Zwang und Zwiespalt, durch Trauma, Traurigkeit und Wahn, durch Hemmung, durch Störung besetzt und entmachtet.
Nachdem sie das aber hat hinter sich lassen dürfen, hat gerade sie keinerlei Berührungsängste, keine Grenzen mehr: Wer Schlimmstes überlebt hat, ist gefeit vor falscher Sicherheit.
Es ist also eine intuitiv stimmige Annahme, dass die Tradition seit beinah anderthalbtausend Jahren in der namenlosen autonomen Frau, die Jesus mit Salböl überschüttet und ihn völlig unbekümmert und unkonventionell dabei berührt, Magdalena zu erkennen meint, der weil sie viel geliebt hat, viel vergeben worden ist (vgl. Lk.6,47).
Reich an Leiden, reif durch Erfahrung, rein in ihrer Emotion.
… Und doch wissen wir nichts indiskretes Näheres über diese Magdalena: Nichts Näheres über ihre Gemütskrankheit – nach der die Engländer das sentimentale Rührseligsein der Betrunkenen heute noch durch das Adverb „maudlin“ bezeichnen – ; wir wissen trotz vieler schmutziger und misogyner Phantasie nichts Näheres über die Umstände ihrer vergebenen Sünden – nach denen Luther seinem Lieblingstöchterlein den Namen der großen Gerechtfertigten gab –; nichts Näheres wissen wir über die zerstörerischen oder heilenden Kräfte ihrer Liebe – auch wenn das Bild einer lebenslang zur völligen Veränderung und beständigen Hingabe drängenden Büßerin gerade im romanischen Kulturkreis seit dem Barock ein besonders affetuoses, leidenschaftliches Glaubensleben geweckt hat –.
So wenig wissen wir über sie! …
… Eigentlich nur, dass wir heute nicht hier wären, nichts feiern und vermutlich auch nichts glauben würden, wenn sie, die erste Zeugin der Auferstehung nicht den Reigen anführte.
Alle vier Evangelien nennen tatsächlich ihren Namen an erster Stelle in den Schilderungen des Osterwunders (vgl. Matth.28,1/Mk.16,1/Lk.24,10/Joh.20,1): Eine solche lückenlose Übereinstimmung der Überlieferung ist nicht zu Fall zu bringen. Hier steht man auf dem Boden der Tatsachen.
… Der ursprünglichen Tatsache also, dass wir Ostern feiern, … an die Auferstehung Jesu glauben, … als Christen leben und handeln aufgrund der Aussage einer geheimnisvollen, vormals geistesgestörten Frau mit Vergangenheit, Verletzlichkeit und Privatsphäre.
Das ist Fakt. … Niemals geleugnet. Nirgends vertuscht. Ein Sonderangebot für alle Bestreiter des Christentums von Anfang an. Eine Steilvorlage für alle, die das Christentum im Lauf der Zeit hinter sich ließen. Ein Klischee für die pathologisierende, frauenverachtende Psychologie des 19. Jahrhunderts: „Hysterikerin“! Ein Grundstein für die feministische Theologie im 20. –
Und für solche middle-of-the-road-, … solche nicht besonders ausgeprägt atheistisch, agnostisch, tiefenpsychologisch, emanzipatorisch oder sonstwie „-isch“ daherkommenden Leute wie uns hier?
– Was hilft, was schadet uns die Wahrheit, dass wir uns Maria Magdalenas eigen- und einzigartigem persönlichen Widerfahrnis verdanken?
Ist deshalb besondere Vorsicht geboten? Müssen wir den Mund weniger voll nehmen, wenn es nicht das berühmte Schwarzbrot des Glaubens, sondern bloß die eischneeleichten Madeleines sind, die ihn uns füllen (vgl. Ps.81,11)?
Vielleicht ist es tatsächlich hilfreich, mit den Hühnereiern anzufangen, die in der östlichen Christenheit der Magdalena zugeordnet sind. Dazu gibt es zwei Legenden[ii]:
Die erste ist aussichtsreicher Anwärter auf den Preis des traurigsten Rohrkrepierers aus der Gattung österlicher Flachwitze. Mit einem ungefärbten Ei wird die treueste der Jüngerinnen dargestellt, so besagt es diese irgendwie an den sozialistischen Realismus gemahnende Überlieferung, weil sie am Ostermorgen in weiser Voraussicht, dass die Sache am Grab langwierig werden könne, hartgekochte Eier eingepackt habe. … Aua!
Die andere, weit verbreitete Magdalenen-Legende sieht sie als verführerische und selbstbewusste Anhängerin Jesu tatsächlich nach Rom reisen, wo sie es schafft, Zugang zu Kaiser Tiberius und eine Einladung an den Hof zu erzielen. Bei Tisch nutzt sie die Aufmerksamkeit des Imperators, um sich bitter und juristisch gewieft über den Justizirrtum des Pilatus zu beschweren, den Gott selber durch die Auferweckung Christi widerlegt habe. Indes: Der aller Naivität gegenüber völlig abgebrühte Kaiser entgegnete trocken, dass die Wiederkehr eines Toten aus der Unterwelt doch ungefähr so glaubhaft sei, wie das Ei in der Hand seiner charmanten Tischdame sich von selbst rot färben könne. … Raten Sie, was geschah?! …
Was beide Legenden - sowohl im phantasielosen wie im phantastischen Gewand - uns vorführen, ist nun aber der menschheitliche Doppeldrang zur Selbständigkeit und zur Erklärung. In beiden Erzählungen „machen die“ Erzählenden sich - ums in schlechtem Deutsch und noch schlechterer Theologie auszudrücken – „Sinn“. Sie machen sich Sinn, indem sie sich Gründe verschaffen: … Solide Erfahrungsgründe aus der Welt des Küchenpersonals, … magische Gründe für die erlauchte Sphäre der Macht.
Sinn und Grund jedoch sind nichts anderes als der Stoff der Religion. Der Mensch also macht sich selbst seine Religion, indem er je nach Lage Bekanntes oder Obskures als begründend heranzieht, um sich zu erklären, was er sieht oder spürt und was er verstehen, was er glauben möchte.
Im Machen solcher Religion ist der Mensch groß.
Gründe für das, was er will, was ihm nötig oder opportun erscheint, schafft der Mensch mühelos.
Wir erleben es täglich.
Nur Magdalena ist darin völlig ungeübt und erfolglos.
… Sie erkennt ihren sehnlichsten Wunsch nicht, sogar wenn Er vor ihr steht.
Denn das Leben hat sie gelehrt – eben, weil sie ein Wunder erlebt hat, das so viel größer war als alles menschliche Vermögen und alle menschliche Vorstellungskraft –, nichts zu hoffen über das Naheliegende, das Vor-Augen-Liegende hinaus: Und das ist der Tod. … Die Bitterkeit, die sie kennt. … Der Schmerz, den sie damals, bei der Heilung hinter sich lassen durfte und dem sie sich jetzt wieder stellen wird. Sie ist gerade als die von Christus Begnadete die große, von allen Illusionen, von allem Spuk des Wunschdenkens und der Halluzinationen geheilte Realistin geworden. … Ans Grab gekommen, um zuende zu bringen, was so schön war und so heilig … und nun vergangen ist. … Fast traut man ihr sogar die hartgekochten Eier zu, … die Proteine für die buchstäbliche Knochenarbeit, einen Stein irgendwie weggewälzt zu kriegen, einen Toten irgendwie noch einmal aus den blutigen Fetzen und Lappen, mit denen man seinen Kadaver unterm Galgen zusammengeflickt hat, auszuwickeln und dann die letzte Arbeit, den letzten Dienst der Liebe an diesen geschundenen Überresten zu verrichten. … Und dann für immer leer und einsam und unheilbar klüger geworden fortzuleben. … In Magdala. … Oder in den Höhlen von Qumran, wo sie so streng sind, dass man ihresgleichen da natürlich nicht dulden wird. … Oder auf den Straßen des für sie plötzlich ausgestorbenen Weltreichs der Menschen. … Oder in den Slums von Antiochien. … Karthago. … Rom. …….
Die jedenfalls legt sich nichts zurecht.
… Da können Engel vor ihr stehen. … Sie wird keine Schlüsse mit dem Herzen mehr ziehen, und ihr Herz hat auch keine Gründe mehr, … nur noch Abgrund. Es ist Schluss! Nichts legt diese sich mehr zurecht. … Nur mit dem Gärtner sich an. … Mechanisch tun, was getan werden muss. … Nicht grübeln! Daraus entstehen nur die selbst-geweckten Geister, diese Kaleidoskop-Bilder des High-Seins, die religiösen Schübe, in denen man hat, was in Wahrheit verwehrt ist und findet, was die Wirklichkeit schuldig bleibt. Sie kennt das in siebenfacher Stärke! Also geh’ Du mir aus dem Weg, Du Friedhofsgärtner, … Du Gartenzwerg, Du Gnom des Todes: Mich hältst Du nicht zum Narren! – Ich bin eine nüchterne Leichenwäscherin. … Pack’ halt mit an, wenn Du weißt wie. ….. ———
… Weniger selbstgemachte, an den Haaren der Sehnsucht herbeigezogene Sinnerfahrung, kann es nicht geben!
Sie hat Ihn nicht erkannt: So sehr ist sie fertig mit dem Hoffen! So sehr ist sie der letzte Turm, der steht, auch wenn es kein Licht mehr gibt und ringsum nie wieder eine Aussicht sein kann in dieser Landschaft der Verwüstung.
… Womöglich murmelt sie die Worte des Propheten Jesaja (1,8) brütend und wütend und innerlich versteinert vor sich hin: „Übrig geblieben ist allein die Tochter Zion, wie ein Häuslein im Weinberg, wie eine Nacht-hütte im Gurkenfeld, wie eine belagerte Stadt …….“ ———
Doch ein Anderer macht ihre Religion! … Und unsere!
Ein Anderer legt den Grund und ist der Grund, den Menschen sich selbst so niemals zurechtlegen würden. Es gibt keinen anderen Grund, als diesen (vgl. 1.Kor.3,11)!
Diesen Grund zu legen, ist nicht an oder in uns. … Umgekehrt: Wir sind dieser Grund für Ihn!
… Was das bedeutet? … Es bedeutet, dass Er unseretwegen, um unserer religiösen oder nicht-religiösen Verlorenheit willen, um unserer heutigen und künftigen Hoffnungslosigkeit willen, um unserer verhängnisvoll selbstgemachten oder selbstzerstörten Zukunft willen gestorben ist, in den Tod gegangen ist, in die Vernichtung und Dunkelheit und radikale Gottlosigkeit geraten ist. Um sie mit Sich zu erfüllen. Um sie durch Sich zu ersetzen. Um sie selber zu zerstören und aus ihnen lebendig und unvergänglich hervorzugehen. … Um unseretwillen! … Das ist der Grund!
Und Er spricht ihn aus!
Der Grund heißt: „Maria! Du! Die aus Magdala!“
Du bist für Jesus Christus der Grund! Dein Name. Dein Leben. Dein Weg. Dein Leid. Deine Not. Dein Sterben.
Du bist der Grund: „Maria!“
Und die Antwort auf alles das, was wir nicht selber herbeiwünschen, herstellen, erwirken, erreichen, beweisen, behaupten können, … die Antwort auf das, was Er macht, ist:
„Rabbuni! - Mein Lehrer! - Mein Meister! - Mein Herr!“ ——
Das eigen- und einzigartige persönliche Widerfahrnis der Magdalena bedeutet für uns also, dass wir mit ihr und genau wie sie, nichts machen müssen: Wir können Offenbarung nicht machen. Wir können Religion nicht machen. Wir können Ostern nicht machen, Auferstehung nicht machen, Erlösung nicht machen, Leben – zeitlich oder ewig – können wir auch nicht machen.
Und auch nicht festhalten! Was wir nicht schaffen müssen und können, das können und müssen wir auch nicht in unsre Macht bringen, das fällt nicht in unsere Handhabe.
„Noli me tangere! – Rühr’ mich nicht an!“, das bedeutet darum keine Abfuhr – die gilt dem, der es acht Tage später unbedingt mit seinen eigenen Händen begreifen musste (vgl. Joh.20,29) – sondern das „Du musst nicht mich behandeln, sondern Ich werde dich und alle mit mir zu Gott bringen“ bedeutet Entlastung.
Die letzte, größte, bleibende Entlastung:
Maria, es liegt nicht in Deinen Händen! Es hängt nicht an Dir und Du musst nicht die religiöse Hoffnung sein oder der lebendige Beweis für den Glauben. Weder vollmundig, noch mit vollen Händen, noch in irgendeiner anderen, Dich wieder zum Gegenstand, zum Instrument machenden Weise liegt es an Dir. Du darfst das Geheimnis Deiner Liebe, Deiner Schuld, Deiner Heilung, Deines Lebens behalten. Denn ich kenne es: „Maria!“
… Und ich nehme es mit zu Gott! … Und Dich auch!
Du aber musst nicht mehr sein, als die, die sagt, was ich zu Dir gesagt habe.
Sage ihnen, dass Der, Der von den Toten auferstanden ist und in das Leben Gottes vorangeht, sie alle, einzeln, eigenartig, persönlich, namentlich mit Sich führen will. So wie Dich, Marie Madeleine! …
… Und die es hören ……….
(Isst eine Madeleine; dabei mit vollem Mund:)
…. „Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein besteht und dessen Grund mir unbekannt bleibt, durchströmt mich. Es lässt mir mit einem Schlag, wie die Liebe, die Wechselfälle des Lebens gleichgültig werden, seine Katastrophen ungefährlich, seine Kürze imaginär, und es erfüllt mich mit einer köstlichen Essenz; oder vielmehr: diese Essenz ist nicht in mir, ich bin sie selbst. Ich hab’ aufgehört, mich mittelmäßig, zufallsbedingt, sterblich zu fühlen. Woher strömt diese mächtige Freude mir zu?“ ….
„Maria!“
„Rabbuni!“
Amen.
[i] Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 1: Unterwegs zu Swann, übers. v. Eva Rechel-Mertens, rev. von Luzius Keller (Frankfurter Ausgabe Werke II Bd.1), Frankfurt/M 20003, S.67.
[ii] Zusammengefasst zugänglich sind die banale und die weiteverbreitete, elaborierte Legende z.B. hier: chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://stgeorgemelkite.org/wp-content/uploads/2020/04/The-Story-of-Mary-Magdalene-and-the-Red-Egg.pdf
Osternacht, 19./20.04.2025, 1.Thess. 4,13-18, Stadtkirche, Jenny Müller
1.Thessalonicher 4, Vers 13-18 - Von der Auferstehung der Toten
Wir wollen euch aber, Brüder und Schwestern, nicht im Ungewissen lassen über die, die da schlafen, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben.
Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die da entschlafen sind, durch Jesus mit ihm führen.
Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zum Kommen des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Ruf ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und die Toten werden in Christus auferstehen zuerst.
Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft. Und so werden wir beim Herrn sein allezeit.
So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.
„Wir die wir lebendig sind“
Wir stehen hier in deinem Raum und deiner Zeit,
Sind bei dir geweiht,
Du bist der, der bei uns bleibt.
Das nennt man Ewigkeit.
Ewigkeit in Raum und Zeit.
