2.So. n. Epiphanias, 19.01.2025, Stadtkirche, Römer 12, 9 - 16, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 2.So.n.Epiphan. - 19.I.2025
Römer 12, 9 - 16
Liebe Gemeinde!
Am nächsten Samstag steht ein Fest in unserm kirchlichen Kalender, das man vielleicht gern mit einer Exkursion verbinden sollte, weil das zum ersten Mal seit vielen Jahren möglich wäre. Wir könnten einen Flieger nehmen – in der Hoffnung, dass nicht zu viele syrische Ärzte und Ingenieurinnen den Abschiebungsunfug der deutschen Diskussion aufgeschnappt haben und uns die Plätze wegnehmen –, um in jenes Land zu fliegen, an dessen Himmel der auferstandene und zu Gottes rechter Hand erhöhte Jesus Christus die Weltgeschichte für immer veränderte. Doch selbst wenn wir im Luftraum über Damaskus an genau dem Punkt des Koordinatensystems wären, an dem damals das himmlische Licht Saulus umleuchtete und die Stimme erging: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (Apg.9,3f), … selbst dann wären wir nicht da, wo die Bekehrung des Paulus - das Fest des 25.Januar - hinführte.
Denn die Weltwende, die mit der Berufung des Apostels für uns Heiden einsetzte, hat eine sämtlichen Flügen und Ausflügen, sämtlichen Aufschwüngen und erhabenen Höhen komplett entgegengesetzte Richtung.
… Und ob Menschen dieser Tangente folgen mögen und folgen können, das ist tatsächlich die Frage. …
Denn in einer nicht sehr glücklichen, vielmehr bewusst verunglückten Metapher angesichts der spekulativen Flugreise nach Damaskus gilt: Christ-Sein bedeutet für alle, die gern obenauf sind, eine Bruchlandung. Wen das Evangelium nicht runterzieht, wer mit Jesus nicht den Niedergang teilt, sitzt nicht im gleichen Luft- und Himmelsschiff wie der Rest der Kirche aus Juden und Heiden.
Christentum ist wirklich nichts für Wolkensegler, sondern Fußvolk-Sache: Das hat die Kunstgeschichte auf ganz schlichte Weise gespürt, die den Saulus des 25.Januar, den vor Damaskus hingehauenen und umgekrempelten Christenverfolger mit Vorliebe blind und strampelnd nach einem Fall vom Pferd zeigt, aber den Christusprediger und Wandermissionar Paulus danach nie wieder beritten darstellt, obwohl er doch in weniger als 15 Jahren mindestens 15 000 Kilometer bei seiner Ausbreitung des Evangeliums und seinen Gemeindegründungs- und Kollektenreisen zurücklegte. Der ehemals Berittene wird also in den Bildern, die sich von ihm einprägten, auf den Gebrauch von Schusters Rappen zurückgestutzt … und immer wieder unsicheren Schiffsplanken ausgeliefert: Kavallerie wird Infanterie. … Glauben heißt buchstäblich Absteigen! Runter von allen hohen Rössern …
Das liegt an der Lage der Welt und der Menschheit in ihr: Wir sind nicht die Überirdischen, für die wir uns halten, und der Planet Erde ist - einerlei ob nach Mose oder Ptolemäus oder Kopernikus - nirgends der Gipfel des Universums, sondern ein Zipfelchen unterhalb der Sonne, auf dem Wasser, Staub und Luft und Feuer ihre Wirbel zeichnen, die vor der Klarheit alles Unvergänglichen nur Schattenspiel und Dämpfe sind.
Tatsächlich gilt, was das „Urlicht“ in des Knaben Wunderhorn und bei Gustav Mahler[i] an den Tag bringt: „Der Mensch liegt in größter Not, der Mensch liegt in größter Pein …….“
Und darum schreit die Erlösungssehnsucht mit den Worten Jesajas (63,19c) so eindringlich aus der Tiefe: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab…“, und tagein, tagaus flehen und röcheln es tausende Menschen genauso in der unvorstellbaren Höllenwirklichkeit unserer Gegenwart in Gaza und Cherson und Sanaa.
Und darum ist das Evangelium nichts anderes als der Bericht des erbarmend-erbärmlich Runtergekommenen, der sich vollkommen aus dem Himmel, aus Helligkeit und Heil verabschiedet, in die Niederungen der absoluten Armut und totalen Schwäche taucht und dann sogar - wie das apostolische Glaubensbekenntnis es zu sagen wagt - noch tiefer abstürzt: „hinab … ins Reich des Todes …“!
Der sprichwörtliche unterste Weg, den die Friedfertigen gehen sollten, … das poetische „Tal der Demut“, in dem die anspruchslose Frömmigkeit des Herzens sich heimisch fühlt, … die „Option für die Armen“, von der die politische Theologie bewegt ist, … das „anonyme Christentum“, das Bonhoeffer als die einzige Möglichkeit nach den Sündenfällen der kirchlichen Machtgeilheit betrachtete, ……. alle diese Umschreibungen des für Christus und die Christen typischen Zuges in den Straßengraben der Geschichte, in die Gosse und die Katakomben sind erste Orientierungen für das, was unsere Mission … und darum unser Problem ist:
Wir folgen zum Sieg der Liebe in der Spur eines Opfers.
… Und also nicht eines Gewinners.
Nicht auf der Erfolgsspur.
Nicht auf dem Highway to happiness.
Dieses Jahr wird es zwar noch lange - länger als sonst dauern -, bis hier wieder die violetten Paramente des tiefen Ernstes hängen, aber selbst wenn uns heute noch der etwas struppig und stachelig gewordene Weihnachtsbaum leuchtet, merken wir, dass die Weltreligion, die an einem Viehtrog begann und deren Lebensweise von einem unschuldig Ermordeten bestimmt wird, keine Landpartie, sondern einen Kreuzweg bietet.
Unser Wegweiser auf diesen Pfad der Nachfolge, in diese Richtung abwärts, erdwärts, menschwärts ist nun aber nichts anderes als die Ethik, die Paulus und alle Apostel in der Nachfolge Jesu lehren.
Christliche Ethik hat also eine unzweifelhafte, eine eindeutige Orientierung: Nach unten!
Wenn sie die Aufmerksamkeit nicht auf die Tiefen – auf die Tiefen des Lebens, der Gesellschaft, der Verhältnisse, der Wahrheit – lenkt, sondern über das alles hinweggleitet, weil sie nur die Oberfläche wahrhaben will oder auf eine vermeintlich übergeordnete, höhere, wichtigere Ebene zielt, dann ist sie nicht mehr christliche Ethik, sondern eins der vielen Systeme, die immer nur lehren, irgendwo herauf zu krabbeln, während Gott in Christus doch den Weg der selbstgewählten Erniedrigung geht und uns weist.
Diesen Weg ging auch Paulus, der glänzend schriftgelehrte Pharisäer, der zu den Heiden zog, die von Mose und allen Propheten keine Ahnung hatten. Sein Weg der Nähe zu den durch nichts geheiligten Einfältigen, die man „Barbaren“ nannte oder „Plebs“, war spirituell und sozial ein Absturz für den vielversprechenden Rabbiner mit römischem Bürgerrecht aus Tarsus.
Aber noch dramatischer wird seine freiwillige Verbannung zu einer Art Exil im Morast der Blindheit, der Sünde und des dreckigen Eigenlobs der Hoffnungslosen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Paulus begnadet war mit mystischen Höhenflügen: Er bezeugt ein einziges Mal in bescheidener Verschlüsselung, dass er wahrhaftig in den Himmel entrückt worden ist und im Paradies überwältigende Offenbarungen empfing (vgl. 2.Kor.12,2ff), … doch der herrliche Frieden der Kontemplation, die selige Erfahrung der reinen Gegenwart des Heils zu Lebzeiten war ihm nicht als bleibendes Los beschieden. In entwürdigender Schwachheit sollte er stattdessen weiter Gottes Kraft (vgl. 2.Kor.12,9) verkörpern und verbreiten. Statt Verklärung zu kosten, galt es unermüdlich zu marschieren, frustrierend zu missionieren und verarscht zu werden, es galt Briefe zu schreiben und Gelder zu sammeln und Verhaftungen zu riskieren und durch seine theologischen und kulturellen und politischen Provokationen dem unvermeidlichen Todesurteil immer näher zu kommen. Es galt also, in der Liebe zu bleiben ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste.
… Und das nennt sich Ethik?
Ja, genau das ist Ethik im Geiste Christi!
– Warum sich da bei uns so vieles sträubt? … Weil wir Ethik vermengen und verwechseln mit dem Idealen. Doch genau das ist sie gerade nicht. Sie zielt nicht auf die sterile Unerreichbarkeit des olympisch Vollkommenen, sondern auf die Echtheit und Wirklichkeit des armseligen Menschlichen, dem Gott, der Vater Jesu Christi sich aus überwältigender Gnade vollkommen zuwendet.
Wenn wir den Hang zum Bescheidenen und Bedürftigen, … wenn wir die erstaunliche Konsequenz der Treue im Kleinen, … wenn wir die Unbeirrbarkeit, mit der sie den Spott der Ehre vorziehen, … wenn wir die Dankbarkeit für Geringes und die verschwenderische Hoffnungssaat gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeit bei den Vollblut-Nachfolgerinnen und -Nachfolgern Jesu betrachten, dann merken wir, dass die Ethik, die nicht herrschen, sondern dienen will, … die Ethik, die nicht in den Wolken, sondern an der Basis ansetzt, … die Ethik also, die nicht das Beste, sondern das Gute aufbauen will, überhaupt nicht vergrämt oder säuerlich ist.
Wie ja auch Paulus, der Polterer und Starrkopf und unbändige Kraftwerker des Evangeliums und der globalen Rettung, alles war, … aber nicht bitter.
Wie sonst wäre der schönste und tiefste Hymnus auf die Liebe (vgl. 1Kor.13) wohl mit seinem Namen verbunden? Wie sonst spräche die strahlende Fröhlichkeit des Philipperbriefes, das kosmische Erlösungsvertrauen des Kolosserbriefes, die Wärme der Versöhnungserfahrung des Epheserbriefes – um nur die späten Briefe aus der Kerkerzelle des Apostels zu nennen – uns so unmittelbar zu Herzen?
– Nein. Die Ethik der Nachfolge des Menschenliebhabers, der sich an die Hungerleider und Hilflosen, an die Tunichtgute und Habenichste vor dem Himmel verschenkt, ist kein schmallippiger Zwang der Selbstverleugnung, sondern die herzerwärmendste und leidenschaftlichste Annäherung an das echte, miese, kränkelnde, oft lächerliche, manch-mal schäbige, immer ungeschönte, aber so und so und so und so und so und so von Gott geliebte Dasein aller Menschenkinder!
Und darum ist uns allen nur zu wünschen und zu raten, dass wir die Flausen und das Getue lassen, wenn wir erleben wollen, was der Weg des lebendigen Glaubens an den lebendigen Jesus Christus tatsächlich ist:
Nichts Besonderes. Nichts Exklusives. Nichts, das glänzt oder Punkte und Prestige bringt. Wenn wir uns an solchen Maßstäben orientieren, haben wir uns schon verirrt!
Christsein hat nichts mit Überlegenheit, dafür aber viel mit Verlegenheit zu tun: Dass es uns schändlich sein sollte, wenn wir das Problem nicht sehen, das andere so eindeutig und schmerzlich haben. Dass wir uns zu bändigen lernen bei Instinkten, die das Raubtier haben mag, aber nicht das Herdentier. Dass wir folglich lernen müssten - und hier wird es in der einfachsten Weise übernatürlich! - von den Reflexen, uns selbst auf Kosten anderer zu retten, Abstand zu nehmen und lieber auf den guten Hirten zu vertrauen, als auf den guten Vorteil.
Und ganz besonders das ist christliche Christusähnlichkeit: Peinlichkeit als persönliche Erfahrung nicht nur zu unterdrücken, sondern zu verlieren. Wenn wir nämlich - Juden und Heiden! - allzumal Sünder sind (Rö.3,23), wovon die ersten drei Kapitel des Römerbriefes sprechen, dann hören das Vergleichen und Unterscheiden, das Abheben und Hervorragen, das Übertrumpfen und das Ausschließen aus.
Dann fängt durch Gnade und Vergebung die Freiheit der Liebe an in uns zu wirken und unsere affigen Trennungen - dieses giftige Rottenwesen, diese Urwald-Hierarchien von Silberrücken und Leitkühen - zur großen menschlichen Gemeinsamkeit vor Gott und durch Gott und für Gott umzuschmelzen.
Willst Du also Christin sein oder Christ, willst Du Christus, den Herrn der Erniedrigung – Der äußerlich hervorragend erst wurde, als sie Ihn an ein Kreuz hochhievten – als Deinen herrlichen Retter und einzigen Ruhm erfahren, dann komm runter von den Bäumen, in denen Du Dir hochgestellt vorkamst, und tritt wie der Mensch, als er sich in der Savanne zum ersten Mal exponiert aufrichtete, einfach ungeschützt auf den Boden der Tatsachen.