Und da ist einer, der uns alle vereint:
„Jesus Christus- gestern, heute, und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8)
Durch alle Momente, die wir fast vergaßen,
durch alle Geschichten, die wir uns anlasen
durch alle Himmel, die wir gesehen,
durch alle Sprachen, die wir verstehen,
durch alle Liebe, die wir gegeben,
durch all die Hoffnung, die wir hegen,
durch allen Glauben, der uns bewege.
Da bist und bleibst Du.
In jedem Hause, in dem du lebst, du am Kreuze in der Mitte stehst.
Das Kreuze an der Kirchenwand,
was man im Dunkeln kaum erkannt,
oder dass Kreuze an der Straßenecke,
wo du mich und mein Herz im Vorbeifahren auferweckest.
Das Kreuze in alten Büchern, die wir wälzten,
oder auf dem Gipfel, wo der Himmel ist am hellsten.
Du am Kreuz, das zieht sich durch alle Zeit- ich denke das nennt man wohl Ewigkeit.
Und doch bist du mir, mein lieber Jesu,
nach unendlichen Studien und verstohlenen Blicken,
nach meiner Herzens-Sehnsucht, die auf dich projiziert,
nach meiner Lösung, die durch dich portraitiert-
und doch bist du mir da am Kreuze, mein lieber Jesu, nicht geheuer.
Nicht geheuer, wie du quälend da hängst- an jedem erdenklichen Kirchengemäuer.
Ja, na klar- da ist Demut, Trauer und Dankbarkeit in meinem Blick, immer dann, wenn ich dich da am Balken erblick.
Da ist Verbundenheit mit der Vergangenheit,
mit allen Seelen, die bei dir in allen Gezeiten am Kreuze stehen.
Doch geht es mir nicht in meinen Kopf, dass da hängt ein Kreuz,
was mir soll -Liebe- einbläuen.
Dass da mich anstarrt der Schmerz, und keine voll Glaube bebendes Herz.
Dass der bitterste Moment in deinem Leben, muss in aller Welt breitgetreten,
muss uns verfolgen durch Raum und Zeit, als hätt es kein besseres Portrait von dir gegeben für die Ewigkeit.
Du ziehst dich mit allem Schmerz von Sekunde zu Sekunde, von Epoche zu Epoche, von Kirchenwand zu Kirchenwand- und ich frage mich- hat das Kreuz-Symbol nicht deine Wahrheit verkannt?
Wenn dein Anblick einen Kloß in meinem Hals schnürt,
wenn ich mich fühl traurig von dir berührt,
wenn du verkörperst den Tod und nicht die Lebendigkeit,
sag wie kann ich dann mit dir lebendig sein, hier in meiner Zeit?
Es ist das Gefühl, dass dieses ewige Symbol nicht mehr passt in unsere Zeit,
dass wir eigentlich warten auf einen Superheld, der gegen alles ist gefeit,
der für uns streiten würde in jedem Fight,
einer bei dem sich eine Macht-Pose an die nächste reiht.
Doch stattdessen, hängst du da demütig, verletzlich und klein. Erträgst du den Schmerz still, dein Herz so rein- sag wie soll, kann, darf ich bei dir sein?
Du am Kreuze gefangen in einem inneren Streit- so darf ich denn nur zu dir kommen, wenn in mir bebt das Leid?
Wie kannst du mich trösten, wenn die Trauer ist bei dir selbst am größten?
Wie kann ich glauben, dass du mich befreist, wenn du am Kreuze selbst bist weit entfernt vom Höchsten?
Wie willst du mir Hoffnung geben, wenn das Kreuze mir alle Hoffnung nehme?
Wie will ich glauben du bist auferstanden und lebendig, wenn du bist starr und nicht wendig?
Doch wenn wir heute mal unsere weltlichen Augen verschließen und dich nur mit unserem Herzen ansehen,
wenn wir einen Schritt weiter gehen und mit dir heute Nacht auferstehen,
wenn wir uns von deinem Holz leiten lassen, dann erzählt es uns, was wir bis jetzt verpassten.
Dann nimmst du uns am Kreuze mit dir mit- in dein gestern, heute und morgen. Dann lässt du uns nicht länger bei den Verstorbenen, dann bleibt uns das Ungewisse nicht länger verborgen.
Wir beide im gestern:
Gestern warst du Tod.
Und ich mit dir.
Gestern warst du Tod. Alles verloren, der Teufel neugeboren, Dunkelheit in meiner Seele, in deinen Händen eiserne Nägel.
Ans Kreuze genagelt, blutig geschlagen, mitten am Verzagen,
da hingst du.
Mein Herz in der Brust haut, ich krieg Gänsehaut,
dein Schrei zum Himmel – ich hörte ihn-so laut,
Da hingst du.
Ich spür deinen Schmerz, ich bin mir sicher ich kenn dein Herz.
Alle Uhren laufen rückwärts. Ich seh mich an deiner Seite stehen, mit dir in die Dunkelheit gehen.
Da hingst du.
Wenn die Hoffnung selbst stirbt,
wenn da etwas in einem zerspringt und klirrt,
wenn da keine Zukunft mehr, die um einen wirbt,
wenn alle Lichter hat man ausgeknipst,
wenn die Endlichkeit dir auf die Schulter tippt-
dann hängt mein Herz mit dir am Kreuze mit.
Du und ich im jetzt und hier:
Auch wenn mein Herz voll Trauer, es wird nicht sein von Dauer.
Denn wenn ich an dich glaube, dann wirst du mich bringen zum Staunen.
Wenn ich nicht, wie Besagte, entschlafe im Hoffnungslosen,
dann wirst du mich aus den Tiefen hohlen,
Ich kann sie sehen deine Wolken, ich werde ihnen folgen.
Und ja, dann höre ich sie, von der Empore kommen, in dieser Nacht:
Die lauten, glücklichen Himmelspauken,
die Trompeten, die allen Geliebten wieder Lebendigkeit einhauchen,
Gottes Stimme in meinem Ohr, die mir sagt: „Ich heb euch alle wieder und wieder empor“. Die Engels Schaar, die kommt in Herrlichkeit- die ist für alles bereit: Für jeden Fight.
Denn seien wir ehrlich: Wir brauchen keinen irdischen Superhelden mit Muskelkraft-
deine Kraft ist es, die uns verbindet hier an deinem Kreuze in dieser Nacht.
Und so ist es gefüllt mit aller Liebe, dieses Kirchen-Gehäuse.
So leuchtet es mir endlich ein, wie du am Kreuze kannst Liebe sein.
Ja, auf einmal kann ich sehen- dass du bist, voller Leben. Dass du gestorben bist, um uns was zu geben, dass du gekommen bist, um uns in die Ewigkeit zu heben.
So ist dieses Kreuze kein weltlicher Schmerz- zumindest nicht nur- dieses Kreuze ist ein Schwur:
Dass du mit uns gehst, durch die dunkelsten Stunden, dass du heilen wirst all unsrer Wunden. Dass wir mit dir das Licht werden erkunden, dass wir im Herzen sind verbunden.
Wir beide in Ewigkeit:
So wird unser beider morgen ein für immer sein:
„Denn Wir werden beim Herrn sein allezeit.“
Im morgen wirst du auferstehen und neben mir lebendig meine Wege mit mir gehen.
So wird dein Kreuz mich zukünftig an was anders erinnern: Ich bin eines deiner Kinder.
Und diese eisernen Nägel in deiner Hand, sie hielten auch dich nicht im irdischen Bann. Diese Nägel, so eisern, werden sein für mich wie ein Versprechen, wie ein Schwur zwischen dir und mir, einen den kann man nicht brechen:
Wie der Ring am Finger einer Hand, einer der für immer verband.
Wie zwei verschmolzene Blicke, voller gemeinsamer Momente,
wie das Gefühl verbundener Hände.
Wie dein Wasserschwall über meinem Kopf,
wie mein Herz voll Heimat in deiner Kirche pocht.
Wie das Kreuz, dass du mir für ewig auf die Stirn gemalt,
wie unser Glaube der alles überstrahlt.
Das ist Ewigkeit in gestern, heute und morgen
Du sagst: „Mein Kind, mache dir keine Sorgen, ich bleibe dir nicht verborgen, ich bin mit dir an allen Orten, ich werde dich halten gestern, heut und morgen- geborgen.“
Und so ist das Kreuze für mich nun mehr keine Last,
sondern ein Ort, an dem mache ich gerne Rast:
Wir hängen nicht am Kreuze machtlos,
denn unser Glaube macht uns königlich groß.
Durch ihn kann mein Herz dich sehen, stehend da am Himmeltor- wie du kommst zu mir, und ich zu dir empor.
Wir alle werden mit dir leben, denn du wirst uns auf Wolken heben.
„Du mein Jesus am Kreuze da, du bist und bleibst für immer wahr.
Gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit“ Halleluja.
Karfreitag, 18.04.205, Stadtkirche, Johannes 19, 16-18.25-30, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Karfreitag - 18.IV.2025
Johannes 19, 16 -18; 25 -30
Liebe Gemeinde!
Wie muss es in der Welt aussehen, wenn das Karfreitagsevangelium nicht düster genug ist?!
… Denn tatsächlich: So war meine Meditation in diesem Jahr. Ein beunruhigtes Hin- und Herwälzen des Berichtes vom Leiden und Sterben Jesu im 4. Evangelium, … auf der Suche nach dem wirklichen Schmerz des Opfers, nach der nackten Grausamkeit der Täter, nach dem zynischen Stelldichein, das sich die Verzweiflung auf Golgatha so geschickt vorbehält.
Der Spott der Menge, die letzte Gehässigkeit des Mitverurteilten, die auch nach fast zweitausend Jahren unerträglich gebliebene Verlassenheit des innerlich wie äußerlich gescheiterten Jesus: Das alles wären direkte Echos und Spiegelbilder unserer Wirklichkeit.
Wenn wir heute das Gebrüll des Sadismus und der Aggression, das Gezischel der Heuchelei und des Nihilismus, die verlogenen Seufzer des Atheismus und des triumphalen Pessimismus hören würden, die uns alle auch im biblischen Zeugnis von der Ermordung Jesu begegnen, dann wäre uns das also vertraut:
So beklagen wir ja ganz aktuell, dass leider, leider alles zerstört wird.
So feiern viele in unseren Tagen, dass die Dummheit vielleicht doch stärker ist als die Vernunft.
So machen sich Zuschauer und Beteiligte im Theater des ungebremsten Wahnsinns gegenseitig eine Unschuld weis, die schlicht niemand behaupten kann, der hier mitgehangen, mitgefangen ist.
Destruktiv, depressiv, negativ: Das wäre der Ton unserer Wahrheit.
… Den Ton des Johannes dagegen können wir nicht einordnen …….
… Ist das Ironie?
… Oder Illusion?
… Ist das Weltflucht?
… Oder eine doktrinäre Sonderlogik, die absolut gar nichts mit der Realität zu tun hat?
… Dass da einer unschuldig umgebracht wird und dabei zuletzt - - - - - - - alles gut wird?
Kann aber denn nicht auch das Karfreitag sein? … Muss Karfreitag nicht auch das bedeuten?
– Dass unsere Erwartungen sterben? … Dass unsere Erklärungen sterben? … Dass unsere Enttäuschungen und unsere Erfahrungen sterben? … Dass unsere Erkenntnis, die Stückwerk ist, und unser Wissen, das Stückwerk ist und unser prophetisches und politisches Reden, das Stückwerk ist, aufhören muss, wenn das Vollkommene kommt (vgl. 1.Kor.13,9f)?!
Wie sollten wir, die alle nicht einmal selbst den Tod schon geschmeckt, ihn nicht erlitten, ihn weder an- noch ausgefochten haben, ihm in gar keiner Hinsicht jemals auch nur beigekommen wären, … wie sollten wir also irgendeine Kategorie dafür haben, dass sich am Kreuz das fleischgewordene Wort dem Tod gestellt hat?!
Ist es nicht geradezu unvermeidlich, dass da, wo das Primäre und das Finale – das in einem Menschen inkarnierte Schöpfungswort und die Supermacht der organischen Auslöschung allen Lebens – aufeinandertreffen, etwas geschieht, das uns sprachlos macht und unfähig zur Orientierung?
Wenn wir alles wiedererkennen würden auf Golgatha, wenn wir die Handlung und das Leid, die Tatsachen und ihren Sinn oder ihre Sinnlosigkeit einfach entschlüsseln, einfach ausschöpfen könnten, … wenn wir einwandfrei oder voller Einwände sofort nicken könnten – „Kennen wir!“ – oder sofort unser weises Haupt schütteln dürften – „Kann überhaupt nicht sein!“ –, dann wäre Karfreitag besser ein Dienstag, dann wäre der Tod Jesu etwas für die Statistik und die Erlösung der Welt gehörte weiterhin auf die Musical-Bühne oder in den Koalitionsvertrag.
Wenn wir das, was da geschah, einfach in allem anderen, einfach in aller Allgemeinheit, einfach in unserm Alltag genauso vorfänden, … dann wäre es tatsächlich nicht das Geschehen, von dem doch die Zeugen alle – auch die, die das Desolate und Brutale daran am meisten bewegte – berichten: Weder Markus, noch Matthäus, noch Lukas und kein Christenmensch seither bis weit ins 18.Jahrhundert hinein hat je gedacht, dass da auf Golgatha sich etwas Ordinäres, etwas Gewöhnliches, mit anderen Worten ein „normaler“ Tod ereignete.
Ein menschlicher Tod: Gewiss!
Ein echtes, physisches, unbetäubtes Leiden: Eindeutig!
Der psycho-somatische Kampf der sterblichen Natur gegen ihr definierendes Wesensmerkmal - das Sterben - : Ohne jeden Zweifel!
… Aber dieses alles in der ungewöhnlichsten, extraordinärsten, singulärsten Weise überhaupt!
Weil es der Lebendige, der Schöpfer des Lebens, der Geber und Erhalter, der Schützer und Verteidiger aller Lebensformen, aller Lebensfreude, Lebensfunken und Lebensglut, aller Lebenskeime, Lebenshoffnung und Lebensverheißung war, Der da Sein Leben hingab.
Diesem einzigartigen Umstand entspricht der vierte Evangelist von Beginn an, indem sein Augenzeugenbericht vom Leben Jesu mit einem Hymnus (Joh.1,1-18) anhebt, der im Gegensatz zu allem Selbst-Erlebten vor die Zeit selbst zurückreicht, bis ins ungeschaffene Innengeheimnis des Schöpfers durch das Wort: … Etwas, das in seiner nüchternen, ehrfürchtigen und doch ganz unspekulativen Kühnheit eigentlich unvorstellbar ist von einem, der dieses tiefste Mysterium, dessen Anhänger und treuer Freund er persönlich werden durfte, hat sterben sehen.
Johannes auf Golgatha erlebte den Tod des Lebens. … Des „Urhebers des Lebens“ (vgl. Apg.3,15).
Und das heißt: Johannes erlebte hautnah, als Zeit- und Augenzeuge das Scheitern der Schöpfung. … Beinah so wie wir: … Deren Bilanz und Perspektive völlig vom Schatten der scheinbar unabwendbaren, von uns nur noch achselzuckend erkannten und dann verdrängten Zerstörung bestimmt wird.
Und doch hat Johannes persönlich auf Golgatha, beim Sterben des schöpferischen Logos, des Wortes, aus dem alles lebt, etwas grundlegend Anderes erlebt.
Wir übergehen das oft. … Weil es uns Protestanten erblich fremd ist. …Weil wir es als infantil oder regressiv verstehen oder höchstens als etwas rührend Volkstümliches einordnen: Johannes hat beim Sterben Jesu, des Lebensursprungs, den er liebte, eine Mutter empfangen.