Da steht und geht Christus durch die Welt und Zeit und tritt in jedes Fettnapf, weicht keinem Müll aus, schüttelt alle Hände, streichelt alle Eiterbeulen, sieht die in den Verstecken, schützt die, die niemand vermissen würde, kennt die Sprachlosen, liebt die Verhaltensauffälligen, nennt die Blödmänner „Brüder“ und die, die Du verstohlen als „Schlampe“ bezeichnen würdest (wenn Du dazu nicht viel zu „gut“ wärest) „Schwester“, … da geht und heilt Christus sie einfach alle, … da hängt und stirbt Christus am Kreuz einfach für jeden Kriminellen, der nach ihm schreit, … da lebt und herrscht Christus tatsächlich inmitten des himmlischen Gesindels, inmitten des Menschenpacks, als das die Erlösten sich freuen werden, wenn sie endlich erfahren, wer Er ist und was Er aus ihnen gemacht hat.
Wenn Du Christus also hören kannst und Ihm zu folgen bereit bist, weil Du – statt Dir selbst und Deinem Zynismus und der Inhaltslosigkeit des bloß Äußerlichen überlassen zu bleiben – Ihm gehören willst, dann gibt es drei einfache Richtungsangaben.
Du folgst Christus und wirst Ihn finden, wenn Du unter Deiner Würde und im Sprung über Deinen Schatten und sorglos außerhalb Deiner gewohnten Bequemlichkeit suchst.
So mit Rotz und Gestank.
Bei Nervensägen und „Hau rein in den Frust“.
In der wabbeligen und prekären, chancenlosen, entwaffnend platten Masse der kleingeistigen Menschen mit ihren schlichten, aber entscheidenden Bedürftigkeiten nach Glück und Erlösung:
Da leuchtet der Morgenstern (vgl. EG 70).
Da flickt Gott mit Geduld und Spucke und dem Blut des Sohnes die Menschheit für das Himmelreich zusammen.
Da passiert unser Glaube.
Da strahlt die Weltwende von Damaskus in den popeligen Alltag hinein, der die Heilsgeschichte unserer Ethik ist.
Wie das zugehen soll? – Mein liebster Dichter (inzwischen ist auch das mir nicht mehr peinlich!), Ernst Wiechert sagt es so:
„Herr, führe heut und für und für
durchs hohe Gras vor meiner Tür
die Füße aller Armen.
Und gib, daß es mir niemals fehlt
an dem, wonach ihr Herz sich quält:
ein bißchen Brot und viel Erbarmen.“[ii]
Und der Apostel sagt es ebenso einfach in den Worten, die wir Christen teilen und zu leben versuchen werden, bis keine Ethik mehr sein wird, weil sein Reich gekommen ist:
(Lesung der einzelnen Sätze des Predigttextes durch Gemeindeglieder)
Die Liebe sei ohne Falsch.
Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
Die geschwisterliche Liebe untereinander sei herzlich.
Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.
Seid brennend im Geist.
Dient dem Herrn.
Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an.
Übt Gastfreundschaft.
Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht.
Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.
Seid eines Sinnes untereinander.
Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen.
Haltet euch nicht selbst für klug.
Amen.
[i] In Mahlers Auferstehungssymphonie (Symphonie No.2) nimmt der mit „Urlicht“ bezeichnete Text aus Achim von Arnims und Clemens Brentanos Volks- und Kunstliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“, den Mahler auch als Lied vertonte, eine entscheidende Stellung ein. In seiner rätselhaften Verdichtung ist das Klage-, Trotz-, Vertrauens- und Hoffnungspotential des religiösen Glaubens eindringlich-einfältig verknüpft:
„O Röschen roth,
Der Mensch liegt in gröster Noth,
Der Mensch liegt in gröster Pein,
Je lieber mögt ich im Himmel seyn.
Da kam ich auf einen breiten Weg,
Da kam ein Engellein und wollt mich abweisen,
Ach nein ich ließ mich nicht abweisen.
Ich bin von Gott, ich will wieder zu Gott,
Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben,
Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben.“
[ii] Ernst Wiecherts aus dem ostpreußischen Flüchtlingsschicksal schöpfendes Gedicht „Es geht ein Pflüger übers Land“ ist ein Manifest dessen, was wir gegen die machtpolitischen und revanchistischen und menschenfeindlichen Tendenzen der heutigen politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage an Einsicht und Ethik bräuchten.
1.So. nach Epiphanias, 12.01.2025, Tersteegenkirche, Josua 3, 5 - 11.17, Jonas Marquardt
Predigt Tersteegen 1.So.n.Trin - 12.I.2025 Predigt als Podcast
Fusionsgottesdienst der Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth-Tersteegen
Josua 3, 5-11.17
Liebe Gemeinde!
So also beginnt das Schlamassel: Die neue Epoche der verbundenen Gemeinde und des vereinigten Presbyteriums beginnt mit der Erinnerung an einen sprichwörtlichen Übergang, der im Volksmund völlig verdreht rüberkommt. „Über’n Jordan“ – ein wenig weiter östlich und noch frömmer als bei uns sagt man „über die Wupper“ – … das heißt für die meisten schlicht: Futsch. Erledigt. Tot. ―
Und tatsächlich wirkt’s wie ein Schlamassel, was die in der Wüste Geborenen, die Mose nicht mehr kennenlernten, sondern nur Josua an der Spitze des verlorenen Haufens der Land-streicher Gottes kannten, über’m Jordan erwartet. Ein Schlamassel bis heute … im Westjordanland, … auf den grünen Hügeln Galiläas, die sich nach Syrien dehnen, … im finstersten Küsten- und Wüstenstreifen der Erde, dem Gaza des Todes.
Wenn die Kinder Israel sich geweigerten hätten, über’n Jordan zu gehen und vielleicht einfach nach Osten geschwenkt und in die viel weniger besiedelten Weiten gezogen wären und dort ohne Gott, aber mit viel Kühnheit und Elon-Musk’schem Größenwahn eine Staatsgründung versucht hätten, dann säße das jüdische Volk heute auf saudischem Öl und wer weiß, wie es Mohammed in Mekka ergangen wäre und was aus dem bodenschatzlosen Palästina geworden wäre, wenn dort keine Religion der Welt die Winke und Wege und Worte des Himmelreichs erlebt hätte …
Wir merken: Echtes Schlamassel entsteht, wenn man das „Was wäre wenn?“-Spiel spielt.
Nicht, als führten Gottes Wege nicht auch in ein Durcheinander, ein Drunter-und-Drüber, ein Dick-und-Dünn der großen und schweren und bitteren Probleme. Das tun sie! … Sie führen uns alle irgendwann auch an und über den Jordan. Weil Gottes Wege eben nicht die „Was wäre wenn?“-Wege, sondern Wege durch die Wirklichkeit sind.
… Und auf den wirklichen Wegen dieser Welt ist nichts so, wie wir es uns zurechtträumen, … sondern halt viel echter!
Da ist das Gelobte Land, an dessen Schwelle die schon x-mal zerfallene und bockige und kalbverrückte, diese demotivierte und widerspenstige und noch gar kein bisschen gefestigte und gefasste und geformte Gemeinde Israels steht, … da ist das Gelobte Land, das vor diesen unfertigen und ratlosen und - wenn der schreckliche Gauland es nicht gesagt hätte, müsste man fast sagen - „gärigen“, brodelnden, von Illusionen und Zynismus zugedröhnten Leuten liegt, … das ist das Gelobte Land (dritter Anlauf!) nicht urlaubsruhig und seelenfriedlich, weder bezugsfertig bequem, noch harmlos heimatlich, sondern dort dampft die ka…naanäische Frage: „Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter, Jebusiter“ … diese lästigen Menschen alle.
… So lästig wie die Welt der Menschen und die Menschheit der Welt nun einmal ist.
… So lästig, dass Israel sich im Land jenseits des Jordan nicht mit dem eigenen, sondern mit dem Zusammenleben endlos plagen wird, obwohl der lebendige Gott sie doch vor Israel vertreiben wollte. …
Wenn wir aber auf das Vertreiben Gottes achten, dann wird den meisten von uns diese Aufzählung von kleinen Stämmen, diese Völkertafel vermutlich in den Ohren klingen und uns daran erinnern, dass sie offenbar in leicht verwandelter, geschichtlich gut durchgerüttelter Gestalt an einem berühmten Tag alle wieder im Gelobten Land auftauchten: Die Parther und Meder und Elamiter, die Phrygier und Pamphylier (vgl. Apg.2,9f) und Kalkumer und Golzheimer und Lohauser und Stockumer und Wittlaerer und wie sie alle, … wie wir alle heißen.
Gottes Wege schaffen nämlich niemanden aus dem Weg, sondern sie führen hin und her, ein und aus und sammeln die lustigen und lästigen, die verwirrten und verfeindeten, die unlösbaren und doch erlösten Menschenkinder immer neu zusammen.
Keins geht verloren. Wie der Hirt im alten schlesischen Weihnachtlied (i.e. „Was soll das bedeuten?“), so schiebt und lockt und scheucht und trägt Gott Seine Menschen: „Treibt zusammen, treibt zusammen, die Schäflein fürbaß.“
Darum also sind wir heute hier, bei diesem Übergang, an dieser Furt, an der wir hinüber in ein Neues ziehen: Als solche, die Gott zusammenbringt und deren Aufgabe und Zukunftsziel das Zusammenleben sein wird. …Anders hoffentlich, als es jene erwartete, die damals durch den Jordan zogen. … Von vornherein dessen bewusst, dass wir als Gemeinde hier leben und sein dürfen, um die, die um uns herum siedeln, in das große, pfingstliche Ziel einzubeziehen, dass wir alle miteinander merken, dass ein lebendiger Gott unter uns ist.
So verstehen wir gemeinsam ja den Ruf der Gemeinde: Dass sie das Volk ist, in dem das Wunder des Versöhnens, die herrlich-fruchtbare, lästige und zähe, aber doch über alle Verhältnismäßigkeit und Logik hinaus gesegnete Verbindung alles Menschlichen und aller Menschen mit Gott bezeugt, gefeiert und geteilt wird!
Der Tersteegen’sche Urjubel: „Gott ist gegenwärtig“ (vgl. EG 165,1).
Das Fliedner’sche Grundmotiv: „Darum freuet euch in Ihm allewege, und abermals sage ich: Freuet euch“ (vgl.Phil.4,4).
Das von oberhalb des Froschenteichs bis unterhalb der Theodor-Heuss-Brücke entlang des Stroms und aller Straßen, die uns verbinden, zu leben … und zwar so, dass es zur eigentlichen Strömung im Kreislauf unseres Lebensgefühls und zur Ausstrahlung unseres Miteinanders und zur praktischen Erfahrung und seelischen Erbauung und tröstlichen Gewissheit im Dasein ganz vieler in unseren Stadtteilen beiträgt, … das ist der Grund, weshalb wir den Übergang über Schwellen und Grenzen gewählt und gewagt haben, der uns nun nicht das Gelobte Land, sehr wohl aber das geteilte Leben der ehemals getrennten Gemeinden Kaiserswerth und Tersteegen eröffnet. ——
Und damit kehren wir zum Schlamassel zurück, das echte Übergänge immer auch bedeuten: Es sind Mutproben und Häutungen; Aufbrüche ins Risiko und Versuche des Unvertrauten.
Die gepfefferteste und damit unvergesslichste Abreibung meiner Kindheit habe ich mir eingehandelt, als ich das buchstäbliche Stromern hinterm Dorf einmal zu mutwillig trieb. Uns war das Spielen außerhalb des Dorfs in der Gemarkung und im Feld tatsächlich noch frei erlaubt, aber es gab drastische Beschwörungen, was die Gefahren der notdürftig abgedeckten Brunnen in den Wiesen … und den Bach betraf. … Mit nagelneuen Gummistiefeln hielt ich das allerdings für einen überwundenen Aberglauben. Und watete mitten in’s Wasser. Woraufhin ich durch’s ganze Dorf bis zum Pfarrhaus in dessen Mitte begossen und beschämt nachhause humpeln musste, weil der wunderwirkende neue Stiefel einfach im Bachbett eingesunken war und ich das angekündigte und verdiente Ersaufen geschmeckt hatte, als ich mich nur durch irres Strampeln und Ins-Wasser-Fallen und also schließlich unter Aufgabe des tückisch sicherheitversprechenden Schuhwerks an die Böschung retten konnte.
Seitdem weiß ich, dass unsre Übergänge keine Selbstläufer sind … Stiefel hin oder her. Durch den Jordan geht’s sich nicht so einfach.
Doch genau darum ist der für den heutigen Sonntag vorgesehene Abschnitt aus der Bibel, die ja eine einzige große Pilgerreise beschreibt, ein solcher Segen für uns.
Weil dieser Abschnitt aus dem großen Anfangsabenteuer des Buches Josua – denken wir daran, dass Josua der Name Jesus ist! – uns zeigt, was bei allen Übergängen – dem jetzigen, den kommenden, dem letzten! – wirklich trägt und hält:
Mitten im Strom und gegen den Strom und so, dass der Strom stillsteht und uns nicht fortreißt - wie das Osterlied singt (vgl. EG 117,3) - … dort, in der „Flut, wo sonst des Todes Wellen branden“, da wird der Übergang gesichert durch die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wie der Bericht in einer hochfeierlichen Formulierung sagt.
Der Herr der ganzen Erde erwartet uns also auch im Jordangraben, dem geologisch tiefsten Gefälle dieser Welt.