… Da hüsteln wir: Kitsch oder Kindlichkeitskult. … Für uns gestandene Leute, die Mündigkeit und Autonomie als lebensnotwendige Voraussetzungen unserer selbst erfahren, ist Jesu Vermächtnis der familiären Zueinanderordnung seiner Mutter und seines Lieblingsjüngers – „Siehe, das ist dein Sohn!“, „Siehe, das ist deine Mutter!“ – eine altorientalische Anekdote.
Wir fühlen uns erwachsener (wer weiß: vielleicht auch männlicher?!), wenn wir dem Schicksal - und sei’s dem Scheitern der Schöpfung! - in tragischer Vereinzelung, mutterseelenallein entgegensehen.
… Doch was ist, wenn die Seele eine Mutter braucht?
Was ist, wenn es von Adam - über dessen Grab die spätere Legende ja Golgatha verortet – nicht zufällig heißt, dass es schon bei ihm nicht gut war, dass der Mensch allein sei (1.Mose2,18)?!
Was ist, wenn Johannes ausgerechnet in jenem Augenblick, in dem das geliebte Leben, der geliebte Jesus starb, erlebte, dass sich gerade da etwas aus dem Paradies wiederholte?
… Gerade als auf der Schädelstätte der Kosmos wieder in der trostlosesten Verödung seit im Anfang alles wüst und leer war (1.Mose1,2) ins Nichts gähnte, … gerade als die Verlassenheit der Verwaisten und Verwitweten mit ihrer überwältigenden Negativität einsetzte, die alles Weiterleben für Hinterbliebene bis heute unter der Einsamkeit ersticken kann, … gerade da wurde das Wort des Anfangs ganz konkret: Nicht allein sein! … Sondern die Gnade eines anderen Menschen als Gegenüber und Gehilfe empfangen.
Johannes und Maria. Maria und Johannes: Der Jünger unter dem Kreuz wird das Wort aus der Schrift im Ohr gehabt haben, das direkt auf den Fluch folgt „Staub bist und zum Staub kehrst du zurück“: Damals ganz am Anfang, als das von Gott schmerz- und schuldlos geschaffene Leben schon scheiterte und der Tod aufkam, hieß es tatsächlich im nächsten Satz (1.Mose3,20), dass Adam, der ab jetzt sterbliche Erdenmensch die Frau dennoch Eva - „Leben“ - nannte, „denn sie wurde die Mutter aller, die da leben“.
Es ist also ein biblisches Ur-Muster, das bis in den Schöpfungsbericht zurückreicht, dass Gott niemals die Einsamkeit und trotz aller Katastrophen der Sünde auch nicht das Sterben herrschen lassen wird: Er Selber ist ja Der, bei Dem im Anfang nicht isolierte Einzelheit, sondern Mit-Sein war – „Das Wort war bei Gott“ (Joh.1,1) –, und Er setzt dem Tod, diesem Vereinsamer und Zertrenner Seiner auf Gemeinschaft zielenden Schöpfung das große Verbindungswunder des Lebens entgegen.
„Siehe, das ist dein Kind, … das deine Mutter! Du: Der Mensch des Miteinander. Du: Die Verkörperung der Lebendigkeit“: Ein buchstäblich lebensbejahenderer Satz im Angesicht des Todes ist selten laut worden, und noch ehe Jesus, der ihn sprach, starb, begann für die Menschen, die er zusammenfügte, tatsächlich die Zukunft: Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Das aber ist nicht nur eine Randbemerkung irgendwo zwischen patriarchaler Pietät und schicksalhafter Notgemeinschaft. Vielmehr ist es das letzte Mal, dass im Johannesevangelium von einer „Stunde“ die Rede ist. …Und das ganze Evangelium deutet oft hin auf die Stunde, in der es kulminieren wird: Vom unwirschen Verweis Jesu gerade an seine Mutter bei der Hochzeit in Kana, dass seine Stunde noch nicht gekommen sei (vgl. Joh.2,4), bis zum letzten Hinweis Jesu in den Abschiedsreden (Joh.16,21), der bestimmt nicht zufällig ebenfalls von einer Mutter spricht: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist“, dem nur noch der Jubel Jesu vor seiner Gefangennahme folgt: „Vater, die Stunde ist da, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche, denn Du hast ihm die Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast!“ (Joh.17,1)
Die Stunde Jesu, das ist also die Stunde des Lebens, … die Stunde, in der das Leben trotz aller Schmerzen seines Entstehens und Vergehens keine Angst mehr kennen wird, … die Stunde des auch in Kana bei der Hochzeit dann doch schon fließenden Weines der unbegrenzten Freude am Miteinander.
Damals, in Kana war sie noch nicht endgültig gekommen und dennoch floss schon der Wein, der das Leben als das paradiesische „Nicht-Mehr-Allein-Sein“ feiert.
Auf Golgatha aber, wo die vergehende Welt natürlich nur sauren Essigwein zu bieten hatte, da war die Stunde nicht mehr aufzuhalten: Die Stunde, in der es keine Verwaisten, keine Verlassenen, keine Vereinzelten, keine Verlorenen, keine Vergangenen, keine Vergessenen, keine Verdorbenen, keine Verwesten, keine Verdammten mehr geben wird, sondern nur noch Kinder der Mutter aller, die leben, Kinder des Vaters, der sich im Sohn verherrlicht durch das Verbreiten des ewigen Lebens. ——
Auf diese Stunde zu ist die Welt geschaffen worden.
Am Sabbattag der Schöpfung schien sie erreicht.
Doch sie trat nicht ein. … Der Mensch wollte es anders.
… Statt diesen Anfang zu wählen, hat der Mensch sich für das Trennen und Beenden entschieden, hat das Leben ohne Den Anderen - ohne Gott also - und damit dann auch das Leben gegen die anderen … und das Leben gegen die Zeit und die Muße, … gegen die Uhr und den Sabbat, … das Leben gegen den Tod gewählt.
Gottes Stunde aber ging dennoch alles entgegen.
Gott kann sich nämlich nicht in das Trennen fügen, das der Mensch wollte.
Stattdessen fügt Gott sich ungeheuerlicherweise sogar noch in das Getrennte, ins Leben des vereinzelten Menschen, … ja, tatsächlich in das Leben eines Einzelnen … und damit also restlos in das Leben der Sterblichen … und damit zuletzt auch in das Ihm zutiefst widersprechende Sterben ein.
Alles, damit die Stunde ohne Trennung kommen möge, … jene Stunde, in der es das Trennende und das Getrenntsein - und das heißt: den Tod - nicht mehr geben würde!
Jene Stunde, in der für Gott und alle Menschen wieder gelten würde: Nicht mehr allein! … Nicht im Leben und nicht im Tod!
… Verbunden!
… Gemeinsam!
… Untrennbar!
Und auch wenn wir völlig zu Recht und aus allen unseren Erfahrungen und allem unserm Erleiden unvermeidlich das Entsetzliche, den horrenden, blasphemischen Skandal auf Golgatha suchen werden, … und auch wenn wir uns heute deshalb fragen, weshalb dieses unzweifelhafte Grauen im Erleben des Johannes zweifellos gar nicht grauenvoll begegnet, … auch wenn wir also nun am Ende unseres Denkens und Lauschens immer noch überhaupt nicht deuten und verstehen können, wieso der scheußliche Tod hier in solchem Licht, in dieser Nähe zur Liebe, in Tönen und einer Seelenlage geschildert wird, wie die Menschenfreude aneinander im Paradies, … auch wenn das alles zuletzt nicht in unsere Weltbilder und Wirklichkeit passt, ist doch spürbar, warum.
… Weil es nicht unsere letzte Weisheit ist, sondern Gottes erstes Wort, das da auf Golgatha endgültig in Erfüllung geht: Schöpfung und Leben und den Menschen und das Miteinander hat Gott am Anfang „Sehr gut!“ genannt.
… Und auf Golgatha, wo selbst die Sünde des Menschen und der Tod des Menschen das alles nicht mehr auseinanderreißen und zerpflücken können, weil Gott das Miteinander mit dem von Ihm geschaffenen Geschöpf dort nicht nur im Leben, sondern sogar im Tod eingeht und damit noch unter dem Kreuz Gemeinschaft, Liebe, Leben eröffnet … auf Golgatha da wird das Schöpfungswort „Siehe, es ist sehr gut!“ final, für immer, unanfechtbar bestätigt!
Der Wahnsinn von Golgatha, an dem alles Wissen und Erkennen und Erklären zerbricht, vollendet die Schöpfung, weil die Liebe - die Liebe Gottes - alles erträgt, glaubt, hofft und duldet, … weil die Liebe - die Liebe Gottes - niemals aufhört (vgl. 1.Kor.13,7f).
In Golgatha kulminiert also tatsächlich die Bibel; ihr lebendiger, lebenschaffender Anfang kommt dort durch das Sterben gegen den Tod zum Ziel, wie es die unkürzbar klaren Worte Werner Bergengruens verdichten:
„Selig, selig, die da glauben,
selig, denn sie werden sehn:
Einst wird sich das Kreuz belauben
und die Schöpfung auferstehn.“[i]
Darum können wir an der Seite des Johannes auf Golgatha nicht mehr die uns vertraute, verschandelte, von Gewalt und Verfall gezeichnete Welt, in der wir noch sind, erkennen.
Denn auf Golgatha ist das letzte Wort der Genesis gesprochen worden, das den Schrecken, der um uns herum vergeht, final vernichtet und die wiederhergestellte Schöpfung vollenden wird.
Noch sehen wir es durch einen Spiegel in einem dunklen Bild. … Wenn aber kommen wird das Vollkommene ……. ….. …… ……. (vgl. 1.Kor.13,12.10)
„Gut (vgl. 1Mose 1,18.20.25), sehr gut (vgl. 1.Mose 1,31)“ war es am Anfang.
Auf Golgatha aber ist es τετέλεσται.
Es ist vollbracht!
(Ad hoc …. Nur, damit wir uns richtig verstehen: Wenn tatsächlich jüngst auf einem Himmelskörper in der Tiefe des Weltalls Hinweise auf „Leben“ entdeckt worden sind, dann bedeutet das nur, dass der Raum, in dem die lebendige Schöpfung Gottes sich entfalten soll, nun weitere Dimensionen erlangt und dass es auch in anderen Regionen des Universums geteilt und gefeiert werden muss, dass das Leben – die Gemeinschaft allen Lebens mit Gott, dem Schöpfer! - durch Jesus Christus vollendet wird!)
Amen.
[i] Aus: „Christus in der Schöpfung“, in: Werner Bergengruen, Die heile Welt – Gedichte, Zürich 1950, S.116.
Gründonnerstag, 17.04.2025, Stadtkirche, 1.Korinther 11, 23 - 26, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Gründonnerstag - 17.IV.2025
1.Korinther 11, 23-26
Liebe Gemeinde!
Heute wird sie geboren, … nicht Pfingsten!
… Pfingsten ist ihre zweite Gründung nach der Katastrophe; Pfingsten ist ihre bitter nötige Heilung, … die Stärkung und Festigung, die tatsächlich die Möglichkeit der Sendung zu allen schafft. Pfingsten ist - wenn man so will - der erneuerte Bund des Neuen Testaments, genauso wie es nach der frühen, schnellen, völligen Katastrophe der Schöpfung in der Sintflut der Bund mit Noah war.
… Denn darin ist die Rede vom „Alten“ und vom „Neuen“ Bund immer schon eine Naivität gewesen, dass sie den Eindruck erweckt, Gott habe ein einziges Mal erneuern müssen, was ein einziges Mal brüchig geworden wäre: Die Geschichte der Menschheit, die Geschichte Israels, die Geschichte der Kirche ist voll und übervoll von Verstößen und Missachtungen und Übertretungen und Ausblendungen und mutwilligen Verletzungen und abgründig bewussten Leugnungen des Bundes, den Gott Seinen Menschen, Seinem Volk, Seiner Kirche aus allen Völkern als Raum des Schutzes und des Segens, als Raum des Schalom - des physischen und spirituellen Blühens - angeboten hat.
… Nichts aber ist gebrochener als dieser Gottesbund.
Und nichts ist langmütiger als die Vergebungsgeduld des Bundeserneuerungs[i]-Gottes.
Und so wäre nichts in dieser gesamten Geschichte der Zerbrechlichkeit des Bundes auf Menschenseite und der aus dieser Zerbrechlichkeit entstehenden Abbrüche und Verbrechen trauriger, als die Geschichte der Kirche, deren Geburtstag heute ist, … nichts also - sage ich - wäre trauriger, als die Geschichte der wort- und bundesbrüchigen Kirche, wenn sie nicht eben ausgerechnet heute, unter den ungeheuerlichen Umständen, die uns jetzt vor Augen stehen, geboren worden wäre:
Die Kirche entstand in der Feier des Passamahles.
In einem Obergemach in Jerusalem, unter vielen Tausenden Tischgemeinschaften, die überall als Familien der Einheimischen und als Festversammlungen der Pilger in dieser Nacht das lange, feierlich-fröhliche, symbolisch die Exodus-Erfahrung der Väter real vergegenwärtigende Mahl der ungesäuerten Brote, der Bitterkräuer, der salzigen Tränen und des tröstenden Weins, v.a. aber des lebensrettenden Lammes feierten. Sie sangen und erzählten von ägyptischer Fron und eiligem Aufbruch, vom Beinah-Ertrinken und nervenaufreibenden Wundern, sie priesen Moses, ihren Lehrer und das Gottesgeschenk ihrer Freiheit.
Und unter den unüberschaubaren Hausgemeinden, die da in der ganzen Stadt alle gleichzeitig die erzählende, deutende, anschauliche Liturgie der Erlösung begingen, war nicht nur in der eifrig konzentrierten Seminaratmosphäre seiner Talmudschule bei Rabbi Gamaliel der junge Saulus aus Tarsus (vgl. Apg.22,3), sondern in der südwestlichen Ecke Jerusalems, auf dem Zion hatte sich zur selben Stunde ein malerisches galiläisches Fußvolk aus Kapernaum und Bethsaida versammelt um seinen Rabbi, den Zimmermann aus Nazareth. … Auch sie feierten das Passah. … Doch dann wurde aus ihrer, im Vergleich zu den meisten damaligen Feiern in Jerusalem bescheidenen Tischgemeinschaft mit dem Leihgeschirr und den einfachen Matten und dem wenig anheimelnden Saal etwas, das entweder sofort … oder nie wieder zu Ende ging: Es wurde die Kirche! Sie entstand an jenem Abend … und sie scheiterte in jener Nacht!
Sie entstand, als der Zimmermann-Rabbi, Jesus von Nazareth ein völlig neues Gebilde und Gebäude fügte: „Das ist mein Leib.“ …
Paulus hat es später wie kein Zweiter verstanden, dass dieser Leib Christi aus den Vielen besteht, die in Ihm doch eins sind (vgl.Rö.12,5; 1.Kor.12,27) und dass Jesus Christus der Grundstein ist, Der diesen Tempel des Heiligen Geistes trägt (vgl.1.Kor.3,11.16f1; 6,15ff).
Dass aber genau dieser Leib – der lebendige und alle, die Leben wollen, durch Sein Leben mitbelebende Leib Jesu, der die Kirche ist –, … dass also dieser Leib bei jenem Passamahl entstand, das hat Paulus, der damals als Saulus noch kategorisch getrennt von den anderen Aposteln feierte, auch erfasst.
Er hat erfasst, dass Jesus, indem Er Sich Selbst für alle dahingab, zugleich alle die Vielen in Sich, dem Einen verband: Der Leib, Der gegeben wird, macht alle, die Ihn empfangen, wahrhaftig und leiblich zu solchen, die Teil an Ihm haben, zu Seinen Teilen also.
Dieser Leib – der wahre Leib Jesu, der Sich verwirklicht in allen, die Ihn in direktester Weise annehmen – … dieser Leib also ist die Kirche: Die Gemeinschaft in dem Einen; die Vielen, deren leibliches und seelisches Leben sich aus dem Einen speist.
Und von diesem, durch Seine Teilung als Brot entstandenen, durch Seine Brechung in Stücke erst zusammengefügten, durch Seine sakramentale Distribution erst real konstituierten Leib sagt Paulus das beiläufige und doch ungeheuerliche Wort: „Ich nun hab’s vom Herrn empfangen“!?! …
… Doch der harmlos schwerhörig gewordene Mensch nach der Entmythologisierung[ii], also nach dem erfolgreichen Vorgang, den biblischen Zeugnissen alle Wirklichkeit zu verbieten, die nicht auf den flachen Bierdeckel unseres derzeitigen, reduzierten Verständnisses passt, dass es in aller Welt nichts geben darf, das wir nicht verbuchen könnten, … der harmlos mit der Entmythologisierung zufriedene, auf lediglich seine ganz eigenen Voraussetzungen also begrenzte Mensch von gerade heute weiß, was davon zu halten ist: Paulus meint, dass er die Gewohnheit des Abendmahlfeierns und ein paar Formeln dafür im Zusammenhang mit Jesus Christus aufgeschnappt hat; er hat also die Kunde und Überlieferung davon irgendwo mitgekriegt.
… So kann man das Wörtchen „empfangen“ erklären: Etwas ist als Tradition an mich weitergeleitet worden.
Wenn nicht die beiden anderen, ganz unauffälligen Worte so dagegensprächen: „Ich nun…“.
Sie sind zwar wirklich unspektakulär. Doch bei Paulus haben sie’s in sich. Er nutzt sie in dieser betonten Voranstellung immer, wenn er etwas vollkommen Fundamentales hervorheben will, etwas, das ihn mit Haut und Haar, im Leben und im Sterben, mit totaler und radikaler Konsequenz also betrifft: „Ich nun bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben“ (Gal.2,19) / „Ich nun habe gelernt, mir in allem genügen zu lassen“ (Phil.4,11) / „Ich nun bin der Geringste unter allen Aposteln“ (1.Kor.15,9). … Und dann noch eine ganz leibliche, ganz somatische Selbstaussage des Paulus, die die allermeisten von uns gar nicht kennen: „Ich nun trage die Wundmale (wörtlich: Stigmata) Jesu an meinem Leib“ (Gal.6,17).
Wenn es also absolut unverwechselbare, existentielle, konkrete Ich-Botschaften des Apostels Paulus gibt, dann sind es diese mit „Ich nun - Ἐγὼ γὰρ“ beginnenden Sätze: Wie jener, mit dem er die Hingabe des Leibes Christi, durch die die Kirche entsteht, genauso einleitet wie seine anderen höchstpersönlichen Selbstreflexionen. ———
Wenn Paulus darum sagt: „Ich nun hab’s vom Herrn empfangen, … das Mahl, das Seinen Leib und den darin erneuerten Bund vermittelt“, dann hilft es nicht, ihm in die Parade zu fahren und zu kontern: „Stimmt nachweislich nicht! An jenem Abend warst Du mit dem gelehrten Nachwuchs der rabbinischen Elite im festlich glänzenden Lehrhaus des Gamaliel und nicht etwa bei den galiläischen Landstreichern auf dem Söller am Stadtrand!“
Denn das – so weiß jeder Schüler des Gamaliel es ebenso wie jeder Jünger des Galiläers – … das ist ja gerade das, was diese Passahnacht von allen anderen Nächten[iii] und was ein Passahmahl von allen anderen Gastmählern unterscheidet: In dieser Nacht ist man nicht dort, wo man sich befindet, und man isst nicht nur, was man sieht.
In dieser Nacht ist man nur deshalb zufällig, wo man ist, weil man an etwas viel Entscheidenderem, viele Wirklicherem Anteil hat: Und was man isst, gerade das bezieht auch den Körper und nicht nur den Geist in dieses reale Gedächtnis, in diesen „realisierenden“ - begreifenden!, verwirklichenden! - Denkgenuss ein.
Man ist beim Passamahl versammelt, weil es die eigene Befreiung aus der Sklaverei ist, die sich dort realisiert. Man bricht das Brot des Aufbruchs aus Fluch und Qual der Knechtschaft, weil dieser Aufbruch kein vergangener, sondern der eigene IST!
Man trinkt mit Danksagung aus dem Kelch des Heils, weil es die eigene Loslösung aus dem Zwang und der eigene Bund mit dem Befreier IST, die durch das mit Herz und Seele und Geist und Lippen und Kehle und Körper gedenkende, bekennende Aufnehmen geschehen.
Das Passamahl, das Abendmahl sind also wirklich Feiern der Wirklichkeit!
Niemals sind sie nur Übungen oder Darstellungen eines „Als ob“!
Und darum meint Paulus es wirklich und real, dass auch Er selbst, persönlich („Ich nun“) es vom Herrn empfangen hat: Das Brot, das der Leib ist, und den Kelch, der das Blut des auf Seiten Gottes niemals alten, immer neuen Bundes ist!
So wie Saulus bei Gamaliel unter den Schülern erlebte, dass er selber dabei war, als die Sklaven hastig aßen und dann in die Nacht aufbrachen, durch Ägypten flohen und am Schilfmeer wunderbar gerettet wurden, genauso hat Paulus es – vielleicht zum ersten Mal in Damaskus, wo er Häscher und Mörder der Christen werden wollte – erlebt, dass er ebenfalls selber dabei war, als jener Leib hingegeben wurde, in Den er als Christ für immer gehörte.
Ich hab’s empfangen.
Ich gehöre mit dazu.
Ich lebe von diesem Leib.
Ich selbst bin Teil dieses Leibes. ———
… Kein „Als ob“.
… Kein „Damals“.
… Keine Gedächtnisstütze.
… Keine Symbolhandlung.
Heute wird sie geboren: Die Kirche, die von dem Leib lebt, der ihr jetzt geschenkt wird; die Kirche, die von dem Bund lebt, der jetzt und hier neu ist.
… Die Kirche, die abends ungefähr zu der Stunde, die unsere Uhren jetzt zeigen, beim Mahl und durch das Mahl entstand und die in jener Nacht noch durch ihre Schwäche, ihr Einschlafen und dann im hektischen Tumult durch ihre Übersprungshandlungen, v.a. aber durch Feigheit und Flucht – weil nur noch die eigene Haut und nicht im Geringsten der Leib des Herrn und die Gemeinschaft der Glaubenden zählten! – sich völlig aufgelöst hätte, wenn nicht einer, höchstens zwei der Jünger trotz allem etwas mehr Liebe als Furcht empfunden hätten und wenn nicht die Frauen - natürlich die Frauen - irgendwie auch noch das Allerschlimmste durchgehalten hätten und dageblieben wären, als alles aus war.
… Die Kirche, die den Leib und Bund Jesu Christi empfing und in sich verkörpert – und die doch so völlig scheitert in der Nacht, da Er verraten ward … durch sie!
„Ich nun hab’s vom Herrn empfangen“, sagt Paulus, „dass ich dazugehöre … und Ihr, in Korinth auch. … Und in Kaiserswerth. … Ich auch. … Du auch. … Zu der Kirche, die in dieser Nacht des Verrates begann.“
Auch diese Klarstellung also, die kein Zucken, kein Ausweichen, kein Verdrücken - „Ich war ja gar nicht selbst dabei“ - kennt, … auch diese Klarstellung hat Paulus unmissverständlich wie kein Zweiter begriffen und festgehalten:
Dabei zu sein bei Jesus, dabei zu sein bei der Kirche, heißt ganz dabei zu sein! Nicht in beliebig-bequemer Auswahl, nicht im Fragment, nicht nach eigenem Gusto. Sondern mit allem und allen: Paulus, der ihn nie kennenlernte, gehört mit Judas Ischariot, dem Verräter, an den Tisch. Auch mit Petrus, ausgerechnet mit Petrus, mit dem er einen entscheidenden Zusammenstoß hatte (vgl. Gal.2,11), … mit Petrus, dem armen Großmaul und noch erbärmlicheren Verleugner, weiß Paulus sich in dieser Nacht eins. … Mit allen. … Die dabei waren, … sind, … sein werden.
… Weil im Abendmahl - wie im Exodus - nicht nur eine Generation, sondern alle Generationen, bis zum Ende der Zeiten versammelt sind und Gemeinschaft haben.
Weil die Kirche nicht aus den Guten besteht, sondern aus denen, die in ihrer Schwäche, Bedürftigkeit und wort- und treubrüchigen Fehlbarkeit alle nur von Gott leben.
Weil sie nicht aus den Starken besteht (vgl. 1.Kor.8 + 10,23ff!), sondern aus denen, die stets gestärkt werden müssen.
Weil sie nicht aus den Vollkommenen besteht, sondern aus denen, die wieder und wieder, in steter, unermüdlicher Wiederholung durch Gottes Langmut und Geduld den Bund neu annehmen, ihn neu empfangen und bekennen müssen.
Darum ist dieser Abend, diese Stunde, dieses Mahl so wichtig.
Weil wir jetzt, neben den Zwölfen und zusammen mit Paulus, in Gemeinschaft mit allen, die vor uns waren, mit uns leben und nach uns kommen, am Leib Christi teilhaben und den neuen Bund selber bestätigen dürfen.
Jetzt geschieht es, dass wir eins werden: Untereinander, weil wir es in IHM sind.
Und alles, was uns bevorsteht, wird immer und immer wieder von diesem in Ewigkeit neuen Bund mit Gott selbst im Leib Jesu Christi, in der durch das Abendmahl entstandenen Kirche die ursprüngliche und unverbrüchliche Verheißung haben:
Dass nämlich in allem Scheitern und allen Siegen der Seinen die Hingabe unseres Herrn wirkt – Seinen Tod verkündigen wir – und dass Seine endgültige Zukunft sich durch alles das hindurch unaufhaltsam vollzieht – …, denn Er kommt in Herrlichkeit!
Heute geschieht’s!
Amen.
[i] Die alttestamentliche Wissenschaft hat vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die These eines regelmäßigen „Bundeserneuerungsfestes“ im Kult Israels (erfolglos) zu beweisen versucht, … vielleicht weil es ihr schlicht nicht eingängig sein konnte, dass die Erneuerung des Bundes so zentral zu dessen Wesen - besser: zum Wesen Gottes - gehört, dass nicht ein einzelnes Fest, sondern die gesamte Heils- und Unheilsgeschichte Israels davon geprägt ist.
[ii] Der Streit um die Entmythologisierung ist seit Jahrzehnten verklungen und ein alter Hut. Die Problemanzeige, die die „Frommen“ damals anmeldeten, ist ausgewandert auf ganz andere Gebiete: Es geht um die Hybris, mit der sich eine bestimmte – eurozentrische, aufklärungsphilosophische, szientistische (ergänze heut: „weiße, männliche, koloniale“) – Perspektive absolut setzt, indem sie sich bestimmte Sichtweisen und Elemente fremder Überlieferungen aneignet (appropriiert) und andere eliminiert, weil sie die alternativlose Hegemonie für ihren Ansatz beansprucht. Solche Dominanz einer einzigen, partikularen, sich indes als „wissenschaftlich-objektiv“ inszenierenden Verständnisbemühung muss auch ein halbes Jahrhundert nach den Kulturkämpfen um die existenziale, bzw. wörtliche Auslegung der Schrift angefochten werden.
[iii] Hier wird die in der Passah-Liturgie bis heute berühmte „Frage des jüngsten Kindes“ aufgegriffen, das die Feiernden beim gemeinschaftlichen Mahl fragen muss: „Was unterscheidet diese Nacht von allen Nächten?“ Diese hermeneutische Unbefangenheit eines Kindes ist es, die (vgl. vorige Anmerkung) die Vorurteile der Wissenden und Wissenschaft spielerisch und befreiend entlarvt. Auch die Kirche muss sich wieder „wie die Kinder“ nach dem Einzigartigen ihrer Überlieferung fragen und die Engführung aller ihrer fixierten, heute: historisch-kritischen Vorverständnisse überwinden.
Palmarum, 13.04.2025, Stadtkirche, Jesaja 50, 4 - 9, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Palmarum - 13.IV.2025
Jesaja 50, 4 – 9
Liebe Gemeinde!
Alles ist Flaschenpost.
Wir heben etwas auf und wissen nicht, wer’s brauchen wird.
Wir stellen etwas her und ahnen nicht, wer dies als seine Schüssel, … als ihr Kleid, … als das ureigenste Zuhause empfinden wird.
Wir bauen eine Brücke und werden nie erfahren, wer sie nutzte, … eine Tür, von der wir nicht erleben werden, wem sie zur Rettung wurde.
Wir tun eine Tat und werden nie bezeugen, wem sie half. Oder zum Verhängnis wurde.
Uns unterläuft nur eine kleine Dummheit, und verborgen bleibt uns, wer ihre schweren Folgen leidet: Wir haben etwas nicht gewollt, und einen anderen hat das vernichtet.
Da hat einer einen Gedanken und er trägt Frucht, die viele nährt.
Vor langer Zeit ist was entstanden, das morgen Segen bringt.
Ein Wort hat einer hingesagt und langsam wurde es zur Mitte einer ganzen Wissenschaft.
Eine Scherbe, die wir zerbrachen, zeigt später eine ganze Welt.
Ein Brief zwischen Zweien tröstet Millionen.
Eine Unscheinbarkeit berührt die Zukunft aller Menschen.
Ein Satz, den jemand auf der Straße hörte, bewahrt ihn vor dem Wahnsinn.
Ein klitzekleiner Punkt wird unvermutet zum Schlussstein einer ganzen Lebensweisheit.
… Weil vor und nach uns Menschen waren, Menschen kommen werden, ist alles Flaschenpost.
Das sollten wir nie aus den Augen verlieren: Dass wir an einem Ufer leben, an dem die Strömung der Vergangenheit uns vor die Füße wirft, was wir heut nötig haben. Und dass wir selbst darum solche sein müssen, die dem Strom der Zeit bewusst das übergeben und anvertrauen, was die brauchen können, die in der Zukunft auf die wohltuenden und wegweisenden Zeichen aus unserer Gegenwart warten mögen!