Der Herr der ganzen Erde erwartet die Seinen, wo es aufregend und unsicher, wo es uneben und gänzlich unwegsam ist, wo unsere Füße noch nie standen und ein Pfad sich noch nicht zeigte.
Der Herr der ganzen Erde erwartet uns dort, wo die Kinder Israel unter Josua hindurchmussten und wir alle ebenfalls noch die letzte Überquerung unserer gesamten Reise vor uns haben. … Und dennoch liegt sie schon hinter uns.
Das hat die Kirche weltweit ja gerade am letzten Montag, dem Epiphaniastag gefeiert und wir hörten es eben im Evangelium (Matth.3,13-17): Die Herrlichkeit des Herrn zeigt sich dort, wo Jesus in die Tiefe des Jordan hinabsteigt und die Taufe mit uns teilt, … die Taufe, die den Tod durchbricht und dank der Stimme des Vaters, in der Nachfolge des Sohnes im Licht des Heiligen Geistes hinauf ins Leben führt!
Weil wir also aus dieser Jordantiefe als die Gemeinde Jesu tatsächlich schon aufgebrochen sind und tatsächlich das Gelobte Land des Lebens in Gottes Gegenwart vor uns sehen: Deshalb muss uns nun nicht bang sein vor irgendeinem Schlamassel oder den weiteren Stadien des Weges.
… Wir sind über’n Jordan.
Wir ziehen in die Ewigkeit und wollen so viele wir können dorthin mitbringen!
Das ist unser gemeinsamer Weg und aller Welt Ziel!
Und so geht es nun also weiter für unsere Gemeinde: Mit Jesus - dem Josua aller Menschen – und durch Jesus dürfen wir die Gewissheit verbreiten, dass ein lebendiger Gott in unserer Mitte ist und dass Er, der Herr der ganzen Erde uns Seinen Auftrag und Sein Geleit, Seine Verheißung und die Bestimmung in Seinem Reich schenkt.
Das gilt hier und für uns alle, das gilt überall und an jedem Ort bis - wie der Predigttext schließt - alles Volk über den Jordan gekommen sein wird.
Und dann gilt es für immer.
Darum dürfen und wollen wir mit Tersteegen sagen (EG 393,1): „Kommt, Kinder, lasst uns gehen.“
Und mit Fliedners Lieblingsvers bekräftigen (Phil.4,5): „Lasst’s allen Menschen kundsein: Der Herr ist nahe!“
Amen.
05.01.2025, 2.S.n.Weihnachten, 1.Joh 5,11-13, Tersteegenkirche, Horst Gieseler
Gute Vorsätze zum neuen Jahr, das ewige Leben nicht im Jenseits, sondern in der Gegenwart und den ersten Johannesbrief - all das bringt Prädikant Horst Gieseler in seiner heutigen Predigt über 1. Joh. 5, 11-13 zusammen.
Altjahrsabend, 31.12.2024, Stadtkirche, Jesaja 51, 4 - 6, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Altjahrsabend 2024
Jesaja 51, 4 - 6
Liebe Gemeinde!
Was auf uns zukommt, können wir aus dem verstehen, wo wir herkommen.
Anders gesagt: Wenn wir nicht vergessen, wo wir waren, müssen wir nicht fürchten, wo wir sein werden.
Beide Sätze sagen – so inhaltlich unbestimmt sie zunächst scheinen –, dass es heute nicht um Angst gehen kann.
Es wird auch nicht um unsere Sorgen gehen. Sie waren 366 Tage lang ernst und groß und werden es bleiben. … Aber die Kriege und Erschütterungen, die Grausamkeit und der Wahn unserer Zeit, die uns nicht nur äußerlich vor Augen stehen, sondern auch innerlich längst zeichnen, sind keineswegs die Nachrichten, für die wir sie halten. Sie sind vielmehr ein furchtbar durchgängiger Puls der Geschichte. Weil die Menschheit schlicht und ergreifend immer wieder und allüberall durch derartige Leiden und Schmerzen hindurchmusste. Punkt.
„Durch viel Trübsal müssen wir in das Reich Gottes eingehen“, ist einer der ältesten Grund-sätze der paulinischen Missionspredigt (Apg.14,22), den er zuerst den neu gewonnenen Gläubigen auf der türkischen Seenplatte im Taurusgebirge auf die Seele band. … Dort gibt es seit Jahrhunderten keine Christen mehr. Aber wenn sie nicht vergaßen, wo sie herkamen, dann müssen wir gewiss nicht fragen, wo die Schwestern und Brüder aus Pisidien und Pamphylien nun wohl seien.
Wir aber tun darum nun auch nichts Sinnvolles, wenn wir uns beim Rückblick und beim Ausblick auf die Bedrängnisse und Gefahren unserer Gegenwart fixieren. – Wohlgemerkt: Sie sind ernst und ernst zu nehmen. Achselzuckende Gleichgültigkeit, tatenloser Fatalismus sind uns verwehrt, wann immer irgendein anderer Mensch durch unsere Selbstsucht leidet oder durch unsere Hilfe gestützt und bewahrt werden könnte: Wir sollen lieben mit allen unseren Kräften und sämtlichen Mitteln. … Aber eben nicht in Furcht leben!
…Denn die alte persische Inschrift اين نيز بگذرد (īn nīz bogzarad) - „Auch dieses geht vorüber“ gilt für allen Kummer, alle Dunkelheit, allen Terror und Horror ebenso wie für alle Freuden!
Doch gerade wenn wir den Sog der Auflösung, die Kräfte des Verfalls und die zerstörerische Wirklichkeit der Zeit erleben, stellt sich die Frage nach dem, was dem Strudel der Vernichtung trotzt?
Jesaja hat für die aufgeschreckten Seelen seiner Zeitgenossen, die den Untergang alles dessen erfahren hatten, was für sie heimatlich und heilig war, die denkbar knappsten, stärksten Antworten: Was trotzdem und trotz allem unvergänglich ist, was zukunftssicher, was unmittelbar und bleibend ist, das sind die Worte und Maßstäbe Gottes, das sind Sein Heil und Seine Arme … also die geistig-geistliche und die praktische Herrschaft und Hilfe des Höchsten, selbst wenn die irdische Welt in apokalyptisch-plötzlicher Entledigung ihrer selbst vergeht!
Das Verrauchen[i] und die blanke Durchlöcherung der Welt und das massenhafte Sterben der Lebendigen sind schon bei Jesaja keine Bilder oder Metaphern gewesen: Seine Gemeinde in Babylon hatte den Qualm des lichterloh brennenden Tempels und die Staubwolke überm Schutt Jerusalems zeitlebens vor den tränenden Augen, sie hatten am eigenen Leib erfahren, wie nackt man dasteht, wenn die äußerliche Sicherheit unterm Mottenfraß des Unerwarteten verschwindet, und das plötzliche Auslöschen einer ganzen Zivilisation und Kultur im Tod brachte ihnen, den Übriggebliebenen im Exil ein längeres Überlebensleid als den durch Nebukadnezzars Schlächter Dahingerafften.
Wir reden also von Realität und nicht von trüben Stimmungen oder dumpfen Befürchtungen, wenn wir uns das Ziel der Trostbotschaft Jesajas vergegenwärtigen.
Jesaja hübscht und hellt keine schlechte Laune auf. Er spricht die völlig Vernichteten an! Und er versorgt sie nicht mit Parolen, sondern er weckt sie auf zur Wahrnehmung einer ganz anderen, einer ihrem Heute radikal entgegengesetzten Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit hat auch bei Jesaja einen Namen ……. obwohl er das nicht weiß. Er verwendet, um die Lähmung, die Hoffnungslosigkeit und Todesangst seiner Gemeinde zu durchstoßen, das Wort für Freiheit, Lösung und Heil, das am wirkungsvollsten die Rettung der völlig Ausgelieferten bezeichnet: Es ist der Begriff „Jesus“.
„Mein Jesus tritt heraus, mein Jesus kommt hervor“, ist also die Botschaft des HERRN durch den Mund Jesajas. Und sie gipfelt in unserm Predigtabschnitt in der Verheißung: „Mein Jesus bleibt ewiglich und das, was Meine Gerechtigkeit tut und ist, geht nicht unter!“
Dass Jesus hervorkommt und dass Er bleibt: Das und nichts anderes ist demnach die mitten in der Apokalyptik der Welt unerschütterlich gepredigte, beglaubigte, beherzende und behaltene Botschaft, von der wir herkommen.
… Wir kommen ja buchstäblich her von diesem „Mein Jesus kommt heraus“-Fest, das wir Weihnachten nennen. Es war genau vor einer Woche, dass wir es - wie ernsthaft und bewusst auch immer - gefeiert haben. … Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit haben wir alle den Fehler gemacht, zu dem alle unsere Feste uns in unserer gegenwärtigen Denkweise verleiten. Wir begehen sie als Jubiläen, als Wiederkehr eines historischen Tages.
Wenn wir zunächst nicht diese am Rückblick haftende Perspektive hätten, würde ja auch die Zählung sinnlos, nach der heute um Mitternacht das 2025. Jahr nach dem Weltgeschichte-machenden Ereignis der Geburt Christi beginnt.
Und trotzdem fragt sich, ob wir der Heilsgeschichte in der geschichtlichen Wirklichkeit der Welt gerecht werden, wenn wir sie historisch auffassen.
Dass es 2024 Jahre seit Christi Geburt sind, ist eine letztlich irrtümliche Verflachung, … eine Verfälschung. Es sind in Wahrheit ja nicht 2024 Jahre seither vergangen, in denen Christus eben nicht zur Welt kam, sondern es waren bisher über zweitausend Jahre, die erfüllt wurden durch seine Geburt!
Was wir mit den Worten von Arno Pötzsch gesungen haben[ii], ist gerade keine irgendwie sentimentale Dauerweihnachtsstimmung, sondern das Bekenntnis, dass wir in einer von Christi Geburt hervorgebrachten, in einer durch Christi Geburt unwiderruflich, weil für immer veränderten Wirklichkeit leben.
In den nüchternen und darin umso sensationelleren Worten des 1.Johannesbriefes (1,2), die die „Mein Jesus tritt hervor“-Botschaft des Jesaja aufgreifen, heißt es da ganz mystisch-unmystisch, ganz real-transzendent einfach: „Das Leben ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist.“
Wenn Christen die Zeit zählen, die Jahre nummerieren und die Übergänge zwischen den entsprechenden Ziffern zelebrieren, ist das also der Bezugspunkt: Wir werden um Mitternacht m.a.W. ein Salut, ein weithin vernehmliches Echo, in Wahrheit wohl aber eine überwiegend ahnungslose Bestätigung von zweitausendundvierundzwanzig Jahren ewigen Lebens an jedem Ort und auf dem ganzen Erdkreis erleben.
… „Das ewige Leben ist erschienen“: Dieses Signal als Schlusspunkt des verstörenden Jahres, das wir verabschieden?! … „Das ewige Leben ist erschienen“: Diese Fanfare als Eröffnung des kritischen Jahres, das uns bevorsteht?! – Das ist eine Zeitrechnung und Wahrnehmung, ein Lebensgefühl und eine Weltanschauung, die nur christlich denkbar und verständlich sein können … wenn sie auch viel weiter wirksam sind.
……. Wirksam wie?
Im Reich Gottes gibt es keinen Datenschutz. – Darum erzähle ich von einer Erfahrung, die zu machen ich im Herbst das Privileg hatte und die mir heute besonders vor Augen steht.
Morgen hätte ich nämlich - trotz grotesken Unvermögens - auf einem hundertsten Geburtstag mit der Jubilarin getanzt, weil ich es versprochen hatte.
Nun tanzt sie mit besseren Tänzern: … Hoffentlich den selben Engeln, die Heinrich Seuse beim seligen Reigen sah, als ihm das wunderbare Weihnachtslied „in dulci iubilo“ eingegeben wurde[iii], das uns dieses Jahr in der Gemeinde auch so traurig-trostreich zum frohen Singen bei einer Beerdigung gebracht hat.
Als die beinah Hundertjährige im Sterben lag, hat sie ihre gespannte Hand immer wieder einmal in meine offengehaltene gelegt. Vielleicht lag es daran, dass ich so deutlich wie noch nie - was ja keinesfalls neu oder überraschend ist - bezeugen kann, was da geschieht: Es war die gleiche, im Herannahen hochkonzentriert erwartete und dann immer wieder naturhaft schmerzliche Macht, die die längst nicht mehr Sprechende oder zur Kommunikation Geneigte da ergriff, die ich als dummer Zuschauer und schwacher Beistand aus dem Kreißsaal kenne. Diese Macht ergriff sie, hielt sie ganz auf das Geschehende gewandt in Atem, zitterte abklingend nach. Es ist das eben ohne jeden Zweifel eine zweite, eine endgültige Geburt, deren Wehen und deren Ziel wie bei derjenigen am Anfang sind: Stark und unheimlich und ungeheuerlich … das Leben bereitend. … Nur dass wir, wenn wir eins dem andern dort die Hand stützen, nicht die Gebärende, sondern das Menschenkind an der Schwelle des beginnenden Lebens berühren. ——
Das ist die tiefe, unauslöschliche, wahrhaftig noch nicht zu Ende gedachte, gebrachte und geglaubte Botschaft, die uns eigentlich prägen müsste: Wir kommen als Christen her von der Geburt des ewigen Lebens, und wir gehen auch unter den Wehen des Sterbens, unter den Schmerzen des Todes immer nur weihnachtlich hinein in dieses ewige Leben!
Wenn wir das ahnen, … wenn wir das nach diesen acht Tagen nicht vergessen, sondern auch morgen und im kommenden Jahr die Zeit erfahren als bestimmt vom Zusammenziehen und Pressen, von den vorbereitenden und begleitenden Nöten eines Durchgangs in das, was Jesaja verkündet – „Mein Jesus, Meine lebenermöglichende Gerechtigkeit bleibt für immer“ –, … wenn wir das nicht vergessen, sondern so erfahren, dann müssen wir uns vor dem, was kommt, vor der Zukunft und ihrem Ziel gewiss nicht fürchten!
Der in seinem Anstand und seiner tiefen Frömmigkeit rührende hundertjährige ehemalige Präsident der USA, Jimmy Carter[iv], der am vorgestrigen Sonntag verstarb, hat das in jeder seiner Friedensmissionen, in seinem weltweiten Hausbau-Projekt für die Bedürftigen - “Habitat for Humanity” - und schon in seiner Amtszeit, in der er den Materialismus zugunsten der Sehnsucht nach wirklichem Sinn infrage stellte, veranschaulicht: Christen, die wissen, wo sie herkommen, haben keine Sorge, was das Ziel ihres Daseins betrifft.
In seinen bis zur Erschöpfung aller Kräfte durchgehaltenen Sonntagsschulstunden aber hat Carter das so schlicht, wie man es nur sagen kann, immer wieder ausgesprochen:
“… (M)y Christian faith includes complete confidence in life after death. So I’m going to live again after I die – don’t know what form I’ll take or anything like that, but I have confidence that there is a God and he’s all powerful. That he keeps his promises and that his promise is life after death.”[v]
Eine andere christliche Altjahrs- oder Neujahrsbotschaft, eine andere Alltags- oder Weihnachtsbotschaft, einen anderen Grund des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gibt es nicht: Das Leben ist erschienen! Dort kommen wir her, wenn wir von der Krippe kommen, und dort gehen wir hin, wenn wir das Irdische verlassen und durch alle Wehen und Trübsale dieser Zeit den Himmel erreichen.
Nicht umsonst singen wir das Jahr für Jahr mit den Worten eines Mannes aus der Todeszelle. Dietrich Bonhoeffer, dessen robuste Zuversicht auch das Wunder des zeitlichen Überlebens nicht ausschloss, wusste doch genau, was er vor 80 Jahren seiner Mutter zu ihrem gestrigen Geburtstag und seiner Braut für die in ratloser Offenheit liegende Zukunft schrieb.
Eine Zuversicht beschreibt der zum Tode verurteilte Bonhoeffer in seinem vermächtnishaften Gedicht, die voller Geburtsmotive ist:
Mit den Mächten, die treu und still umgeben, behüten und trösten zitiert er ja geradezu Paul Gerhardts Gesang zum Jahreswechsel (EG 58,4): „Denn wie von treuen Müttern / … die Kindlein hier auf Erden / mit Fleiß bewahret werden“
Geborgenheit wie bei und in der Mutter ist also das Grundmotiv des ersten und des letzten Verses, und doch verharrt der Christenmensch in seiner Anfechtung und seiner Hoffnung nicht darin – wie wir uns gern in der Sicherheit und Sorgenfreiheit eingerichtet hätten –, sondern er glaubt und wagt sich zuversichtlich durch alle Qual zu seiner Bestimmung, durch alle Bitterkeit zum Licht der Sonne, durch alles Einander-auch-Verlieren-Müssen zur Gewissheit der Gegenwart Gottes auch in der Nacht durch.
Und dann mündet das Lied in jenem „kinderhohen“ Lobgesang, den das neue Leben wie ein Säugling von sich gibt, weil Gott in aller Erwartung und erst recht nach aller Erwartung bei uns ist … gut biblisch: „am Abend und am Morgen“ … und dann an jenem Lebenstag, mit dem das Lied …, nun: „endet“ kann man ja nicht sagen, sondern vielmehr ewig wird.
Das waren ja Bonhoeffers Worte im Augenblick der Hinrichtung: „Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens“[vi]. ——
Und das ist es – jetzt, nach Weihnachten, … jetzt an der Schwelle eines neuen Jahres voll der Wirklichkeit der ewigen Geburt –, … das ist es, wo wir alle herkommen und was auf uns alle zukommt: Das in Jesus erschienene Leben!
Denn wie Jesaja es im Namen des HERRN als Verheißung über alle Generationen ausspricht (vgl. Jes.51, 8): „Mein Jesus bleibt ewiglich!“
Amen.
[i] Wunderbar übersetzen Buber und Rosenzweig: „Rauchgleich verfledern die Himmel, / gewandgleich muß die Erde zerfasern, / einem Mückenschwarm gleich müssen ihre Insassen sterben …“.
[ii] Im Gottesdienst wurden als Rahmung der Epistel des Sonntags nach Weihnachten – 1.Johannes 1, 1 – 4 – zwei herbe Weihnachtslieder von Arno Pötzsch gesungen, Besonders dem zweiten – „Wir hielten an der Krippe Rast“ – verdankt die Predigt ihr Grundmotiv. Darin heißt es: „So beugt sich’s schon jahrtausendlang / beschwert zur Krippe nieder, / und immer ward zum Heil der Gang, / gesegnet immer wieder. // Hier gibt Gott Ende und Beginn / von einem Jahr zum andern: / Von Weihnacht her auf Weihnacht hin / ist gottgetrostes Wandern.“ Zitiert aus: Arno Pötzsch, Mensch in Gottes Fährte, Geistliche Gedichte und Lieder, Hamburg-Bergstedt 19614, S.66.
[iii] In Heinrich Seuses (ca.1297 - 1366) Lebensbeschreibung wird eine Vision geschildert, in der Seuse in den Tanz der Engel einbezogen wird, die ihm sagen: „… er sollte seine Leiden aus den Sinnen schlagen und ihnen Gesellschaft leisten, und er müßte auch himmlisch tanzen mit ihnen. Sie zogen den Diener (i.e. Heinrich Seuse) bei der Hand zum Tanz, und der Jüngling (i.e. der Deuteengel der Vision) fing ein fröhliches Gesänglein an von dem Kinde Jesus, das lautet also: in dulci iubilo usw.“ (Heinrich Seuses Deutsche Schriften [hgg. v. Walter Lehmann], Erster Band, Jena 1922, S.19)
[iv] Vgl. dazu https://www.nytimes.com/interactive/2024/12/30/us/carter-on-death.html?smid=nytcore-android-share
[v] https://www.eternitynews.com.au/good-news/fragile-in-body-jimmy-carter-confident-about-living-after-death/
[vi] Vgl. die Schilderung von Payne Best, zitiert nach: Ferdinand Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906 – 1945: Eine Biographie, München 2005, S.390.
2. Christtag, 26.12.2024, Tersteegenkirche, Weihnachtsjeschicht op Rheinisch / Weihnachtssymbolik
Eine schöne Tradition am zweiten Weihnachtsfeiertag ist es in der Tersteegenkirche, dass Christa Busch die Weihnachtsgeschichte im besten Düsseldorfer Platt vorträgt. Diesmal gibt sie sogar noch eine Zugabe: "Dä rösige Christbaum". Beide Geschichten stammen aus der Feder der Düsseldorfer Mundart-Botschafterin Monika Voss. Die beiden Geschichten darf man aber auch gerne nach immer wieder Weihnachten hören :-)
(Weihnachtsgeschichten: Monika Voss (Autorin), Christa Busch (Erzählerin).
Diese Geschichte gibt es für die Ohren, auf dem Podcastkanal der Tersteegenkirche:
Weihnachtssymbolik: Woher stammt der Adventskranz? Was hat es mit dem Christstollen und den Spekulatius auf sich? Wer waren die Heiligen Drei Könige, und warum brachten sie ausgerechnet Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke mit? Hätten Sie das alles gewusst? Nicht? In der (heute etwas ungewöhnlichen) Predigt von Pfarrer Jürgen Hoffmann werden Sie es erfahren. Hören Sie doch mal rein:
1.Christtag, 25.12.2024, Stadtkirche, Johannes 1, 1-5.9-14, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 1.Christtag 2024
Johannes 1,1-5.9-14
Liebe Gemeinde!
Dass der Prolog, also das ouvertürenartige Vor-Wort des Johannesevangeliums einer der größten Texte der Menschheit ist, bleibt bei aller Vertrautheit und allem Abstand spürbar auch noch heute. Und dass sich im ersten Satz dieser weihnachtlichen Meditation über sein Mysterium gleich drei hochkomplexe Stichwort aus der literarischen, der musikalischen und der medialen Theorie finden – nämlich Prolog, Ouvertüre und Text –…, das zeigt an, dass wir es dabei mit einer Mitteilung zu tun haben, die höchste Aufmerksamkeit, tiefste Konzentration und weiteste Verständnisbewegungen erfordert.
Um dem Johannesprolog nicht oberflächlich zu begegnen, müssten wir alle vielleicht wirklich beim Hören knien, wie es in der Messe traditionell war, oder wir müssten uns lange ins Schweigen versenken, wie es die Überlieferung als die typische Haltung des Evangelisten Johannes auf Ikonen zeigt, die ihn darstellen.
… Ungestörte Innerlichkeit. … Gesammelte Reflektion. … Jenes stille Geschehen des Betens, der Erleuchtung und der Erkenntnis: So könnte sich das Wunder des göttlichen Wortes in Seiner auf diese Welt zielenden Selbstkundgabe und Seiner innermenschlichen Verwirklichung nachvollziehen lassen.
Doch der uralte Brauch, diesen unergründlichsten Abschnitt der Bibel ausgerechnet am Weihnachtsmorgen lesen und deuten zu lassen, hat eine völlig andere Bewegung und Begegnung im Blick. Die tonlose Ruhe und spirituelle Schwingung einer Beschäftigung mit dem Schöpfungswort in Seiner Einkehr in die Schöpfung selbst kann anderswo und anderweitig geschehen: Wenn wir den kosmischen Beginn des Johannes-Evangeliums hier und jetzt vernehmen, dann sind ganz andere Nebengeräusche und Lautmalerei die eigentliche Partitur dessen, was da mit Worten vom Wort, mit Zeichen vom Leben und in jahrhundertelang geübter Wiederholung vom nun Gegenwärtigen gesagt wird.
Denn wenn Weihnachten ist, dann klingt die Luft und pulsiert der Geist vor irdischer Direktheit:
Da summt im Hintergrund eine zum Bersten volle kleine Stadt, in der sich dank eines römischen Steuerzensus viele wiedersehen, die sich voneinander entfernt hatten. Es schwirren Begrüßungen und Befürchtungen in der Bevölkerung, die nicht ahnt, was die Menschen-Mathematik des Augustus für eine Absicht verrät. Es wird gerufen, geküsst und geschwätzt. Gestritten wird auch. Und gelacht. Hufgetrappel, knarrende Türangeln, die Geräuschkulisse der Tierwelt, die das Leben der Menschheit fast immer und überall ständig untermalt.
Es geht ein Wind, es prasseln die Feuer zum Backen des täglichen Brotes. Sie beten. Die Römer bellen Befehle. Die Steine von Bethlehem geben das unmerkliche Schmirgelgeräusch ab, das man mit menschlichen Sinnen gar nicht wahrnimmt: Der Zahn der Zeit nagt an ihnen, damals wie heute. Uralter Fels wird leise seufzend in jeder Mauer, auf allen Straßen und Flächen wieder zu Staub.
Das kakophone Lied des Lebens, das nie verstummt, ist in seiner ganzen Nebensächlichkeit und Zufälligkeit in schönstem Konzert begriffen. Alles blökt, scheppert und pocht: Was immer es an menschlichem, tierischem, organischem Leben nur gibt, das setzt seine Melodie fort, die begann, als das Wort, das im Anfang war, das Wort, das Gott ist, zum allerersten Mal sprach.
Denn auch wenn wir geneigt sein mögen, uns in hochfeierlicher Andacht und Stille zu vergegenwärtigen, was der Evangelist von der geheimnisvollen Durchdringung der Realität durch den Logos, durch das sinnstiftende und wahrheitweckende Wort sagt, so ist die Wirklichkeit, um die es dabei von der ersten Seite der Bibel und dem ersten Buchstaben des Evangeliums an geht, nichts Hochgeistiges – nichts Abgehobenes, wie wir so anschaulich sagen –, sondern eben völlig irdisch.
Vogelsang und Donnerwetter, Meeresbrandung und Atemgeschnauf: Sie sind der Klangteppich, den das Wort Gottes in der Schöpfung webt.
Die zart-geflüsterten und die störenden Knirschlaute des Mit- und Gegeneinanders aller Wesen entstammen dem gleichen, großen, unendlichen, mystischen Aufruf zum Dasein, mit dem Johannes seine Schau der Wahrheit beginnt.
Und doch – obwohl wir uns die Echovielfalt, den Variantenreichtum, die unbegrenzten Ober- und Untertöne nicht im entferntesten ausmalen können, die das Wort hervorruft – … und doch war eine in aller dieser Vielstimmigkeit kaum auffallende Leerstelle in den Lebensäußerungen der sämtlichen Geschöpfe Gottes.