Alles könnte also Flaschenpost werden …. Nur dass sich nie bestimmen lässt, wer wann von wem welche dieser Botschaften empfängt …. ——
Darum könnte es tatsächlich immer wieder zum Nägelkauen sein, wenn an Palmsonntag das dritte Lied vom Gottesknecht aufgeschlagen und zu hören ist: Der dritte jener vier geheimnisvollen Abschnitte (Jes. 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12), die in den reichen Trostworten des Seelsorgepropheten Jesaja in der babylonischen Gefangenschaft ihre seltsamen Zwischentöne entfalten. In diesen vier Liedern wird ein anderes Dunkel sichtbar als das Leiden des Exils. … Eine Gestalt wird da beschrieben und beklagt, … eine Gestalt bezeugt da ihre Berufung und beseufzt ihre Aussonderung, die kaum aus dem Schatten der Verborgenheit in Gottes tiefstem Innerem tritt, … ja, die im letzten, größten, erschütterndsten der Lieder sogar im Rätsel der totalen Verwerfung, der stellvertretenden Vernichtung untergeht. Im vorletzten Lied vor dieser Liturgie vom verachteten, vom verwundeten, vom geschlachteten und verschwundenen Schmerzensmann (vgl. Jes.53,2ff) aber, … in dem Lied, das wir an Palmsonntag hören, da spricht der später Verstummte selber, … da spricht und singt Seine Stimme, und bevor Er hingerichtet wird, richtet Er sich darin kerzengerade und herausfordernd in Seiner Herzensruhe auf.
Und es wäre zum Nägelkauen, ja, zum Zittern und zum Zagen, wenn wir annehmen müssten, dass diese Flaschenpost aus dem 6.Jahrhundert vor Christus Christus selber nicht erreicht hätte!
– Er, Der in jeder Hinsicht das erleben, das ertragen, das erfüllen würde, was Jesajas unergründliche Lieder der Ahnung vom völlig unschuldigen Mitleid mit den Schuldigen durchdringt, … Er, Der wie der singende und schweigende Gottesknecht der Vision das alles in aller Realität zu erdulden bestimmt war, … Er muss von dieser Botschaft erreicht worden, Er muss von ihr erfüllt, Er muss von ihr gestärkt worden sein! – … Oder? …….
Zum Glück sind sich schon die Apostel (vgl. Apg.8,32ff) und in allen Jahrhunderten seitdem die Kirche sicher gewesen, dass zwischen Jesajas Gottesknechtsliedern und Jesus Christus ein unlöslicher und unzweifelhafter Zusammenhang besteht.
Es wäre darum gar nicht nötig gewesen, dass wir im Lukasevangelium nun tatsächlich hören dürfen, wie die Flaschenpost des Trostkünders an ihr messianisches Ziel kam: Dort aber (Lk.4,17) erleben wir ausdrücklich den Augenblick in der Synagoge von Nazareth, wo es heißt, dass Jesus am Sabbat „das Buch des Propheten Jesaja gereicht wurde“. „… (U)nd er fand die Stelle“ - heißt es als Nächstes -, wo im letzten, verheißungssatten Teil der Prophetenrolle, weit hinter den Liedern vom leidenden Gottesknecht noch einmal der Gesalbte Gottes in der Ich-Form von Seiner Mission zur Heilung und zur Lösung und zur Rettung spricht.
… „Er fand die Stelle…“: Das heißt Er wickelte die Rolle von vorn bis beinah an ihr Ende auf und kannte ihren Inhalt, Er wusste, wo Er suchen sollte und wie Er finden würde, was das reine Evangelium beschreibt, zu dem die vier tiefen, schweren, sonst kaum erträglichen Leidenslieder führen! ——
… Nur so kann man Ihn heute reiten lassen!
Nur so kann man es aushalten, Ihn einziehen zu sehen in das, wo Er nun wie in einen Strudel hineingerät, der Ihn rascher und unbarmherziger verschlingen wird, als alle anderen Zeugen dieses Freudensonntags in der Todeswoche es auch nur ahnen.
Doch weil Er die Buchrolle des Jesaja am Anfang Seines öffentlichen Wegs empfing, wird sie ihre Botschaft auch bis zum Ziel in Ihm entfaltet haben. … Diese für Ihn bestimmte, diese auf Ihn gerichtete Botschaft vom Leidensweg, der sinnlos unverständlich ohnegleichen und doch gerade darin einzigartig überraschend in seiner alles verwandelnden Wirkung sein würde, … diese Botschaft war Ihm gegenwärtig, Er vergegenwärtigte sie.
Und so hören wir mitten im ungeheuren Lärm der Menge heute dank dessen, dass der prophetische Grundton einer beschönigungslosen Nüchternheit und Gewissheit dabei in Ihm nachklingt, tatsächlich nur auf die innere Stimme Dessen auf dem Esel.
Um Ihn herum skandieren sie - ohrenbetäubend wie jede Menschenmasse - „Juhu! Der Da! Du da! Dieser!“ …, währenddessen in Ihm ganz still und trotzdem klar das Wort schwingt, das Massen durch ihre Zuneigung immer am meisten gefährden, korrumpieren und fast unausweichlich begraben. „Du bist Der!“, schreit die Menge. … Und in ihm schweigt es hell: „Ich … Ich bin Mund und Ohr für Gott und die Müden: Nicht Erfüllungsgehilfe der Tobenden, nicht Brennstoff für die Begeisterten, sondern Ich bin das leise Wort, Ich bin der angehaltene Atem, das wie am jungen Morgen offene Gehör für die unbemerkten, die erstickten Weisen und Laute aller Liebe und aller Not.“ …
„Juhu! Der König!“ jubeln sie in einem Taumel, der aus frommer Gerechtigkeit und spontaner Hoffnung und wilder Sehnsucht nach Größe gemischt ist, wie Politisches so oft.
… „Ich bin ein Jünger“, setzt sich die Ihn tragende Ruhe auf dem ruckelnden Esel inmitten des Tumults in Ihm fort. „Ich führe nicht, ich folge; … befehle nicht, sondern höre; … verlange nicht, sondern habe gelernt zu vertrauen.“ …
……. Nicht einmal die frohlockenden und stolzen Jünger, die das ganze wärmende Schneetreiben der Palmblätterrispen und der Zustimmung und der Fröhlichkeit und der Gebetsfetzen und der Applaussalven aus vollem Herzen genossen, … nicht einmal die Jünger ahnten, dass sie tatsächlich hinter dem Größten alle Jünger, dass sie tatsächlich hinter der Demut selbst, hinter dem bereitwilligsten Schüler der geheimen Ratschlüsse Gottes her tanzten bei diesem herrlichen Volksfest! … Obwohl der Esel es ihnen hätte sagen können, dass sie nicht einem Sieger in eigener Sache auf der Spur waren, sondern Einem, Der Sich senden ließ, weil die Welt Brot braucht und etwas, wovon sie leben kann. Doch wer hört schon auf die Einfaltsesel, wenn die Stunde des Löwen zu schlagen scheint? …….
„Ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück“, so hat die geheime Botschaft aus der Vergangenheit in Jesu Innerem einen ganz einfachen, ganz geraden Takt vorgegeben: Ruhig-regelmäßig, ohne Schleppen, Stocken, Zittern. Und wenn Er im Sausen der wedelnden Palmen auch schon das Zischen des Flagrums, der mehrschwänzigen Folterpeitsche ahnte, die die Römer über alle ihre Provinzen schwangen, … so blieb sein Puls doch durch die prophetische Stärkung im Gleichgewicht:
„Ich bot meinen Rücken dar,
… ich bot meine Wangen dar,
… ich verbarg nicht mein Angesicht“
So hat von Pflasterstein zu Pflasterstein, über die der Esel Ihn näher an das Kommende trug, auch Jesu Seele Schritt für Schritt eingestimmt in das, was damals vor langer Zeit Gott Selber angestimmt hatte in den Silben des Liedes, das Ihm jetzt zum tiefen, gleichmäßigen Halt im Wirbelsturm des Schicksals wurde. …
Die Schrift erfüllt sich also wahrlich nicht nur in Christus, sondern noch viel mehr erfüllt und erhält sie Ihn! Sie hilft!
„Gott der HERR hilft mir!“ Das ist im schrillen Singsang, den die orientalischen Triller der Jerusalemerinnen und ihrer Kinder sowohl bei Klagen als auch bei Lustbarkeiten verzieren, der tragende Grundton, der basso continuo, über dem sich die „Hosianna!“- und die „Stabat-mater“-Melodien dieser Woche entfalten werden. …
Auf dem Esel reitet also Einer, Den die Schrift da durchträgt.
In den Wirbel der auflösenden Vernichtung wagt sich Einer, Der zusammengehalten wird von einem alten Wort, ohne das Er zerfließen müsste in lauter Panik.
… Nun aber bleibt Er aufrecht durch Jesajas Zusicherung; sie hat Ihm die nötige Fassung gegeben, Ihn glatt und hart wie einen Kiesel geschliffen, in den nichts tiefer bohren kann. –
… … … Gewiss, mit letzter Macht kann man sogar alle Steine und jeden Felsen pulverisieren: Das weiß der ruhende Pol in der Hosianna-Hektik, … der stille Mensch im Auge dieser in Zerstörungsrausch kippenden Herzlichkeit. … … … Aber noch sicherer weiß Er, dass nicht irgendein Erfolg zu Jerusalem Ihm Recht geben kann, weil nur das Recht und die Gerechtigkeit Gottes Ihm einst zu Seiner und unserer Rechtfertigung und so zum Sieg verhelfen werden. … … … ———
Und so reitet Er in einer vollkommenen Ruhe in die vollkommene Katastrophe.
Er wird dort – in Gethsemane, dem Garten Seiner Verzweiflung und auf Gabbata, der Richtstätte (vgl.Joh.19,13) und auf Golgatha, der Hinrichtungsstätte – noch weinen. Betteln, ob Er nicht doch verschont werden könnte. Er wird wilde Schmerzen, Todesangst und eine seelische Nacht erleben, der die Sonnenfinsternis (vgl. Mk.15,33) um Ihn herum entspricht. Er wird leiden und sterben wie ein Mensch unter der Folter und in den Fieberkrallen der körperlichen Qual nun einmal leidet und stirbt. ……. ——
Und deshalb bleibt zu fragen, ob man nicht diese Flasche und die Post in ihr, … ob man also diesen Jesus von Nazareth und das prophetische Wort, das Er in Sich trägt und das Ihn durchträgt, heute nicht wegwerfen sollte?!
Ob man sie nicht als völlig sinnlos entsorgen sollte, diese Zusicherung Jesajas an Jesus, dass alles Leiden, das Ihn trifft, Ihn nicht von Gott scheiden kann, sondern im Gegenteil für viele, viele, unzählig viele Menschen den einzig wahren Zugang zu Gott und Seiner rettenden Gerechtigkeit eröffnen wird?! …….
Weg mit dieser Botschaft, die niemanden mehr erreicht!
Her mit der Botschaft, dass alle Leiden sinnlos sind, … dass alles Schwere - für uns zumindest - leer ist, … dass wir nix Schöneres tun können, als nur das Schöne zu pflegen und dass es nichts Dümmeres gibt, als sich auf das Schmerzhafte einzulassen: Das ist in verkürzter Verdichtung doch die Stimmung unserer Gegenwart … gewesen.
Aber diese Unkultur der Verdrängung, die nicht nur das Unerfreuliche, sondern damit auch die Unerfreuten, die Bedürftigen, die Schwachen, die Leidenden verdrängt und mit dem Verdrängen aller Probleme und aller Problematischen, mit dem Verdrängen von Menschen also und Welt natürlich auch die Wahrheit und darin Gott verdrängt, … diese Unkultur, diese Anti-Kultur des Rein-Schönen und darum Glatt-Gelogenen wird gerade vor unseren Augen zerschlagen:
Das Schlimme ist immer noch da.
Der Schrecken ist immer noch da.
Der Schmerz ist da.
Die Schande ist da.
Die Sünde.
Satan … Satan ist da, … irgendwo.
Und wir stehen am Strom, der zur Flut anschwillt. Der verdrängte Dreck des Bösen, die entfesselten Wogen des Zerstörerischen, die aufgestaute Sintflut des Chaotischen steigen von Tag zu Tag an. …….
Und da spült uns der Anfang der Karwoche diese Flaschenpost vor die Füße, … diese Botschaft: Dass Christus und Seine Christen und Christinnen wie Jesaja und alle Knechte und Mägde Seines Gottes in die Katastrophen ihrer Tage gingen in der Gewissheit, dass sie darin trotz all ihrer Verluste nicht verloren sein würden, … dass sie trotz aller Leiden nicht vergeblich litten, … dass sie in allem Sterben - auch ihrem eigenen! - doch nicht den Tod finden sollten!
… Natürlich: Sie alle - einschließlich Jesu - wären lieber nicht gegangen. … … … Als sie jedoch mussten, konnten sie!
Wir sollten darum die Flaschenpost, die uns ihren Trost, die uns den Trost Christi zuträgt, bestimmt nicht wieder wegwerfen!
Sondern unser Ohr wecken lassen für ihren Zuspruch.
Unser Gewissen wecken lassen für die Wahrheit über uns und über diese Welt.
Unser Herz und unsere Haltung sollen wir wecken lassen für die Stärkung, die der gestärkte Jesus uns schenkt.
Unseren Glauben sollten wir wecken lassen für das große Leiden, zu dem Er bereit wurde und für das noch größere Ziel, zu dem es führt.
Unsere Welt schließlich sollten wir selber schlicht und im Ernst aufwecken und erwecken lassen für die Freude, dass dieser Jesus Christus gekommen ist, für die Hoffnung, die in Seinem Hingang liegt und für das Wunder, das Seine Auferstehung und Seine Zukunft vollenden werden.
Das alles will die alte Botschaft tun, wenn wir sie hören, wie Jünger hören.
Dazu verhelfe uns der erste Morgen dieser Woche – der heiligen Woche für die gesamte Kirche auf dem ganzen Erdkreis im Osten wie im Westen! –, … dazu verhelfe uns diese weltweite Woche des Leidens und der unendlichen Hoffnung, die wie keine andere unseren Halt, unseren Trost und unsere sichere Zuversicht wecken und kräftigen will!
Amen.
EG 452, 1 - 3
Judika, 06.04.2025, Stadtkirche, Johannes 18,28 - 19, 5, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Judika - 6.IV.2025
Johannes 18, 28 – 19,5
Liebe Gemeinde!
Lange hatten wir sie verdrängt, aber jetzt beherrscht sie alles und wir müssen sie uns und uns ihr - wohl oder übel - stellen. … Stellen wir also die alles beherrschende Machtfrage nach der alles beherrschenden Macht. Die Frage, die den Fischer aus dem Pisspott so antrieb, dass er durch „Mantje! Mantje! Timpe Te!“-Beschwörungen auf- und auf- und aufstieg … angeblich, weil „syne Frau, die Ilsebill“ das so dringend wollte.
Wer ist der Mächtigste?
– Ist der der Mächtigste, der in der großen Stunde der Befreiung, die ein goldenes Zeitalter des Wohlstands und der Macht einläuten sollte, die unbewohnte norwegische Insel Jan Mayen im Polarmeer, die fiskalisch vermutlich dem König von Thule untersteht, und die McDonalds Islands in der antarktischen Einsamkeit, zwei Wochen Schiffsreise von Australien entfernt, von Menschen zuletzt vor 15 Jahren betreten, bloß von Pinguinen besiedelt mit saftigen Zöllen belegt[i]? – Ja, das ist schon Macht!
– Ist der verbrecherische israelische Kriegstreiber, der einen internationalen Haftbefehl vermeidet, indem er an der Donau einen antisemitischen Halbdespoten öffentlich besucht, mächtig, weil er sich auf die Solidarität der Antidemokraten verlassen kann? – Ja, das ist auch Macht.
– Sind die mächtig, die in Istanbul durch Freiheitsberaubung, in Peking durch Überwachung, in Moskau durch die generationenlange Einschüchterungskraft hundertjähriger Diktatur herrschen? – Ja, das alles sind Männer mit Macht.