… Eine Stimmzeile in der Symphonie des Weltalls ist bis Weihnachten mit anhaltendem Pausenzeichen durchzogen gewesen.
Die Dinge und die Kreaturen, ja selbst die Engel und die Menschen sind erfüllt und belebt von wundervollem und weiterwellendem Echo auf das unnachahmliche, unwiederholbare und deshalb auch unendliche Wort, das Gott spricht. Dieses Wort, das der Welt Gestalt gibt, findet Gehör und Gehorsam, und um es herum bauen sich die Harmonien und auch die Dissonanzen auf, die der Ur- und Grundklang, aus Dem alles andere folgt, in Sich trägt und miterzeugt:
- „Heilig! Heilig! Heilig!“ tönt es durch alle Äonen in sämtlichen Sphären des Himmels und der Tiefe.
- „Danket dem HERRN, denn Er ist freundlich und Seine Güte währet ewiglich“, beten die Auserwählten in Einem fort, seit das Wort Sich besondere Zeugen berufen und in Abraham und Israel Seine Bekenner mit dem Auftrag zu tätigem Lob und praktischer Treue betraut hat.
Aber in alledem ist das Wort das Wort geblieben: Auch im Vertrauen, das Abraham Ihm entgegenbringt, auch in der Lehre und Weisung, mit der Mose das Leben Israels und die Moral der Welt am Wort und dem Wort gemäß ausrichtet.
Das Wort ist das Wort geblieben. …….
… Wie sollte es auch nicht?
… Wer sollte dieses Wort denn noch einmal anders sprechen, als Es Sich Selbst aussagt und auslegt?!!!
… Wer dürfte es wagen, sich selber das Wort anzueignen, Dem sich doch alles ganz und gar verdankt?!!!
… Wer sollte dem Gotteswort, Das wirksame Tat ist, gleichlautend in solcher Wirksamkeit begegnen dürfen?!!!
Man wird also sagen müssen: Das Wort hat wohl getan, wozu es ausgegangen ist.
Und doch lässt sich noch immer fragen, ob sich wirklich erfüllt hat, was der Prophet Jesaja (55,12) als Gottes Verheißung über das eigene Wort kündet: „Der HERR spricht: Das Wort, das aus meinem Munde geht, soll nicht wieder leer zu mir zurückkomme, sondern wird tun, was mir gefällt und ihm wird gelingen, wozu ich es sende“?!!!
Das Wort hat wahrhaftig gewirkt. … Aber es ist das Wort geblieben.
… Es hat noch nicht gefunden, was jedes wirkliche Wort sucht und wodurch auch ein noch so ursprüngliches Wort verwandelt wird, weil es ja noch mehr zu sich kommt, wenn etwas ihm entspricht, das anders als es selbst ist: Eine Ant-Wort nämlich! ———
Das einzigartige und unverwechselbare Wort, das Wort, das nur Es Selber ist, von Dem der Prolog des Johannesevangeliums so eindringlich spricht, Es wird ja im selben Prolog tatsächlich noch zu mehr als Es Selber!
– Wodurch?
– Dadurch, dass jemand Ihm antwortet!
Und durch diese Antwort eines anderen wird das Wort zwar nicht anders, aber eben ein beantwortetes und dadurch ein zur Erfüllung verwandeltes Wort, … ein Wort, das nicht mehr leer zurückkehrt, sondern in Gestalt der fruchtbaren Verbindung von Wort und Antwort.
Das mag nun zwar nach Wortspielerei klingen.
Doch es ist weitaus mehr.
Es ist die im Johannesprolog bloß vorausgesetzte, aber nicht aufgedeckte Szene, wie aus dem reinen, alleinigen Wort Fleisch werden konnte.
Dazu ist es biblisch hilfreich, sich zu überlegen, was mit „DAS Wort / ὅ λόγος“ eigentlich gemeint sein muss, wenn wir es nicht nur abstrakt philosophisch als ein Instrument verstehen sollen, das zugleich Bedeutungsträger und Deutungswerkzeug ist.
DAS biblische Wort schlechthin – so drängt es sich ja auf – ist nicht ein intellektueller Allgemeinplatz, sondern das vollkommen individuelle Offenbarungsgeheimnis, dass Gott so heißt, wie Er handelt, dass Sein Tun und Sein Name eins sind und dass Wesen, Wort und Wille Gottes eine geistig-praktisch-emotionale Gesamtheit darstellen, die sich nicht in verbale oder nominale Anteile, nicht in äußerlich aktive gegenüber innerlich unveränderlichen Merkmalen aufgliedern lässt.
Das eine Wort, Das ganz Gott, Das Gott ganz ist, ist ein Name und ein allumfassender Verbalsatz. Es ist die berühmte Offenbarung aus dem brennenden Dornbusch (vgl. 2.Mose3,14):
„ICH BIN, DER ICH BIN. ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE.“
Und dieses schöpferische Wort, in dem Gott ganz ist, … dieses schöpferische Wort, Das ganz Gott ist und Das im Anfang als das große und nie-endende „Es werde“ die Welt ins Dasein rief, … dieses Wort, Das als der unaussprechliche, aber überall wahre und wirkende Name die Gegenwart Gottes als Trost und Verheißung für jeden Augenblick schafft und besiegelt und Das in der Lautflaute der Wüste im Prasseln des brennenden Dornbuschs zuerst dem Mose offenbart wurde, … dieses Namenwort, Schöpfungswort, Gotteswort hat an einer ganz anderen Stelle Seine Antwort gefunden:
In den dörflichen Alltagsgeräuschen einer Siedlung, wo alles gluckert und klopft, wo die Werkzeuge dumpf und das Brunnenseil quietschend den Tag rhythmisieren, unterm Blöken der Herden und dem Patschen nackter Kinderfüße, unter dem Klappern des Webstuhls, dem Sausen des Abendwindes um die Ecken, unter den Liedern, die von hier oder dort vielleicht durch die Dämmerung wehten oder unter den viel derberen Geräuschen, wenn das Dorf im Schein der kleinen Öllampen bei der Vesper schmatzt und die Läden vor die Fenster setzt und seinen Trieben nachgeht … mitten in dieser kakophonen, aber von Gott gewollten und gesegneten Melodie des Geschöpflichen hat eine junge Stimme „DAS Wort“ beantwortet.
Sie war überraschend begrüßt worden. Und eine Schöpfung – viel kleiner als die Genesis, aber doch der Beginn einer neuen, einer unendlichen Welt, in der alles und alle das Leben ewig erfahren sollten –, … eine Schöpfung also war ihr angesagt worden. … Eine winzige Schöpfung, die endgültige Rettung, … ein Anfang, der Ewigkeit sein könnte.
Und da nahm sie - nach kurzem Zögern - Den Namen, Der alles hervorruft, selbst in den Mund, … als sei sie der Dornbusch, den Feuer nicht verzehren, als sei sie der Hohepriester, den Heiligkeit nicht erschlagen kann[i].
Sie nahm das Wort in den Mund und nahm mit ihrer gleichlautenden Antwort Das Wort in sich auf, um es lebensschöpferisch in sich zu erden, einzufleischen, einzumenschen.
Der Grüßende hatte ihr gesagt: Es soll ein Neues von Dir geboren werden.
Und sie antwortete: „Es werde!“
Und so wurde aus Gottes Wort und Marias Antwort Weihnachten.
Das geschah an einem Frühlingstag, der noch im 18.Jahrhundert in manchen europäischen Kalendern als der Neujahrstag gefeiert wurde, weil der Beginn, der sich diesem Geschehen von schöpferischer Anrede und Menschenantwort verdankt, universal, ja kosmisch ist.
Heute nun feiern wir, was die fruchtbare Verbindung von Gottes „Es werde!“-Wort und Marias „Es geschehe!“-Antwort ermöglicht hat:
Dass nämlich Menschen – alle Menschen, ohne Festlegung, ohne biologische oder moralische oder kulturelle Bedingtheiten und Beschränkungen – ihrerseits zu Kindern Gottes, zu Brüdern und Schwestern Jesu und damit ja auch zu Angehörigen derer werden können, die an seinen Namen so glaubte, dass sie ihr eigenes Leben ganz mit Ihm verband.
Wo wir Gott also weihnachtlich aufnehmen in dieser gott- und menschenfeindlich werdenden Welt, da geschieht das, wovon der Johannesprolog spricht: Das Ende der Anti-Schöpfungs-Feindschaft und das Aufgehen des viel zu lange verdunkelten Lichtes, das in jedem Leben den göttlichen Ursprung, die Wirkung des Wortes und die Verbindung aller Wesen in Gott erkennen lässt.
Das ist die Macht, die uns und allen gegeben ist, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben und mit ihm einswerden wollen wie Maria.
Wenn Weihnachten uns mit dem Kind selbst in den evangelischen Liedern und Bildern und Bräuchen und Betrachtungen auch die Mutter dieses Kindes nahebringt, dann ist das kein Relikt aus der vorreformatorischen Kindheit der Kirche und auch nicht nur ein begrüßenswertes ökumenisches Zeichen, weil ja doch sämtliche Christen außerhalb der reformatorisch-en Konfessionsfamilie ein ungebrochenes Verhältnis zu Jesu Mutter pflegen, sondern es ist die Bestätigung dessen, was der Johannesprolog sagt: Dass das Wort Fleisch werden und wir Gottes Kinder werden können, geschah zwar nicht nach einem fremden Willen, doch eben auch nicht ohne einen Menschen … und es geschieht auch heute nicht ohne uns Menschen.
Wir dürfen Antwort geben!
Und wo wir antworten, … wo wir „Ja“ sagen, … wo wir bekennen, dass es geworden ist, wie es wurde, dass es sein soll, wie es ist, und dass es werden wird, wie es zu werden hat, da geschieht hier und jetzt das Wunder des fleischgewordenen Wortes, das in Jesus unter uns wohnt: Da erkennen wir seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eigeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit!
So sei es!
Es geschehe!
Amen.
[i] Die theologisch längst fällige Grunderkenntnis hinter dieser Predigt verdankt sich einem Zufallsfund in einem vergessenen Roman eines leider ebenso vergessenen Dichters; Charles Williams, ein Freund und Geistesgenossen der großen, phantastischen, christlichen Literaten J.R.R. Tolkien und C.S. Lewis. Williams’ letzter, 1945 erschienener Roman „All Hallows‘ Eve“ thematisiert als erstes Werk der englischen Sprache die Erfahrung von Hitlers 3.Reich und der Schoah: Ambivalent und problematisch aus unserer heutigen Sicht, aber immerhin hellsichtig für einen unmittelbaren und durch die Zugehörigkeit zur Gegenseite „unbelasteten“ Zeitgenossen. Williams schreibt dort: „It had been a Jewish girl, who at the command of the Voice which sounded in her ears, in her heart, along her blood, and through the central cells of her body, had uttered everywhere in herself the perfect Tetragrammaton. What the high priest vicariously spoke among the secluded mysteries of the Temple, she substantially pronounced to God. Redeemed from all division in herself, whole and identical in body and soul and spirit, she uttered the Word and the Word became flesh in her” (Charles Williams, All Hallows’ Eve, London 19473, S.59).
Christvesper, 24.12.2024, Stadtkirche, Jesaja 9, 1 - 6, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Christvesper 2024
Jesaja 9, 1 - 6
Liebe Gemeinde!
Die alte gutbürgerliche Regel vornehmer Diskretion greift am Heiligen Abend nicht.
Früher galt’s allgemein noch als selbstverständlich, dass Erwachsene etwas Geheimes oder Fragwürdiges, … dass sie das Anzügliche und Aggressive, … ja, alles, was hässlich oder kaputt ist oder böse und belastend nicht den Unerfahrenen, nicht den Unmündigen zumuteten. „Pas devant les enfants“ war dafür das dezente Signalwort oder auch „Pas devant les domestiques“: „Psst! Nicht vor den Kindern! Nicht vor den Dienstboten!“
Das hat die Kinder aus der Welt der Buddenbrooks sträflich naiv gelassen, es hat sie zur Weißglut gereizt oder zu hellhörigen Deutern des Schweigens und verborgener Nuancen gebildet.
Aber ehrlichgesagt ist solche verklemmte, verdruckste Umschreibung oder Verhüllung der Wirklichkeit im Begriff zurückzukehren an die Tische und in die Gesellschaft unserer Zeit. …
Zu viel Dunkles und Verstörendes liegt in der Luft, zu viel Zündstoff und zu viel Furcht, um nicht ab und zu zum alten Mittel des Verschweigens zu greifen: „Komm, an diesem Fest erwähnen wir keine Sorgen von morgen. Psst, heut tun wir so, als wär’ der Himmel heiter. Wir wollen den Kindern doch nicht einreden, sie seien das finale Geschlecht. Lasst uns lieber die Flucht in die Sonne buchen. Und andere Fliehkräfte, eine andere Flüchtigkeit, einen anderen Fluch gibt’s für uns nicht. … Es ist doch Weihnachten! … Wohlsein!“ ——
So mag es nachher an der Tafel und am Baum vielleicht klingen. … In Gottes Namen: Der Kinder wegen! ——
Aber hier muss es nun anders zugehen. … Des Kindes wegen, das uns in Gottes Namen jetzt begegnet!
Dieses Kind – „holder Knabe“, „herzes Jesulein“ – … dieses Kind ist Das Eine Kind, Das es nicht zu schonen gilt, … wenn wir’s denn begreifen, Wer Es ist! Diesem Kind gegenüber altklug zu tun und auszuwählen, was es mitkriegen soll und was nicht, ist das Kindischste, was wir uns selbst vormachen könnten! Diesem Kind die Welt nur durch den Filter unsres eigenen Gutdünkens nahezubringen, hieße wahrhaftig die Sonne vorm Licht, das Feuer vor der Hitze und das Meer vorm Wasser schützen zu wollen!
Dieses Kind, Das uns geboren ist, dieser Mensch der Zukunft, Der uns da gegeben ist: Wie könnten wir Den wohl für dumm verkaufen? Wie könnten wir Ihn in Watte packen, Der in die Welt und ihre lumpigen Windeln kam, weil Er den weich gewölbten Himmel willentlich und wissentlich gegen das harte, hölzerne, kreuzförmige Gerüst der Erde eintauschte?
Diesem Kind ist wirklich ganz und gar nicht geholfen, wenn wir meinen sollten, Ihm durch Hinters-Licht-Führen zu helfen: Es Selbst ist ja das Licht, das alles Verborgene sehen lässt; Es ist die Wahrheit, die wir über die Welt und in der Welt nicht gut ertragen können; und die Freiheit ist es auch, denn dieses Kind hat – anders als wir alle und erst recht als die, die von der neuerlichen Abtreibungsdebatte überhaupt nicht mehr als Menschenkinder gesehen werden – bewusst das Geborenwerden und das Abenteuer und die Gefährdung, die damit einhergehen, erwählt.
Ein Kind, das ganz ausdrücklich leben will, ist da mithin zur todgeweihten, selbstzerstörungsbesoffenen Welt gekommen, um durch Sein Leben und Sein Sterben das sinnlose Sterben und das dito Leben der gesamten Menschheit radikal zu verändern!
Wenn wir Dem also nicht erzählen, was unsere Sorge ist, … wenn wir Ihm eine heile Welt vorspielen, während die Schöpfung wie Kerzenwachs in der Flamme zerrinnt, … wenn wir Ihm verschweigen, was uns jeweils und was uns alle miteinander fertig macht, dann machen alle unsere Lügen, Behauptungen und Beschönigungen die von Ihm längst bejahte Krippe nur härter und Sein Kreuz nur schwerer!
Darum: Keine Geheimnistuerei vor diesem Kind!
Wir können Ihm ruhig mit unsrer Überforderung kommen. Denn es heißt „Wunder-Rat“!
Wir müssen nicht den Schein der Souveränität wahren, wenn uns gelegentlich geradezu Panik anfällt: Man nennt nicht umsonst Dieses Kind und nicht etwa uns den „Gott-Helden“!
Unser natürlichster Zustand und unsere albernste Angst - die Blöße - ist vor Ihm genauso wenig peinlich wie vor unsern Eltern, als wir klein waren: Der Name „Ewig-Vater“ drückt es ja aus, dass Sein Bewusstsein weiter zurückreicht als unser ganzes Selbst- wie Schambewusstsein.
Und schließlich müssen wir nicht nur unser eigenes Suchen, unser Erschrecken und unsere Schuld vor diesem Kind nicht verhüllen, sondern auch die abgründigen Konflikte, Krisen und Kriege, die uns in den Erwachsenen-Gesprächen, in den politischen Debatten und den Experten-Urteilen gegenwärtig so umtreiben, können und müssen wir von dem neuen Menschenleben, das heute gefeiert wird, nicht fernhalten: „Friede-Fürst“ steht über seiner Krippe.
Dies Kind ist hier, weil die Welt in Gewalt versinkt!
… Machen wir uns, machen wir Ihm also nichts vor.
Heute abend heißt es von allen unseren Schwierigkeiten, Bedrohungen und Schwächen eben nicht „Pas devant les enfants“, sondern im Gegenteil: „Tout devant cet enfant!“
So haben die Christen immer Weihnachten gefeiert.
So feiern wir es heute auch: Das unerträglich Schwere, das trostlos Trübe, das aussichtslos Verwirrende, die übermächtige Gefahr, … das alles sagen wir einem Kinde! In vollem Ernst. In strahlender Erleichterung. In einer Freude, die Erde und Himmel ergreift und Menschen- und Engelzungen jubeln und schnalzen lässt. „Halleluja! Das Kind, der Retter ist da!“ ——
Und die Welt muss lachen.
… Aber nicht weihnachtlich.
Sondern wie die Welt eben lacht. Welterfahren. Müde. Hohl und klug und falsch. Denn ein Baby als Berater, ein Säugling, der das Sagen hat, ein Kind als König ist schlicht Unfug. Das lehrt der Blick in die Geschichte. Minderjährige und Unmündige, denen Verantwortung zufällt, sind immer wieder Spielbälle und Opfer, Marionetten oder spätere Rächer ihres verkorksten Urtraumas geworden … wie unser Kaiser Heinrich IV., der hier in Kaiserswerth um seine Kindheit betrogen wurde.
Die Welt weiß, dass ein Kind kein Helfer ist.
Der Verstand weiß es auch. Selbst unser Instinkt – und wenn er noch so weihnachtlich geprägt, durchkitscht und überzuckert ist –, … selbst unser Instinkt weiß, dass da etwas nicht stimmt, wo alle Hoffnung und Erwartung und unter ihrer Maske und in ihren Falten alle Enttäuschung und Verzweiflung sich auf ein Kind fixieren.
Das aber ist das weihnachtliche, … genauer gesagt: das christliche Dilemma.
Christentum und Weihnachten sind trotz aller unsere Gewöhnung daran und trotz aller unserer winterspeckträgen Gedankenlosigkeit direkte Angriffe auf grundlegende Instinkte, auf fundamentale Selbstverständlichkeiten und ehrwürdige Gedankengebäude dieser Welt.
Was Weihnachten und Christentum aber am allermeisten in Frage stellen, ist die herkömmliche Theologie, … die unreflektierte genauso wie die durchgeistigte.
Denn die Grundlage alles Gottesdenkens beruht letztlich auf zwei Pfeilern: Unendlichkeit und Allmacht. Gott – so denkt man ihn sich – ist von Ewigkeit her und auf Ewigkeit hin und seinen Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.
Und da stehen wir jetzt mitten unter den großen Göttern des Olymp und der Akropolis, … mitten unter den großen, auf ihre Weise frommen Denkmälern des Göttlichen, die von Aristoteles bis Leibniz errichtet wurden und mitten unter den Gottesüberwindern Marx und Nietzsche und Freud, deren geistiger Triumph über die Religion doch davon zehrte, die behaupteten Übermaße, die Hypertrophie aller Gottes-Mythen als Projektion und Trug entlarvt zu haben. … Da stehen wir mitten unter den Bilderbüchern vom flauschbärtigen Alleskönner auf einer Wolke und mitten unter den eigenen Illusionen von einem Wunscherfüllungsversprechen namens „Übervater-unser“, … da stehen wir mit dem Evangelisten Jesaja und dem Propheten Lukas, hier in der Heiligen Nacht von Bethlehem und Magdeburg und Gaza und Kiew und uns ist ein Kind anvertraut, ein Sohn ist uns gegeben, in dessen winziger durstiger, zitternder Nacktheit in den Windeln wir den Vater, ja Gott selbst begrüßen und bekennen und beruhigen und beschützen sollen!? …
Und unmittelbar kann man verstehen, wieso die Griechen und die Römer in den Christen tatsächlich Gottesleugner, Atheisten sahen und das Judentum eine Blasphemie, eine Gotteslästerung in uns wittert.
Unser Gott ist klein und kraftlos. Er friert. Braucht Milch und Luft und eine Wärmequelle, um nicht morgen früh schon Geschichte zu sein.
… Tatsächlich eine schöne Bescherung!
Vielleicht sagt man das daheim den Kindern und den kindlichen Gemütern tatsächlich besser nicht, dass Weihnachten fast nur schöne Verpackung und magerster Ertrag ist. … Es ist ja wirklich fast gar nichts dran an diesem Gott. Leicht zu übersehen. Letztlich fast ohne Gewicht. „Mon Dieu: Une quantité négligeable?“ …… „Oh là là! Pas devant les enfants!“ ———
Damit aber kommt’s Weihnachten alle Jahre wieder zum Schwur:
Entweder wir bleiben bei den immer großartiger gewordenen Windeln, dem Tüll und stofflichen Drumherum, der Verhüllung also und setzen das, was darin liegt, der Kälte aus wie ein römischer Pater familias einen unwillkommenen Säugling. … Oder wir tun das, womit ich begonnen habe und nicht nur gleich die Predigt, sondern zuletzt auch mein Leben zu beschließen hoffe: … Oder wir wagen uns an das Vertrauen!
Denn bei keinem Kind der Erde geht es um weniger als das. Jedes einzige Kind unter dem Himmel bedarf dessen, dass es Solchen in die Arme und ans Herz gelegt ist, die es wagen, für dieses Kind die Zukunft offenzuhalten!
Kein Kind der Sterblichen sollte nach unserer vermutlich geteilten Überzeugung am Beginn seines Weges in reinen Zweifel gestoßen werden, sondern von einer Liebe empfangen und begleitet sein, die dem Kind und dem Kommenden Gutes zutraut!
Das aber ist die Geschichte von Weihnachten und die Geschichte des Christentums in ihrer reinsten Form und ihrem segensvollsten Futur: Ein Abschied von den Wahnvorstellungen der Omnipotenz und ein liebendes, glühend liebendes Vertrauen darauf, dass Gott im Kind, dass Gott in Jesus Zukunft hat, ja Selbst die Zukunft ist!
Nicht einer von den Gernegroßen, die derzeit weltweit wieder das Steinzeit-Ziel der Gewaltherrschaft verfestigen, sondern der freiwillig lebende - und leidende! - Säugling in der Schutzlosigkeit verdient unser Vertrauen in Tat und Wahrheit!
Nicht das Stereotype des reichsten und des einflussreichsten Mannes, der von seiner totalen Kontrolle träumt und sie treibt, sondern die unglaublich gefährliche, beispiellos leichtsinnige Wahl Gottes, Sich auszuliefern an die Brutalität oder Berührbarkeit des menschlichen Wesens, ist tatsächlich die Verheißung einer neuen Welt!
Nicht der eiserne Besen oder der eiserne Vorhang oder die eiserne Kuppel, von denen das Unreife in allen politischen und militärischen Projekten unserer Tage in pubertärer Gier erregt wird, rettet letztlich dauerhaft Leben und Welt. Sondern nur das offenkundig noch nicht fertige, noch nicht gefestigte, noch nicht abgeschlossene Geschehen des Reiches Gottes, in dem ein bloßer Hoffnungsträger - kein Alpha und kein Sigma-Typ - die drückend schwere Herrschaft auf Seine schmalen Schultern nimmt und nur bestehen wird, wenn Seine Brüder und Schwestern (und das sind wir!) das Kreuz mit Ihm tragen und die Liebe mit Ihm wagen und das unerhört Mutige und Gnädige sagen, das in der Welt sonst keinen Anklang und Anhang findet! ——
Um also in der preziösen Sprache der gediegenen Salons und Zirkel zu bleiben, die an den Feiertagen hier und da eine seltsame, aber auch rührende Nachblüte erleben, kann man wohl sagen: Was Gott durch Seinen Thronverzicht, in Seiner Verkleinerung zum Kind, mit Seinem garantiert zum Tod führenden Geburtstag hier auf Erden unternommen hat, das ist im wahrsten Sinne des Wortes gewagt, „risqué“!
… Aber nicht „passée“! … Weder überholt noch vergangen.
Das Wagnis Gottes geht weiter! Wie das Wachstum eines geliebten Kindes, dessen Zukunft vom Vertrauen und der Treue der Seinen getragen wird.
… Eine gewaltige Allmachtslösung aller jener Sorgen, ein kurzer Prozess über all jene Schuld und Schatten, die man vor den Kindern nicht ausspricht, ist damit nicht erreicht.
Sondern die lange Lösung, die im Wachstum der Liebe liegt!
Aber genau deshalb sind wir hier ja vor dem Kind.
Und das Kind vor uns.
Weil Ihm nicht nur diese Stunde, dieser Heilige Abend, dieses Fest oder diese Ferien gehören, sondern die Vergangenheit, in der Er Sich gegen den Weg aller Götter und für den Weg aller Menschen entschied, und nun die Gegenwart, in der wir es sind, die Ihn als Seine Freunde, als Seine dankbare und fröhliche Familie in Seiner ganzen Kleinheit aufnehmen, lieben und begleiten werden und dann gehört Ihm auch die Zukunft, in der das Kind ewig ist und wer zu Ihm hält ebenso.
Sie liegt durch das Kind also auch vor uns.
Und deshalb meine Bitte zum Schluß:
Sagen Sie es weiter! Unbedingt! … Den Kindern. … Den Unmündigen. … Und noch mehr den Mündigen und Übermütigen und Gewissenlosen, die wir alle kennen und manchmal sind.
Sagen Sie, sagen wir es allen weiter:
Die Zukunft liegt darin, dass uns dies Kind geboren wurde, dass dieser Sohn uns gegeben ist, auf dessen Schultern die Herrschaft liegt!
Ça c’est tout.
Das ist alles.
Amen.