Aber bei jedem von ihnen gibt es eine Paranoia, eine Deformation, einen Wahn, der noch viel mächtiger ist, weil er die Schreckensherrscher beherrscht: Die nackte Angst, der blanke Hass, der unheimliche Hirnnebel des kleinen und des großen Misstrauens. Diese Quäl- und Störgeister, diese unentwirrbaren Gespinste und alles vergiftenden Trübungen machen die Mächtigen zugleich zu Ohnmächtigen. Je mehr sie ihrer Macht vergewissert werden durch eine bestimmte fixe Idee, eine zum Weltbild erstarrte Verfolgungspanik, eine luftdichte Käfigkammer um den Kopf, in der nur die eigene und die genehmigte Lüge die Atmung und den Stoffwechsel ersetzen, desto todesstarrer macht die Macht die Machthaber.
…. Bis sie schließlich nur noch bei jedem Neugeborenen zucken wie Herodes (vgl. Matth. 2,3 +16), vor jedem Liebling des Volkes zittern wie Saul (vgl. 1.Sam.18,8) und noch bei kleinen Handwerkern mit helfenden Händen und einem heiligen Herzen von Verunsicherung ergriffen werden wie Pilatus.
Pilatus spürte in Dem, Der bloß auf einem Esel herangeklappert war und doch von einem Ausbruch jubelnder Hoffnung empfangen wurde, den Systemsprenger. … Gewaltige Besatzungsarmeen, eine zugriffsfähige Infrastruktur, ein großzügig vereinnahmender Multi-Kult von Brot und Spielen für alle möglichen Bevölkerungsteile hatten ein Weltreich hervorgebracht, das er, Pilatus, oberhalb des irritierenden Tempels des Unsichtbaren wohl oder übel repräsentieren musste. … Und nun steht ein lumpiger Gefangener mit einem unergründlichen Judengesicht, das von kaum getrockneten Tränen und einem Faustschlag (vgl. Joh.18,22) gezeichnet ist, vor ihm und er, Pilatus, der Statthalter einer sichtbar als Kaiser herrschenden Gottesmacht, bebt im Innersten, und fragt den Geprügelten, ob Er ein König sei?!
Wer ist der Mächtigste? …….
Der König von der traurigen Gestalt, Den Menschen noch Jahrtausende später lieben werden und um Den auch wir heute - hoffentlich jedoch anders als Pilatus - zittern, … der König in Seiner Schwäche aber antwortet nicht, indem Er abwiegelt und auf Seine Wehrlosigkeit, auf den lächerlichen Mangel an Unterstützung und Truppen, auf die groteske Erbärmlichkeit des ganzen Missverständnisses zwischen Weltmacht und Himmelreich verweist, sondern Er tritt noch haarsträubender aus der Deckung: Er zeigt Seine einzige Waffe, … die entweder ein Witz oder die einzige Antwort auf Pilatus’ und unsere Frage nach der Macht ist.
Als Menschen- und als Weltkind sieht der hilflose König aus dem erloschenen Hause Davids, das selbst in Israel längst von Makkabäern, Hasmonäern und Herodianern ersetzt wurde, sich dazu gekommen, dass Er die Wahrheit bezeuge.
Ist Wahrheit demnach die Macht der Mächte? …
Wenn’s doch bloß so wäre! – Seit langer Zeit inzwischen quält mich die unverzeihliche Vernachlässigung des Wahrheitsbegriffs in unserer Theologie und Praxis als Christen und als denkende, handelnde, als ethische und politische Zeitgenossen: Wir haben die Zumutung einer Wahrheit eingemottet, um die Offenheit für viele Wahrscheinlichkeiten und Wünsche zu gewinnen. Das schien sympathisch und zeitgemäß, … und hat dem ungehinderten Wuchern wildester Lügen weltweit Vorschub geleistet.
… Und nun hören wir mit den verzagten Ohren des Pilatus, der angesichts des Systemsprengers aus Nazareth in Galiläa die Machtfrage stellt, dass die Wahrheit - die uns so fern gerückt ist - die Lösung der Macht-und-Schuld-und-Paranoia-und-Ohnmachts-Frage sein könnte. …
… Was aber ist die Wahrheit? – Wer’s weiß: Bitte aufzeigen! …
Mein ältestes Beispiel für die Vexierfrage, was wann, wie und warum wahr ist, bleibt der erste Satz, den ich aus dem Mund meiner neuen Klassenkameraden in England als kleiner Junge verstand: „Your granddad’s Adolf!“ … Es stimmte ja! Mein Großvater hieß Adolf Marquardt. … Woher wussten sie das aber? … Und wenn sie es nicht wussten, hatten sie dann trotzdem recht? Ein Recht, das ich als Achtjähriger nicht verstand …….?!
Was ist Wahrheit? Ist das biblisch ganz und gar verbürgte, von Gott zugesprochene Recht des Volkes Israel am Lande Kanaan als Inhalt der Verheißung wahr im Sinne von territorialpolitisch gültig und genozidal zu vollstrecken? Ist Kiew, weil die Rus dort ihren Ursprung hatte, in Wahrheit russisch? Ist der nach ehrlicher Überzeugung vieler unserer westlichen Mitmenschen logische gegenseitige Ausschluss von Glaube und Wissen, den die Philosophen von Descartes bis Kant andeuteten und den seither die wissenschaftlich-materialistischen Weltanschauungen des Kommunismus und des Konsumismus menschenverachtend durchexerzieren, in irgendeinem nicht-ideologischen Sinn als „wahr“ zu bezeichnen?
Genauso können wir fragen: Wann ist etwas nicht wahr?
Wenn die Willensfreiheit, auf der die alte christliche wie die neuzeitliche Selbstwahrnehmung beruhen, tatsächlich von der Hirnforschung widerlegt wäre, … wäre dann das Freiheitspostulat in allen nicht-tyrannischen Weltanschauungen nicht mehr wahr? Ist es nicht in einem vollen, wenn auch nicht physikalischen Sinne wahr, dass das Blau des Himmels uns beglückt? Ist es richtig, dass Protestanten die Marienbotschaft von Fatima[ii] als unwahr betrachten müssen, obwohl die Aussage des zweiten Geheimnisses so unwiderleglich zutrifft: Dass nämlich erst wenn Russland sich bekehrt – von seinem ursprünglich zaristischen, dann gottlosen und heute pervers nationalreligiös legitimierten Imperialismus – Friede sein wird?!
Was ist Wahrheit, wenn sie keinesfalls eine mathematische Gleichung mit entweder korrekten oder verkehrten Elementen und Ergebnissen ist? …….
Wir sehen nur, dass fast nichts von dem, was derzeit groß und mächtig ist an Strömungen und Stimmungen, an Entwicklungen und Entscheidungen in der Welt auch nur annährend an eine allgemein akzeptierte, verbindende Wahrheit anknüpft. Fast alle Bewegungen unserer Zeit werden durch Sonder- oder Antiwahrheiten befeuert, … also Lügen.
… Und die nicht lügen wollen, sind ratlos. …
… Obwohl doch einer der schönsten Grundlagentexte der Moderne wie wir sie kannten mit dem unglaublich wehmütig stimmenden, kaum noch vorstellbaren Satz beginnt: “We hold these truths to be self-evident”[iii] … „Wir halten diese Wahrheiten für solche, die sich selbst erschließen …“
… Gibt es das noch? … Wahrheiten, die sich als solche zeigen? … Auf die man sich einigen, durch die man vereint werden kann?
… Wenn wir neben dem grübelnden, sich windenden Pilatus stehen, der in seiner Machtposition durch den machtlosen sog. König der Juden verunsichert ist und wenn wir gemeinsam mit Pilatus nun auch noch dieses land- und glanzlosen Königs verteidigungslose, aber überirdisch unerschüttert wirkende Selbstauskunft und Kampfansage hören: „Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme!“, … dann vergehen auch uns neben den Machtmätzchen genauso unsere übergescheiten oder unterbelichteten Wahrheitsfragen. Zwar hören wir – hoffentlich! - Seine Stimme, … aber verstehen wir Ihn? Wissen wir, was Er meint?
… Und so bleibt der stumme Blick auch bei uns wie jenes verwirrte Blinzeln des Praefekten Pontius Pilatus an der Jammergestalt des so ungeschützt angreifenden Angeklagten hängen: Geschlagen, …nicht besiegt. Gequält und dennoch unverstummt, … Er bleibt im Wort, Der selbst das Wort ist, das im Anfang war (vgl.Joh.1,1). … Verunstaltet Sein Fleisch. Aber vor Kurzem noch, an Weihnachten haben wir wieder und wieder gehört und bekannt, dass wir Seine Herrlichkeit sahen (vgl. Joh.1,14): Die Herrlichkeit, die jetzt mit angstschweiß-getränkter Gethsemaneerde an Seinen wundgebeteten Knien und Ellbogen und unter Seinen Fingernägeln verschmiert ist. Die Herrlichkeit, der eben einer auf die Fresse geschlagen hat. Die Herrlichkeit, die unter einer Krone aus Stacheln und an einem ausgepeitschten Leib geschändet, aber nicht gelöscht werden kann, weil Sie das älteste und unvergänglichste Siegel aller Welt trägt: Das Siegel der Gott-Ebenbildlichkeit (vgl. 1.Mose1,27!). Das vollendete und darum unwiderruflich unzerstörbare Menschenbild Gottes, des Gottesbild in nackter Menschlichkeit steht da!
Und es wird das gleiche Bild sein – heilig und unbestreitbar – auch wenn sie es an einem Kreuz aufspießen, … auch wenn sie es in Jahrtausenden der Willkür und der Geistlosigkeit versklaven und verschleudern und verschandeln, … auch wenn sie es in Auschwitz und in Hiroschima oder in Gaza und in Kryvyj Rih und an noch viel näheren Tat- und Unterlassungsorten aufs Brutalste schikanieren und negieren …….
Ein Mensch wird ein Mensch bleiben.
… Und auch wenn nichts mehr an ihm die Merkmale des uns Vertrauten oder uns Erträglichen aufwiese: Das Häufchen Elend vor Pilatus, das Häufchen Asche, das vielleicht zuletzt von allen bleiben mag, wird niemals jenen einzigartigen Glanz, jene Würde, Hoheit, Schönheit, Herrlichkeit verlieren, die vor Seinem Schöpfer dieses Geschöpf auszeichnen, um dessentwillen Er Seinem Bild - dem Menschen - gleich wurde, um ihn auch in der grausamsten Infragestellung zu erhalten, … um ihn in der grimmigsten Gefährdung nicht zu verlassen, … um ihn nicht preiszugeben an den Tod, sondern sein Lebensrecht auf seine wahre, seine ursprüngliche und endlich bleibende Herrlichkeit zu erkämpfen.
Das also ist die Wahrheit dieses Königs! – Sie ist keine Idee, kein abstrakter Wert, keine intellektuelle Funktion. Sondern einfach und mit erstem, letztem Ernst der Mensch.
Und niemals wird die wirkliche, die wirksame und heilige, die gültige und bleibende Wahrheit etwas anderes sein! – Keine Formel, kein System, keine Intelligenz des Künstlichen. Sondern der hinfällige und bedrohte, sich selber bedrohende und verleugnende Mensch, der vor Gier und Geilheit zwar blind und böse, ja monströs und unmenschlich werden kann - „Mantje, Mantje! Timpe Te!” -, aber doch in seinen hellen Stunden erkennen und bekennen muss, dass auch sein Widerspruch gegen sich selbst und seinesgleichen nicht ungeschehen machen und nicht aufheben kann, wie Gott ihn wollte, sieht und retten wird.
Denn auch der seltsam verblasst und verklungen wirkende Satz von der sich selbst durchsetzenden Wahrheit in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist ja nichts anderes als ein Kommentar zur Schöpfungsüberlieferung der Genesis: “We hold these truths to be self-evident that all men are created equal …”
Lebendige Wahrheit kommt eben übers jeweils Menschliche niemals hinaus und am Recht alles Menschlichen niemals vorbei!
Und das Verhör vor Pilatus, der Prozess, der gegen Kafkas „Process“ der hoffnungslosen Absurdität in der Welt des tollen Menschen und des Sisyphos[iv] der Anti-Prozess einer das Absurde noch durchglühenden Hoffnung auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes ist (vgl. Rö.8, 21), … dieser Prozess, dessen Zeugen wir heute an der Seite des ihn führenden Pilatus waren, führt auch uns mit ihm zum Spruch der Wahrheit.
… Der Wahrheit, wie sie da steht. Und wie sie von dannen gehen wird, um zu sterben, damit sie nicht immer wieder vergehen muss, sondern neu und ewig zum Leben rufen kann. ——
Das Urteil, das in der Frage der Macht und Wahrheit fallen muss und das wir selber uns nicht sprechen können, steht also wahrhaftig da … in der Gestalt unseres Stellvertreters.
Es steht sogar buchstäblich da.
Denn es ist eine so alte Entdeckung, dass ihr Urheber im Dunkel der Vergangenheit verborgen ist, damit das einleuchtende Spiel in diesem schrecklichen Ernst umso heller strahle: Irgendeinem von uns ist also aufgefallen, dass die von Pilatus sicherlich auf Lateinisch gestellte oder zumindest gedachte Menschheitsfrage „Was ist Wahrheit? Quid est veritas?“ schon die Lösung enthält. „QUID EST VERITAS“ ist das Anagramm, der Mosaikkasten der einzig wahren Antwort: „EST VIR QUI ADEST“[v] … „Sie ist der Mensch, der hier steht!“
Und so lauten Urteil, Lösung und Verheißung aller unserer Fragen auch:
Die Kraft und das Maß, an denen sich messen lässt, was gilt und bleibt, ist der Mensch.
Sehet darum, den Menschen!
… Es ist Jesus!
Amen.
[i] Zu den absurden geographischen Geltungsräumen der jüngsten Trump‘schen Zollentscheidungen vgl. https://www.politico.com/news/2025/04/02/us-tariffs-around-the-world-030348; https://www.theguardian.com/us-news/2025/apr/03/donald-trump-tariffs-antarctica-uninhabited-heard-mcdonald-islands
[ii] Die Texte der drei Geheimnisse von Fatima finden sich auf der Seite des geschichtswissenschaftlichen Quellensammlungsportals Clio-online: https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28435
[iii] https://www.archives.gov/founding-docs/declaration-transcript
[iv] Das Dreigestirn der Visionäre der Hoffnungslosigkeit – Nietzsche, Kafka und Camus – gehört gerade für Menschen aus der Hoffnung zu den wichtigsten und am meisten ernstzunehmenden Stimmen der Moderne: Niemals dürfen wir naiv in unserer Hoffnung sein, … als hätten diese Drei keine Wahrheit geäußert.
[v] Um eine Belegstelle für dieses alte und verbreitete Buchstabenspiel voller Wahrheit zu nennen, sei verwiesen auf eine Ansprache Papst Pauls VI., die er bei einer Audienz am 20.Mai 1970 hielt: https://www.vatican.va/content/paul-vi/it/audiences/1970/documents/hf_p-vi_aud_19700520.html
Laetare, 29.03.2025, Stadt- und Tersteegenkirche, Joh. 6, 47-51, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth & Tersteegen Lætare - 30.III.2025
Johannes 6, 47 - 51
Liebe Gemeinde!