Christmette, 24.12.2024, Stadtkirche, Jenny Müller
Geboren
Geborgen
Gegeben
Kann uns keiner nehmen
Geboren
Du hast uns auserkoren
Gelenkt,
geschenkt
Vom himmlischen Kind
Geboren in dieser heiligen Nacht,
Gott hat für uns geschafft,
hat gebohrt mit aller Himmelskraft
Geboren in dieser dunklen Nacht, mal kurz eben ein kleines Wunder vollbracht.
Haben dich kindlich in unsere Herzen gelassen, die kleine Hoffnung gegen alle Schmerzen.
Geboren, da im Herzen, da bei mir - haben stetig eine Tür zu dir. So wurde es uns beigebracht - dass du einfach immer über uns wachst.
Haben dich Jahr für Jahr mit den Hirten gesucht,
haben dich im Stall besucht,
mit den Königen verzweifelt geflucht,
mit den Engeln gesungen,
waren mit dir im Krippenspiel stolz glücksbetrunken-
ja, Du warst im Kindsein einer unserer Eckpunkte.
Du warst das Glitzer im Gesicht,
das stolz vorgetragene Weihnachtsgedicht,
als Engel verkleidet mein Sternenlicht,
du warst es, der mir Zauber verspricht.
Haben dir fest geschworen, wir glauben nur an dich allein -
geschworen, du wirst immer bei uns sein.
Dass der Zauber nie vergeht, dass du stets an unserer Seite gehst.
Mit jedem Schritt, mit jedem Tritt - haben versprochen: Ich nehm' dich überall hin mit.
Und das war gelogen.
Das war die erste Lüge, die wir dir gegenüber gemacht.
Haben dich wie einen alten Tannenbaum, vor die Türe gestellt nach der heiligen Nacht, mit der Ausrede, dass du ja über uns wachst:
Dass du da draußen, doch auch hast bessere Sicht - auf alles, was da eben grad' nicht so rund läuft in unserer Geschicht'.
Haben dich angelogen. Haben dich abgeschoben.
Hab dich in die Kälte gestellt,
dachte, dass du etwas bist, was nie verfällt,
habe dich dann einfach nicht mehr weiter beachtet -
habe dich vor die Tür meines Lebens verfrachtet.
Denn Jesus, ich muss grad selbst klar kommen im jetzt und hier.
Kann mich ja auch nicht immer um dich kümmern - bin ja nicht einer deiner Jünger.
Verpufft war's: deine Geburt in mir - dein Glitzer, dein Zauber - mein Schwur zu dir.
Und vom geboren, geschworen, belogen ist es nur ein kleiner Schritt:
ich hab mich über dich erhoben.
Über dich und unsere Geschicht', übers letzte Gericht, über dein ewiges Licht -
hab einfach kurz vergessen dein Angesicht - zwischen Tannennadeln, Plätzchengeruch und Glühwein mit Schuss -
habe den weltlichen Genuss erhoben über unseren eigentlichen Glaubens-Beschluss.
Und dann hat dich irgendwann, irgendwer da draußen gestohlen.
Da fragt wer: „Braucht wer das noch?“ Und keiner schrie: „Doch!“
Und so hab ich dich kurzerhand einfach ziehen gelassen,
mit all dem anderen Kram auf dem Sperrmüll-Laster.
Habe mich ablenken lassen
von all den geschmückten Weihnachtsgassen
von all den aufgeregten Menschenmassen,
von all den Geschäften mit den klingelnden Kassen.
Du bist mir einfach gestohlen gegangen.
Hab zu spät verstanden: Ich bin ohne dein Licht in der Dunkelheit gefangen.
Geboren, geschworen, belogen, erhoben, gestohlen,…. erfroren?
Meine Hände werden kalt,
fühle mich als ständ' ich im Tannenwald, doch seh' vor lauter Bäumen nichts.
Die Nadeln piksen mich und ich suche deine Spuren vergeblich.
Meine Gedanken sind so voller weltlicher Laster, ich fall' ohne dich durch alle Raster.
Unter mir gefriert das Wasser. Schlitter' ohne dich auf der Weihnachtseisbahn herum, doch habe keine richtigen Schwung - denn du gabst mir jede Umdrehung.
Höre überall tönen „driving home for christmas“- und frage mich, wo ich eigentlich ohne dich bin? Wann wurde aus Weihnachten ein Business?
Wann war der Punkt, wo ich dich vor die Tür verfrachtet und abholen gelassen hab?
Und wie kann es sein, dass ich dabei noch nicht einmal erschrak?
Ich hab dich einfach ziehen gelassen, aus Angst du könntest nicht in meinen Alltag passen. Habe dir dann den Vorwurf gemacht:
„Warum hast du mich verlassen?“
Doch, dass du hast das gleiche geschrien zu mir, kam durch die Tür von draußen nicht herein zu mir.
Ich vermisse dich im jetzt und hier- doch du hast schon lange vermisst ein gemeinsames wir.
Und wenn ich so kritisch unsere Erinnerungen betrachte - stell'ich fest, da war eigentlich immer Platz da: Für dich und für eine gemeinsame Zeit. Für unzählige Momente, die sich aneinanderreihen.
Doch habe dich nicht eingeladen, habe aufgehört nach dir zu fragen, weil ich eine Zusammenkunft zwischen dir und meinem weltlichen Leben nicht wagte.
Und so warst du darüber am Verzagen,
während ich kläglich versagte.
Und so frage ich Sie, in der Hoffnung, Sie haben es besser gemacht:
Wo haben Sie letzten Jesus hin mitgenommen?
Haben Sie zusammen geschaut in die Abendsonne?
Oder sind Sie zusammen heimgekommen, von einem langen Tag?
Haben Sie sich abends am Küchentisch zugehört und die Wahrheit gesagt?
Haben Sie Jesus auch mal gefragt, wie es ihm so geht, was gerade so bei ihm auf der Agenda steht?
Haben Sie herzlich zusammen gelacht.. und geben Sie Tag für Tag aufeinander acht?
Oder haben Sie sich als selbstverständlich genommen - so dass er Ihnen durch die Finger entronnen…?
Wir haben dich vor die Tür ausquartiert, dich degradiert, dich isoliert und dass wir dich vermissen, erst in der Weihnachtszeit kapiert.
Und dass ist was im Herzen so sticht,
das ist der der Grund für diese Predigt:
Ich will mit dir Schlittschuhlaufen, ohne davon zu laufen,
ich will keinen Schrott kaufen, der mir nur eine leere Verheißung verspricht - denn mir reicht der Gedanke an dein wunderschönes Weihnachtslicht.
Ich will, dass sich dein heiliger Schein in diesen roten Kugeln bricht und mir auch einen gemeinsamen Sommer verspricht.
Ich will mit dir leben - doch dafür muss ich dir auch was geben und nicht immer nur erwarten zu nehmen.
Denn am Ende bleibt doch eins:
Wir haben dich zwar belogen,
haben uns über dich erhoben,
du wurdest uns gestohlen
Wir sind fast erfroren
du gingst uns verloren
doch letztendlich sind wir ….auserkoren!
Du hast uns und wir haben dich ausgewählt. Seit dem Tag unserer, und heute deiner Geburt - das war der Startschuss, dass aus uns ein Team wurd'.
Jesus, du und ich - dass kann mehr als nur Weihnachtsglanz und Schlittschuhtanz, das kann dauern ein ganzes Leben lang.
Jedes Weihnachten wollten wir eine Antwort von dir, doch ohne die Verantwortung hier.
Da wollten wir einfach an deiner Krippe verschnaufen und selig sein, dann man hat uns lassen taufen.
Doch so funktioniert das hier nicht! Denn wir haben auch einen Part in dieser Geschicht'.
Wir gehören zu deiner Crew,
aus dem Himmel ertönt es laut: Jesus is calling for you
Auserkoren - und heute Nacht: Neugeboren!
Und so feiern wir heute Nacht nicht nur deine Stall-Geburt
- sondern auch wie aus uns Christen wurd.
Das hier heut, ist unser Neuanfang,
denn wir erinnern uns: wir sind ein unzertrennbares Gespann.
Und dass wir dich nie mehr aus unserem Leben verbannen!
Dass wir auf dich und unseren Glauben achtgeben müssen - besonders in diesen Zeiten,
dass wir uns von dir nicht nur innerhalb von heiligen Mauern lassen leiten,
und dass wir außerhalb von Ostern, Pfingsten und Weihnachten echt was mit dir verpassen:
Wir können mit dir im Auto singen,
Wir können mit dir vom 5er springen,
Wir können mit dir einen coffee-to go trinken, und von der Weißen Flotte winken.
Was ich sagen möchte:
du bist lebensfähig, sodass wir dich nicht sperren muss in einen goldenen Käfig. So dass wir dich nicht lassen müssen in diesem heiligen Stall, bis wir nächstes Weihnachten kommen und wieder bei dir verweilen.
Tausend Möglichkeiten, mit dir lebendig zu leben,
ich muss dir nur jeden Tag aufs Neue meine Hand geben.
Und so ist deine Geburt in dieser Nacht,
ein riesiges Wunder, was von dir allein erbracht,
aber auch eine Chance und ein Angebot, was du für uns gemacht:
Dass wir dich nicht nur Feiertagen in unser Leben lassen,
dass wir dich nicht mehr stehen lassen.
Und dass wir auf unseren Glauben aufpassen:
Denn unser Glaube ist es, der uns zusammenbindet.
Unser Glaube ist unser Kompass, der dich stetig findet,
Unser Glaube, der unseren Alltagstrott überwindet.
Unser Glaube ist es, der lässt dich nicht entschwinden,
Unser Glaube ist es, auf den können wir uns immer besinnen.
Heute Nacht sind wir die wieder-glaubens-finder,
denn seien wir ehrlich: Du bist ein all-time-match auf Tinder.
Und nun, nehmen Sie sich einen Moment der Ruh' - und machen Sie die Augen zu:
Fühlen Sie Ihren Glauben?
Den kann ihnen keiner rauben!
Und der Herr bewege unsere Herzen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Christvesper, 24.12.2024, Jes.9,1-6, Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
Predigttext Jesaja 9,1-6 (Basisbibel):
Das Volk, das in der Finsternis lebt, hat ein großes Licht gesehen.
Es scheint hell über denen, die im düsteren Land wohnen.
Gott, du lässt sie laut jubeln,
du schenkst ihnen große Freude.
Sie freuen sich vor dir, wie man sich bei der Ernte freut.
Sie jubeln wie beim Verteilen der Beute.
Zerbrochen hast du das drückende Joch,
die Stange auf ihrer Schulter und den Schlagstock der Peiniger.
Es ist wie damals, als die Midianiter besiegt wurden.
Verbrannt wird jeder Stiefel,
mit dem die Soldaten dröhnend marschierten.
Ins Feuer geworfen wird jeder Mantel,
der im Krieg mit Blut getränkt wurde.
Denn uns wurde ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns geschenkt worden.
Ihm wurde die Herrschaft übertragen.
Er trägt die Namen „wunderbarer Ratgeber“, „starker Gott“,
„ewiger Vater“, „Friedefürst“.
Seine Herrschaft ist groß und bringt Frieden ohne Ende.
Er regiert als König auf dem Thron Davids
und schafft Recht und Gerechtigkeit.
So festigt und stärkt er sein Königreich jetzt und für immer.
Der HERR Zebaot bewirkt das in seiner leidenschaftlichen Liebe.
Liebe Gemeinde,
die Weihnachtszeit ist für sehr viele Menschen in unserem Land eine besondere Zeit. Vor allen Dingen ein Fest für die Familie, man kommt zusammen. Viele nehmen weite Anfahrtswege in Kauf, um mit Eltern, Geschwistern und deren Familien mindestens einen dieser „Drei Heiligen Tage“ zusammen zu sein. Das Wohn- und Esszimmer der Eltern und Großeltern wird so etwas wie der Stall von Bethlehem, zu dem alle kommen, um sich wiederzusehen. Und für diejenigen, die noch eine Ahnung haben, worum es Weihnachten doch eigentlich geht, die verbinden das mit der Geschichte, die der Apostel Lukas in seinem Evangelium erzählt – ein Text der Weltliteratur, den vor 500 Jahren Martin Luther meisterhaft ins Deutsche übersetzt hat. Undenkbar, ihn einer Gemeinde am Heiligen Abend in einer anderen Übersetzung vorzutragen. „Es begab sich aber zu der Zeit …“ Ein vertrauter Text, eine vertraute Stimmung – Weihnachten zum Wohlfühlen. Der Heiland ist geboren, der Retter, der alles in Ordnung bringt, der Erlöser. Dass Lukas hier keine Erzählung à la Rosamunde Pilcher verfasst hat, sondern eher einen Mythos mit durchaus kritischem Blick auf politische und gesellschaftliche Zustände zur Zeit, als Quirinius Statthalter in Syrien war, das nimmt heute kaum noch ein Hörer oder eine Leserin wahr.
Weihnachten ist aber mehr als eine schöne Geschichte und Gelegenheit zum Feiern. Es schärft in besonderer Weise unseren Blick auf die Welt, wie sie ist – damals und heute. Darum ist der Text, der für die heutige Christvesper als Predigttext vorgeschlagen ist, eine gute Gelegenheit, neu und tiefer hinzusehen und hineinzuhören. Und damit das besser gelingt, habe ich ihn in der Übersetzung der Basisbibel mitgebracht: Jesaja 9,1-6 – als alttestamentliche Lesung haben wir ihn schon gehört; auf S.2 des Gottesdienstblattes haben Sie ihn vor Augen.