Ein gutes Dutzend junger Landstreicher: … In ihren Adern und Gebeten das Erbe derer, die völlig vogelfrei vierzig Jahre durch die Wüste zogen. Einige hatten Boote und Netze besessen; manchen hatten Hütten gehört oder ein Stall und Ackergerät. Der Meister war groß geworden und tätig gewesen in der Zimmermannswerkstatt. … Doch seit sie einander hatten - der Meister und seine Zwölf -, hatten sie sonst nichts mehr. Denn sie hatten das Leben. … Wussten das gar nicht; hätten es nicht sagen oder erklären können. Aber sie hatten das Leben selbst. In ihrer ganzen Bettelarmut, in ihrer wandernden, irgendwo campierenden Leichtigkeit hatten sie die Fülle des Lebens. Seine Quelle und seine verheißene Endlosigkeit. … Ein gutes Dutzend Obdachloser und das Leben.
Als sie mit Ihm zogen und bei Ihm blieben und sich von Ihm aussenden ließen und Ihn dann wieder umgaben und sich wunderten und manchmal zu fragen trauten und oft auch nur Auge und Ohr für Ihn waren, … als sie Worte vernahmen und Taten sahen, die tiefer und größer waren als die Wurzeln der Berge und der helle Mittag, als sie zugleich Unerklärliches und Unscheinbares an Seiner Seite, in Seiner Spur erlebten, … als sie Feuer fingen, weil in ihnen ein Hoffen anging, das über alle Hoffnung war und weil sie etwas zu glauben begannen, das alles Wissen übertrifft, … als sie spürten, dass Erde und Himmel und Anfang und Ende sich verbanden, weil da auf den weichen Hügeln von Galiläa und in den staubigen Städtchen von Samarien bis hinauf nach Jerusalem das Ur-Wort und das bleibende Reich sich ankündigten und aufleuchteten und dann vorübergehend erschienen und dann tatsächlich greifbar gegenwärtig wurden, … als das alles passierte, da wurde es Tag und Nacht, … Sommer und Winter, Frost und Hitze kamen und zogen vorbei, … Aussaat geschah und Ernte (vgl. 1.Mose,822) … und sie wussten nicht wie (vgl.Mk.4,27). Sie hatten kein Land, … aber Brot und Leben. Sie hatten keine Sichel und keine Scheune, keine Tenne und keinen Dreschschlitten, … aber Brot und Leben. Sie hatten keine Mühlsteine und keinen gemauerten Ofen. … Aber Brot und Leben. Sie hatten nirgends, da sie ihr Haupt hätten hinlegen können (vgl. Lk.9,58). … Aber Brot hatten sie Tag für Tag und Leben - ohne es zu wissen - für immer. ——
Wer ist das, Der nirgends zuhause ist und bei Dem doch das Leben ist?
Wer ist das, Dem nichts gehört und bei Dem man dennoch Brot hat und Sättigung und Frieden höher als alle Vernunft?
Wer bist Du, Jesus?
Heute, am mittleren Sonntag der Wochen, in denen das Essen und aller Komfort und alles Vergnügen endlich einmal bewusst nicht im Mittelpunkt unserer Existenz stehen sollen, … heute, an diesem Sonntag, an dem das Verzichten allmählich leichter fällt und das Weniger mehr zu werden beginnt, … an diesem Sonntag, an dem es darum fröhlicher zugehen soll als an Invokavit und Reminiszere und Okuli, wenn man das Weglassen noch übt, und an Judika und Palmarum, auf die schon die Karfreitagsschatten des völligen Nichts fallen , … heute also ist ein wunderbarer Tag für diese einfache Frage, wer Jesus ist.
Drei Wochen des Weniger, … drei Wochen, in denen alle Arten des Überflusses uns in ihrer moralischen und medizinischen Problematik nachvollziehbarer geworden sein könnten, stellen uns also die Frage der Freiheit: Wer ist Jesus und reicht Er Dir?
Jesus ist nämlich genau wie die Frage: Arm und einfach. …
Reicht Dir Jesus? Das ist ja nun wirklich eine armselige Frage, … und zwar buchstäblich. Sie ist von den Erweckungsbewegungen und den Zeltmissionen, von den evangelikalen Fernseh-Predigern und ihrer stereotyp-suggestiven Choreographie und Rhetorik so abgenutzt, dass man sie kaum noch aus dem Müll der Floskeln und Gemeinplätze heraussortieren und recyclen mag.
„Reicht Dir Jesus?“ – Dieser Ansatz ist doch entsorgt worden, … oder? …
Aber wenn wir Rohstoffe und Gegenstände um der Zukunft willen wiederzuverwerten gelernt haben, … wer sagt uns dann eigentlich, dass das bei Missionsbotschaften und Glaubensgedanken und Grundwahrheiten nicht ebenso sinnvoll ist??
Versuchen wir’s doch einmal mit dem Satz, der schon wie ein vom Fasten schmal gewordener Überrest unserer sonst viel breiteren und schwergewichtigeren Skepsis wirkt: Reicht uns Jesus, obwohl er so arm ist? … ——
Ein Hauptunterschied zwischen Armut und Reichtum dürfte sein: Die Armut weiß, was reicht, während dem Reichtum nichts reicht. Armut braucht Sättigung. Reichtum wird unersättlich.
Überhaupt nur arme Menschen können also die Erfahrung machen, ob und wie man mit Jesus vielleicht sein volles Genügen und tiefste Zufriedenheit und echte Ruhe der Seele und die eigentliche Fülle des Lebens findet!
Das ist eine schwer bestreitbare Tatsache: In unserm überquellenden Leben, in der vollgestopften Angebots- und Warenwelt, die wir navigieren, in der Flut unserer Reizlenkung, in der Lawine dessen, was uns von außen aufgedrängt wird und was uns innen als ferngesteuerte Bedürfnisse der Appetit- und Angsthormone durchspült, … in dieser tragikomisch übertriebenen Kultur des Habens, das nur Wollen weckt und des Bekommens, das nur neue Begierden zeugt, da fällt ein einzelner, kleiner Jesus unter den Maschinen und Methoden und Mätzchen und Monstren, die wir angeblich nötig haben, nicht ins Gewicht.
… Der mit Teurem und Wichtigem, mit Neuem und Beneidenswertem zugemüllte Raum um uns, der immer weiter wuchernde Wunschzettel in uns und das seltsame Gefühl totaler Leere trotz dieses Überflusses verhindern alles: … Wir können den Wert eines Einzelnen im Massenhaften unmöglich wahrnehmen. … Wir können nichts schmecken, wenn wir alles zugleich in uns stopfen.
Und darum bedeutet Fasten an Leib und Seele tatsächlich nicht Entbehrung, sondern Eröffnung.
Verzicht auf das Viel zu viel wird Empfänglichkeit für das Wenige.
Und wer es nicht mit jedem Wahn und allen Moden und sämtlichen Möglichkeiten und den vielen Vielleichts und beliebigen Phantasien und billigem Betrug versucht, sondern einfach nur Jesus wählt, … ja, einfach nur Jesus probiert, … einfach nur konzentriert kostet, wie es ist, Jesus an- und aufzunehmen: Der kann beginnen, zu schmecken, wie freundlich der HERR ist (vgl. Ps.34,9).
Jesus ist arm und einfach. … Einfach nur ein Mensch. Er ist kein Fabelwesen und kein Übermensch, kein Halbgott und kein Held. Er ist einfach nur ein wahrer Mensch, in Dem uns alles Menschliche direkt, ohne Nebenwirkungen, ohne Künstliches, ohne Verstärker und ohne Süßlichkeit begegnet. … Aber gerade so eben auch vollkommen unverdorben. … Rein. Ein Mensch, Der mit uns geht. Ein Freund, Der uns in aller Natürlichkeit des menschlichen Miteinanders, ohne hintersinnige Instrumentalisierung zur Seite stehen wird, wo wir nicht allein sein können. Ein Begleiter, Der die Gabe besitzt und die Bereitschaft bewahrheitet, da zu sein … wann und wo auch immer. Einer, Der Sich Selbst darin treu ist, für uns zu sein und an uns zu denken. So treu, dass Er nicht aufgibt, wo wir Ihn längst und also auch uns selbst aufgegeben haben. …….
… Das ist nicht viel, mag man meinen. Dass da Einer offenbar ganz hartnäckig ist, wenn alles andre versagt und sogar unser eigener, sonst so bis zur Ausschließlichkeit fokussierter Durchsetzungs- und Durchhaltewille einknickt. Was soll das schon ändern - wenn alle sonstigen wissenschaftlichen und Zauber-Mittel versagen - dass da ein Einzelner nicht weicht, uns nicht verlässt?!
… Was bringt’s? … Dieser Eine? ……. ——
Noch lebt in unserer Gemeinde ein alter Herr, der als viel zu junges Bürschchen mutterseelen-allein in den Krieg musste. In die Hölle des Mitmachens und der eigenen Wertlosigkeit. Natürlich kam er in Gefangenschaft. Und war in der Hölle seiner Wertlosigkeit das schwächste Glied unter all den armen Teufeln, die in gleicher Verdammnis waren wie er (vgl. Lk.22,40). … Er wusste, dass er da sterben würde: Nur ein Kanten Brot am Tag! Für so ein ausgemergeltes, zuende gequältes Halbstarken-Gerippe! Einmal hob er sich den staubtrockenen, steinharten Kanten auf. Vielleicht weil der einfach zu mühsam zu brechen und zu kauen gewesen wäre, da er doch nicht gereicht hätte, um vorm Hungertod zu retten: … Nur sein Kanten. … Aber nachts auf der Pritsche merkte er, dass der Kamerad neben ihm reglos war. Kalt. Tot. Und merkte, dass der Tote auch noch einen solchen Brotkanten in der leichenstarren Faust hielt, den er nicht mehr hatte verzehren können. Da waren es zwei Kanten. Und der Mutterseeleneinsame, an dessen Seite einer für ihn gestorben war, kaute die ganze Nacht die beiden Kannten: Sein Brot und das Brot des anderen. … Und so lebt er bis heute.
Doch da höre ich wieder die Stimmen – meine und die Stimmen der Vielen – … die Stimmen der Ablehnung und des Widerspruchs: „Das Brot eines Toten als Brot des Lebens? … Wie grausam, wie pervers, wie zynisch ist das denn?!“ …….
… Ach, Menschenskinder! Guckt Euch doch mal um im Kramlager und in der Traumfabrik unseres Konsums: Wie Vieles vom Edelsten und Blanksten, vom Begehrenswerten und Verführerischen trägt nicht unsichtbar gemachte Blutspuren und Leidensnarben und hier und da die Zeichen des Todes, den andere starben, um uns die seltensten der Erden aus der Tiefe und das Metall aus Giftdampf und Feuer zu holen und die luftigen Sommerfähnchen und Polohemden für den Strand von Nizza und Sylt in der Erstickungsenge der Sweatshops zu nähen?
…. Wenn wir unsere Sachen unter das alles durchdringende Licht der Wahrheit halten, sehen wir überall, wie wir von Opfern leben.
Und da wollen wir uns weismachen, wir könnten eine Menschlichkeit, eine Treue und Liebe, die uns in Wahrheit und im Ernst viel, viel nötiger sind, nicht annehmen, weil sie kosteten? – Dinge nutzen wir also, ohne unser Gewissen zu fragen, wie sie wohl zustande kamen; … und den angebotenen Beistand, die echte Gemeinschaft, das reine Füreinander, das Der uns bietet, Der uns liebt, … das schlagen wir aus, weil es uns Zartbesaitete zu sehr belastet? … Wer soll uns das glauben?
Dass Jesus uns so einfach anbietet, durch Ihn zu leben, … dass Er die Grundlage unsres Daseins, … dass Er die alles an und in uns nährende Kraftquelle und die Stillung unseres durch nichts sonst zu sättigenden Hungers nach wirklichem Lebenssinn sein will, … dass Jesus also das Brot sein will, von dem echtes Menschenleben allein leben kann, das liegt an einer einzigen Zutat, die zu Seiner menschlichen Einfachheit und Echtheit hinzukommt: Er ist vom Himmel gekommen.
Er ist die Menschlichkeit für alle Menschen, ihre Substanz und ihre Garantie, weil Gott in Ihm, in Seinem Fleisch das Menschsein trägt.
Und diese einfache Verbindung – das rein Menschliche und das wahrhafte Gottsein –, … diese Einheit aus beiden, die uns das Leben schenkt, sie ist - wie man im Barock gesagt hätte - in der Mühle des Leidens zerstoßen, in der Knetschüssel der Schmerzen durchmischt und in der Glut des Kreuzes gebacken worden: Auferstanden aus diesem allen ist Er so für immer nahrhaft das Brot des Lebens.
Wer nun diesen Jesus mit dem einfachen Rezept – Mensch und Gott in ihrer unzertrennbaren Einheit – an- und aufnimmt, hat alles, was es braucht!
Alles, was jeder braucht!
Alles, was ich brauche!
Wir sollten uns also noch einmal fragen, ob Er uns reicht?
Oder wir fragen umgekehrt: Kann uns denn jemals mehr nötig sein, als dass wir täglich mit dieser Grundeinfachheit gestärkt werden: Da ist Einer, Der uns wirklich meint, … Einer, Der uns immer beisteht, … Einer, Der uns ewig bleibt, … und in diesem Einen, da ist Gott! ——
Die zwölf jungen Landstreicher hatten Ihn und wo sie hinkamen, teilten sie Ihn.
Und wir hier: Wenn wir an Ihn glauben, … dann haben wir das ewige Leben!
So dass uns nur ein einziger Wunsch noch bleibt: Dass in dieser Zeit der äußersten Not, Gewalt und Trübsal noch viele, viele, viele andere, die es so dringend nötig haben, das Eine finden:
Ihn – das Brot vom Himmel … für das Leben der Welt!
Amen.
Okuli, 23.03.2025, Segensgottesdienst, Tersteegenkirche, F.Schulz-Hoffmann
Dieser Gottesdienst war ein ganz besonderer: Neben gleich zwei Taufen konnten sich Jubilare, deren Taufe, Konfirmation oder Hochzeit (eventuell sogar rund) jährte, segnen lassen. Und damit niemand außen vor blieb, bekamen auch Einzelpersonen ohne Jubiläum am Ende ihren Segen. "Gottesdienst mit Segenstationen" war dann auch das heutige Motto. Statt einer längeren Predigt gab Pfarrerin Felicitas Schulz-Hoffmann den Anwesenden zwei Fragen zum Thema "Segen" zum Nachdenken mit auf den Weg.
HIER gibt es diese Gedanken zum Thema "Segen" zum Nachhören.
Okuli, 23.03.2025, Stadtkirche, Jeremia 20, 7 - 11a, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Okuli - 23.III.2025
Jeremia 20, 7 - 11a
Liebe Gemeinde!
In der neuen Fach- und Fremdsprache, die ich jetzt lernen muss, heißt es „Beschwerdemanagement“: Das Ohr und die Anlaufstelle für die Klagen.
Es ist vermutlich nicht beneidenswert, wenn man dafür als Mensch unter Menschen zuständig ist.
… Aber wie mag es erst sein, wenn man Gottes Beschwerdemanagement verantworten soll?!
Selbst die, die nicht Seine Klienten sind - um kurz in dem Jargon zu bleiben, der mir blüht -, … selbst die, die Ihn für nichts sonst zuständig sehen, … selbst die, für die Er gar nicht existiert, … selbst die klagen Ihn an, fordern Ihn zur Rechenschaft, weisen Ihm Versagen und verletzte Aufsichtspflicht nach und drohen, Ihn (Der für Sie niemand ist!) zu diskreditieren und in ihrem Weltbild wegen ihres gestörten Gerechtigkeitsempfindens und Sinnhaftigkeitsgefühls rechtskräftig durch eine andere Instanz ersetzen zu lassen. Berufung ausgeschlossen.
Gottes Beschwerdemanagement also: … Sein vollstes Brieffach, während die Dankespost, die Lieder des Lobes und der Anbetung, aber auch die Bittgesuche und der schlichte Alltagsaustausch im Gebet immer weiter zurückgehen.
Es ist im Himmel so wie in der großen Gastronomie: Das Gute, ja das Beste wird nicht mehr mit Anerkennung genossen, dafür nimmt die Unzufriedenheit im gleichen Maße wie die Unverschämtheit der Gäste überhand. Ein berühmter Koch in Kensington - so las man jüngst in der englischen Presse[i] - dem es schwerfiel, den jahrzehntelang verinnerlichten Grundsatz, dass der Kunde immer Recht habe, zu verabschieden, wurde schließlich erst durch einen Gast ernüchtert, die für eine prachtvolle Delikatesse kostenlosen Ersatz verlangte, weil sie im frisch zubereiteten Gericht eine Folie entdeckt haben wollte. Die Überwachungskamera zeigte, wie die Kundin selbst die Folie in die Speise steckte, um ihren Anspruch zu erschleichen.
… Wer müsste da nicht am Morgen nach der “Earth hour” an die wundervolle Schöpfung Gottes denken, die wir wie jener Gast von Nord- bis Südpol mit unserm Plastik überzogen und unserer Zerstörungskraft verdorben haben, und doch wird der Schöpfer angeklagt, dass die Welt voller unlösbarer Probleme und die Menschheit in der Sackgasse sei: „Her mit der kostenlosen Ersatzwelt zur Entschädigung! Die Menschheit will den Manager sprechen! Wir verlangen unser Recht!“ …
Das ist die eine Seite der endlosen Klagen, der grundlosen Beschwerden, die von jeher in Gottes Richtung abgeladen werden: Klagen, die Ablenkungsmanöver waren und sind. Klagen, die Selbsttäuschung und Hinterlist verraten. Klagen der Schuldigen.
Aber der HERR ist ein Gott des Rechts (Jes.30,18)!
Das sollen alle wissen, die heute und in Zukunft meinen, sie könnten das Recht beugen und brechen, sie könnten es sich nehmen und niemand anderem geben, sie dürften es verdrehen und brauchten es nicht zu fürchten. Der HERR ist ein Gott des Rechts! Und darum dringen vor Ihn die Klagen aller, die Unrecht leiden (vgl.Ps.146,7); Er hört das Gebet der Unterdrückten (Sirach35,16) und die Stimme derer, die rechtlich und körperlich ohne Stimme sind, … und sollten diese - die Kinder nämlich - einst schweigen, so werden doch nach Jesu Prophezeiung die Steine schreien (vgl.Lk.19,40!).
Die Klage der Unschuldigen also dringt durch zu Gott, und sie ist eine viel, viel stärkere Macht als die perfide und verlogene Anklagerei derer, die Ihn haftbar machen wollen für die Sünden, die sie selbst begehen. ———
Eben nun haben wir den Klagepropheten schlechthin gehört.
Seine Qualen und seine Traurigkeit, sein Jammer und Schmerz tönen seit Jahrhunderten in den Wochen der Passionszeit durch die Liturgien und Gottesdienste der Christenheit: Jeremia, der seelische Märtyrer bei lebendigem Leib, der untröstlich Verunsicherte in Zeiten verdächtiger Sicherheitsillusionen, … Jeremia, der verhasste Unglücksrabe, als Jerusalem kurz vor seiner Katastrophe vom Tempel und vom Königspalast aus noch mit Wohlstands- und Friedenspropaganda berieselt und eingelullt wurde, … Jeremia, der pessimistische Realist in Gottes Auftrag, als man überall religiöse und politische Positivitäts-Halluzinationen verströmte wie den Cannabis-Dunst heute, … Jeremia, der Bote der Wahrheit, die weniger schmeichelt und schont als die Lüge …, Jeremia hat seine Unschuld satt, die ihm viel, viel mehr Verfolgung, Hass und Lebensgefahr einträgt als die übelste Korruption und Unmoral es jemals könnten.
Er kann und mag nicht mehr die Warnungen und die Maßstäbe Gottes überbringen an eine Welt und eine Gemeinde, die sich viel lieber bequem im Selbstbetrug einrichten, der 605 v. Chr. genauso klang und verfing wie 2025 danach.: „So schlimm kommt’s schon nicht. Es muss sich nichts ändern. Wenn alle dabeibleiben, können wir logischerweise nicht aufhören.“
So änderte Jerusalem seine Gewohnheiten, seine Blindheiten nicht. Es blieb seiner Untreue treu. Bis Nebukadnezar kam und mit ihm die alte Wahrheit, dass man in seinem Tun nicht erntet, was man gerne hätte, sondern was man sät und nicht das erhält, was man sich einbildet, sondern das, was man anrichtet. …
Doch einstweilen brach nur Jeremia zusammen. In einer Klage, die heute direkt vor die Disziplinarkammer jeder Kirche führen würde und die darum seit Hieronymus niemand mehr wörtlich zu übersetzen wagte[ii]: „Du hast mich verführt … verführt zum erbärmlichen, entwürdigenden Los des Propheten; Du hast mich entmündigt, als ich zu Deinem Mund gemacht wurde“, schluchzt und schleudert er Gott ins Gesicht. … Im Klartext: Du hast mir Gewalt angetan. … Du hast mich missbraucht. …… ….. …. … .. .
Das ist die abgründigste Klage der Unschuld, die es gibt.
Es ist - wie wir wissen müssen - das abgründigste Verbrechen, als dessen Opfer Jeremia sich erfährt. Seine unzweifelhafte Unschuld, seine ganz und gar nicht selbstverschuldete Isolation und Stigmatisierung, seine bis zum Selbsthass und zur Daseinsverzweiflung reichenden Selbstzweifel und sein ganz und gar zerbrochenes Vertrauen in alles und jeden sind die furchtbaren Schmerzen eines Menschen, der psychische und persönliche Gewalt erlitten hat.
… Gerade seine Unschuld ist sein vernichtender Schmerz.
Hätte er sich in Szene setzen wollen, hätte er für sich Wahrnehmung und Echo gesucht, hätte es ihm geschmeichelt, mit der leidenschaftlichsten Wirklichkeit der Welt - Gott nämlich - in Verbindung gebracht zu werden: Sein Leid wäre immerhin durch diese Anhaltspunkte in ihm selber erklärbarer gewesen.
… Doch nichts von alledem traf bei Jeremia zu. Schüchtern, wie kein zweiter Prophet (vgl. Jer.1,6), hilflos und verlassen vergleicht er sich selbst mit einem arglosen Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird (vgl.Jer.11,19). …..
Kein Zweifel: Die Psyche Jeremias ist die Psyche eines Gewaltopfers. Die Psyche des unschuldigen Menschen, der unter Menschenschuld erstickt.
Nur dass eben die Gewalttat, die Jeremia zum Märtyrer macht, nicht die Tat Gottes an ihm, sondern das Echo auf Gott ist, das die Unschuldigen trifft.
Jeremia erleidet die Passion Gottes mit.
Er trägt Gott in sich, auf den die Welt allergisch und das heißt mit reflexhafter, fiebriger, glühender Abstoßung reagiert.
Die Gotteskrankheit, die in Jeremias Leben ausgebrochen ist und wütet, die Gottes-schmerzen, die er trägt, der Gottesspott, der auch den Propheten trifft, die Gottverdammung, die dem Gottesboten und Gottesfreund gilt, sie alle führen zu den bitteren Schmerzen der Unschuld, die Jeremias Klage so grauenvoll machen.
Grauenvoll, weil alle Logik an ihr zerbricht.
Denn es stimmt nur halb - und also gar nicht-, wenn wir uns logisch aus der Befassung mit der furchtbaren Klage und Anklage Jeremias retten wollen, die er eindeutig gegen Gott richtet, obwohl sie doch den Menschen, die ihn stellvertretend für Gott leiden lassen, gelten müssten. Zu dozieren, Jeremia verwechsele Ursache und Wirkung, wenn er seine schmerzhaften Leidenserfahrungen, die Menschen ihm zufügen, auf Gott zurückführt, stimmt nur halb … und also gar nicht.
Ja, tatsächlich sind es die Menschen, die Jeremia so ohnmächtig das Schicksal des Lammes auf dem Weg zur Schlachtbank empfinden lassen.
Es sind Menschen, die Jeremia die feurigen Schmerzen seines Scheiterns im Namen Gottes … und seines Scheiterns am Verschweigen Gottes zufügen. ——
Aber dass dieses Lamm Jeremia gerade so für das andere Lamm, … das Gotteslamm, … das Lamm, das Gott ist, leidet, lässt sich nicht verkennen. …….
Es fällt darum – allerdings in der Gemeinsamkeit der unschuldigen Opfer, nicht im Sinne der Täteranklage – tatsächlich auch auf Gott das schwere Gewicht der Jeremia-Klage. Sein Leid unter den Menschen ist ein Um-Gottes-willen-Leiden. ——
Und da werden wir stumm.
… Diese Vorwürfe, diese Beschwerden soll dann eben Gott irgendwie aufklären und ausräumen. Mit den Anklagen, dass Menschen mit Ihm, für Ihn und um Seinetwillen leiden, muss Er nun fertigwerden: So denken wir.
… Dass wir also wahrhaftig nicht die Beschwerdemanager Gottes sind, denken wir. …
Aber wenn das der letzte Gedanke dazu ist, dann müssten wir nicht nur wiederholt den dritten Sonntag der Passionszeit, sondern eigentlich das ganze Evangelium überspringen.
Denn auch wenn uns das immer furchtbar - furchtbar fremd und furchtbar lästig und furchtbar bedrängend und beschwerlich – ist, ist heute dennoch dieser Sonntag: Der Sonntag der Nachfolge.
Weil das Evangelium von Jesus Christus vom Ruf in die Nachfolge durchwoben ist. Ohne diesen wiederholten Ruf, der Menschen beim Fischen (vgl. Matth.4,19) und am Zoll (Matth.9,9) - also im plattesten Alltag - ergreift, … ohne diese Gelegenheit zur Nachfolge, die Reichen (Matth.19,21) wie Bettlern (Matth.9,27) gleichermaßen offensteht, … ohne diese Freiheit zur Nachfolge, in der Frauen (Matth.27,55) und Unfreie aus der Dunkelheit treten und das Licht ihres eigenen Lebens am Licht der Welt hellglänzend und sichtbar entzünden dürfen (vgl. Joh.8,12), … ohne diese befreiende, aber auch verbindliche Nachfolge, die Menschen im Kreuztragen (Matth.10,38) wie im endzeitlichen Sitzen auf dem Thron der Herrlichkeit (Matth.19,28) ganz und gar und unlöslich mit Jesus verbindet, … ohne die Aufforderung also zur Nachfolge und ohne die antwortende Freiwilligkeit in solcher Nachfolge, wäre das Evangelium vorbei: Beendete Geschichte. Abgeschnittener Faden. Fertig gewebter Stoff.
Nur die Möglichkeit unserer Nachfolge macht das Evangelium zu dem, was es ist: Wahrheit!
Das aber steht heute und in diesen Wochen des Kirchenjahres, … vielleicht indes auch allgemein und ganz politisch und ganz existentiell in unseren Tagen und in der Zukunft, die uns bevorsteht, in so vollem, lebendigem Ernst vor uns, wie wir das alle nicht mehr gewohnt sind: Jesus Christus ist gekommen als Erlöser der Welt und gerade deshalb als das Lamm, das zur Schlachtbank dieser Welt gezerrt wird. Und diese, Seine Beschwerden, … dieses, Sein Kreuz, … diese, Seine Passionsnöte, … dieser, Sein Dienst der Liebe und der Hingabe in aller Unschuld an die Schuldigen … dies alles ist verbunden mit dem Ruf, dass auch wir uns davon beschweren und betreffen lassen.
Werden wir diesen Ruf hören und ertragen?
Werden wir die Beschwernis des Kreuzes und der Kreuzgemeinschaft aushalten oder werden wir uns auf’s Beschweren, auf’s Motzen und Jammern und Fordern zurückziehen?
Werden wir gemeinsam mit dem unschuldigen Jesus wie Jeremia den Argwohn und den Ärger der Menschen aushalten, die in Ruhe gelassen werden und nicht erkennen wollen, was sie tun und lassen müssten, um das Recht zu wahren und weitere, bittere, absichtliche Schuld zu vermeiden?
Werden wir unsere Gewohnheiten lieber haben, als die Gemeinschaft mit Gott, zu der wir gerufen sind?
Werden wir nachfolgen oder das Evangelium Lügen strafen? —
Werden wir also die Hand überhaupt an den Pflug legen[iii]?
Und wenn wir das tun, werden wir dann die Spur mit Jesus halten, obwohl es wahrhaftig beschwerlich ist?
Oder werden wir zurückblicken und lieber in unserm alten Trott bleiben, obwohl da, wo heute nicht umgebrochen und gepflügt wird, morgen nichts mehr gedeihen kann?
Werden wir trotz der Nachteile, der Einschränkungen, der Schwierigkeiten, der möglichen Stigmatisierung und schließlich der ungeahnten letzten Folgen einer Nachfolge Christinnen und Christen bleiben?
Werden wir als die Gemeinde Jesu Christi Seinen Weg zum Reich Gottes mitgehen?
Auch wenn wir dabei klagen müssten wie einst Jeremia? …
… Doch haben wir auch gehört, was er mitten in seiner Klage bekennt?
– „Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held ...“
Und ahnen wir, was das aus dem Mund des leidenden Propheten mitten in der Brutalität seiner Zeit und Welt und unserer Welt und Zeit bedeutet?
Ahnen wir, wohin uns die Nachfolge - wenn wir sie denn wählen - führen wird?
… „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob!“ (Offenb.5,12)
Sollten alle Beschwerlichkeiten, alle Beschwerden und Kümmernisse der jetzigen Passionszeiten nicht dieses österliche Lied wert sein, … das Lied des Lammes, das die Überwinder singen werden am gläsernen Meer, mit Feuer vermengt (vgl. Offenb.15,2), wo klare Erkenntnis also und Leidenschaft verschmelzen, … das Lied des Lammes, das alle Überwinder zusammen singen werden mit Jeremia, dem es im Herzen brannte – wie den Emmaus-Jüngern (vgl. Lk.24,32)! –, als er Gottes nicht mehr gendenken und in Seinem Namen nicht mehr predigen wollte?!
Dahin kann man nachfolgen: Durch die Passion. … Durch die Zeit
Folgen auch wir!
Amen.
[i] https://www.theguardian.com/food/2025/mar/15/north-wales-chef-loses-appetite-for-difficult-diners
[ii] In der Vulgata heißt es schonungslos: „Seduxisti me Domine et seductus sum …“
[iii] Der Wochenspruch – „Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ – aus dem Evangelium dieses Sonntags (Lk.9,57 – 62) gibt dem gesamten Sonntag sein Gepräge.
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Prediger 5,9
Wir haben nichts in die Welt gebracht, darum können wir auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir uns damit begnügen.
1. Timotheus 6,7-8