In drei Schritten will ich mich ihm nähern, ihn zu uns sprechen lassen – durch die Zeiten hindurch. Um Finsternis und Licht geht es und um eine Geburt, um ein Kind, mit dem eine neue Zeit anbricht.
„Das Volk, das in der Finsternis lebt, hat ein großes Licht gesehen. Es scheint hell über denen, die im düsteren Land wohnen.“
Jesaja hat diese Zeilen nicht einfach so aufgeschrieben. Vielmehr bezieht er sich auf militärische Aktionen des assyrischen Herrschers Tiglat-Pileser III. um 730 v.Chr., die eine existentielle, angstvolle Dunkelheit für die Menschen im Nordreich Israel mit sich brachten. Und auch die Bewohner des Südreiches Juda konnten sich nicht in Sicherheit wiegen.
Angst und Schrecken verbreiteten die Assyrer damals in den an ihr Großreich angrenzenden Ländern. Nach den militärischen Niederlagen drohte den Menschen, Männern, Frauen und Kindern, Versklavung, Vertreibung und Tod. Die Auslöschung, das Ende ihrer staatlichen und kulturellen Existenz.
In diese dunkle Gegenwart hinein und gegen die sich ausbreitende Angst und Hoffnungslosigkeit schreibt Jesaja an, lässt er mit seinen Worten ein Licht aufgehen – ein großes Licht gegen die tiefe Finsternis. Er singt ein Lob- und Danklied und fordert damit das Volk, das in der Finsternis lebt, auf, sich nicht der Finsternis zu ergeben, in ihr zu versinken, sondern das Gesicht dorthin zu wenden, woher allein Hilfe kommen kann: zu Gott. Zu dem Gott, der das Leben ist, dessen Liebe niemals aufhört und der keinen aus seinen Händen fallen lässt. Zu dem Gott, der befreit und Zukunft schenkt.
„Gott, du lässt sie laut jubeln, du schenkst ihnen große Freude.“ Der dankbare Jubel wird durch Bilder unterstrichen:
Erntefeste stehen vor Augen und statt selbst zur Kriegsbeute zu werden, verteilt man Kriegsbeute, freut man sich am Sieg, den Gott schenkt. Die Bedrohung, die Finsternis ist überwunden: die Sklaventreiber wie damals in Ägypten, die namenlosen Unterdrücker. Erinnert euch doch: damals, als Gideon – obwohl zahlenmäßig und auch hinsichtlich der Bewaffnung hoffnungslos unterlegen – die Midianiter besiegt hat. Im Vertrauen auf Gott. Warum sollte es nicht der Großmacht Assyrien ebenso ergehen? Verbrannt wird jeder Stiefel, ins Feuer geworfen jeder ihrer blutgetränkten Militärmäntel. Es wird ein neuer Gideon geboren, ja, er ist schon geboren: „Ein Sohn ist uns geschenkt worden.“ Und ihm wurde die Herrschaft von Gott übertragen. Für Jesaja ist entscheidend, dass Rettung aus der Bedrohung durch die Assyrer nicht von einem der bekannten Männer aus der Dynastie der Davididen, noch von einem selbsternannten starken Mann kommen kann, sondern dass es ein Mensch sein muss, der auf die Weisungen Gottes hört und nach ihnen sein Tun ausrichtet.
Darauf verweisen die Namen: „wunderbarer Ratgeber“, „starker Gott“ (nicht: gewaltiger Gott), „ewiger Vater“, „Friedefürst“. Der, der Rettung bringt, der schafft Recht und Gerechtigkeit, die unabdingbare Voraussetzung für einen Frieden, der diesen Namen verdient. Er schafft sie, indem er Gottes Willen umsetzt. Ich bin der Basisbibel mehr als dankbar, dass sie diese wunderbare Formulierung für den letzten Satz bringt: „Der HERR Zebaot bewirkt das in seiner leidenschaftlichen Liebe.“ Das trifft es hundertmal besser als die Formulierung in der Lutherübersetzung: „Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaot.“ Eifer klingt nach Eifersucht und öffnet die Tür zu Rache und Vergeltung. Leidenschaftliche Liebe ist etwas anderes, wirkt sich anders aus.
Die Hoffnung, die Jesaja damals für seine Zeitgenossen angezündet hat, die hat sich historisch nicht erfüllt. Die Assyrer haben das Nordreich Israel ausgelöscht. Und die Gefahr für das Südreich Juda, den regionalen Großmächten zum Opfer zu fallen, blieb bestehen, bis es 120 Jahre später von den Babyloniern erobert und unterworfen wurde. Und doch leuchtet in diesen Worten Jesajas eine Erkenntnis durch die Finsternisse aller Zeiten auf: der Friede ist Frucht von Recht und Gerechtigkeit, weil Gott ein Gott ist, der Recht und Gerechtigkeit voller leidenschaftlicher Liebe zu den Menschen will. Und er selbst sorgt dafür, dass die Sehnsucht nach Recht und Gerechtigkeit nicht totzukriegen ist.
Gut 700 Jahre später lesen Menschen, die sich auf den Weg der Nachfolge Jesu gemacht haben, diese Verse aus dem Buch des Propheten Jesaja. Sie hatten die Botschaft Jesu gehört und als unbedingt relevant für ihr Leben angenommen. Sie haben ihm geglaubt, was er von Gott als dem Vater aller Menschen gesagt hatte und waren überzeugt, dass Liebe und Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Güte Gottes Willen entsprechen und zum Leben führen – trotz aller Widerstände, trotz der Erfahrung zu scheitern, trotz allem Leid. Die Kraft dazu gab ihnen ihr Rabbi Jesus. Sein Geist wohnte in ihnen.
Für sie war Jesus das Kind, der Sohn, von dem Jesaja gesprochen hatte. Menschensohn hatte er sich genannt, Gottes Sohn, so nannten sie ihn, weil er überzeugend Gottes Willen gelebt hatte. In seinem Königreich würden andere Regeln gelten als im römischen Reich. Er würde Frieden bringen nicht durch militärische Stärke, sondern durch Recht und Gerechtigkeit.
Sehnsüchtig erwarteten sie deshalb seine Wiederkunft, hielten am Weg ihres Rabbis Jesus fest – trotz aller Widerstände, trotz Verfolgung, Leiden und Tod.
Doch die Erfüllung ihrer Sehnsucht ließ auf sich warten.
Und dann fanden sie auf einmal sich selbst auf der Seite derer wieder, die Macht hatten auf dieser Welt. Und sie arrangierten sich mit der Gewalt, mit Unterdrückung und Ausbeutung, die es zu ihrem Erhalt brauchte.
Die Sehnsucht nach dem Reich des Gottessohnes, in dem alle Menschen miteinander im Frieden leben, gegründet auf Recht und Gerechtigkeit, verschwand bzw. wurde aus der Zeit in die Ewigkeit verschoben, von der Erde in den Himmel. Für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden würden dann Gott und sein Sohn schon sorgen.
Liebe Gemeinde, die Worte des Jesaja von dem Reich des Friedens, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen, haben sich bis heute auf dieser Welt nicht erfüllt. Sie sind nach wie vor Worte der Verheißung, nähren und stärken unsere Sehnsucht nach einem alle Menschen umgreifenden Frieden, der auf Recht und Gerechtigkeit gegründet ist. Eine Sehnsucht für diese Erde, für unsere Zeit. Hatte nicht Jesus seine Nachfolger zu beten gelehrt: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“? Gottes Reich, kein Reich, das nach den Spielregeln dieser Erde regiert wird, kein Reich von dieser Welt, aber doch ein Reich für diese Welt, das auf dieser Erde wachsen und sich entfalten soll – getragen, gestaltet und befördert von den Menschen, die Gottes Willen ernst nehmen. Denen Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit am Herzen liegen, die die leidenschaftliche Liebe Gottes teilen. Menschen aus allen Völkern und Nationen, aus allen Religionen und Kulturen. Menschen voller Sehnsucht nach Frieden und Freiheit.
„Das Volk, das in der Finsternis lebt, hat ein großes Licht gesehen. Es scheint hell über denen, die im düsteren Land wohnen. Gott, du lässt sie laut jubeln, du schenkst ihnen große Freude.“
Wie aktuell ist dieser Text. Die Bilder, die uns am 2.Adventssonntag aus Syrien über das Fernsehen erreichten, zeigten jubelnde Menschen, die sich nach über 50 Jahren Unterdrückung durch den Assad-Clan, auf den Straßen und Plätzen in die Arme fielen, ihre unbändige Freude hinausriefen. „Zerbrochen hast du das drückende Joch, die Stange auf ihrer Schulter und den Schlagstock der Peiniger, der Folterknechte.“ In den Moscheen und Kirchen sind sie zusammengekommen, um Gott, um Allah zu danken. Und auch in unserem Land sind Syrerinnen und Syrer, die vor dem Regime und dem von ihm angezettelten Bürgerkrieg zu uns geflohen sind, auf die Straßen gegangen und haben sich einfach gefreut. Sie sind voller Hoffnung, dass es nun zu einem Neuanfang für ihr Volk kommt, dass Recht und Gerechtigkeit für alle Menschen aufgerichtet werden, für alle Glaubensgemeinschaften, für alle Ethnien. Der Neuanfang – wie ein neugeborenes Kind.
Alles ist möglich. Es möge gut werden für alle.
Wir sollten diese Hoffnung teilen und unterstützen, mit unseren Gebeten, mit unseren guten Wünschen und, wo es politisch möglich ist, mit unseren Taten.
Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit brauchen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung, wie ein neugeborenes Kind die Fürsorge seiner Eltern braucht, um zu überleben, um zu werden, was es ist, um zu entwickeln, was in ihm angelegt ist. Kinder Gottes sind wir alle, Gottes Söhne und Töchter durch unseren Bruder Jesus von Nazareth. Er selbst nannte sich „Menschensohn“, ein Bruder aller Menschen, egal welcher Religion.
Wenn wir als Christen heute Jesu Geburt feiern, dann feiern wir auch unseren Geburtstag. Denn nirgendwo anders als in uns und durch uns kann er heute und in dieser Zeit wirken.
In uns will er geboren werden, um heute Rettung zu bringen, die Finsternis hell zu machen,
an der Heilung der Welt zu arbeiten,
um sie von Gewalt und Unrecht zu befreien.
Und ich glaube, er will auch unter anderem Namen und in anderer Gestalt in Menschen anderer Religion geboren werden, in allen Menschen guten Willens. So wie es die Engel auf den Feldern Bethlehems gesungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei allen Menschen guten Willens, bei allen Menschen seines Wohlgefallens.“
Weihnachten feiern wir einen Anfang, alle Jahre wieder.
Am Ziel sind wir genauso wenig wie vor 2700 Jahren der Prophet Jesaja. Aber wir teilen dieselbe Hoffnung, die gleiche Sehnsucht nach Frieden in Freiheit, nach Recht und Gerechtigkeit. Und: wir sind nicht allein unterwegs auf dieses Ziel hin: unser Bruder Jesus ist als Christus in uns und mit uns und durch uns auf dem Weg und am Werk.
Amen.
Christvesper, 24.12.2024, Jonakirche, Daniel Kaufmann
Jesus zu Heiligabend in Düsseldorf…
Vor ein paar Jahren soll Jesus ja in Frankfurt gesehen worden sein. Der Comiczeichner Michael Wolf hat da ja 7 wundersame Begegnungen ins Bild gesetzt. Hans Dieter Hüsch, der niederrheinische Kabarettist, hatte bereits vorher notiert, dass der liebe Gott in Dinslaken vom Fahrrad gefallen sei und es bei dieser Gelegenheit zu einer direkten Einladung in den Himmel zu einem Gegenbesuch gekommen sei. Der Heilige Geist hatte sich unabhängig von Herrn Wolf und Herrn Hüsch mal dort und mal hier bei seinen Gläubigen gezeigt.
Und dieses Jahr, ich weiß nicht, ob Sie das auch schon mitgekriegt haben, also da soll Jesus nach Düsseldorf gekommen sein, exclusiv in die Landeshauptstadt. Heißt es. Und da wäre er also anders als in Frankfurt recht unspektakulär unterwegs gewesen. Die Kö mit ihren exquisiten Geschäften, Eisbahn und stylisch gekleideten Passanten hätten ihm ein durchweg wohlwollendes Schmunzeln entlockt, aber zu keiner besonderen Aktion animiert. Am Weihnachtsmarkt hätte er es sehr eilig gehabt. Das schien ihm nach den jüngsten Ereignissen in Magdeburg kein guter oder sicherer Ort zu sein. Ähnlich erging es ihm wohl in den Schadowarkaden. Da habe er nur kurz angehalten, um mit einem Straßenmusiker zu plaudern und ein paar Münzen in den Hut zu werfen. Auf dem Carlsplatz sei er gesehen worden, wie er mit einem Obstverkäufer ins Gespräch kam. Am Graf-Adolf-Platz heißt es, dass er einem Obdachlosen seine Jacke gegeben habe. „Du bist wohl der neuen Sankt Martin“ hätten da einige nicht ohne Ironie von sich gegeben. Aber da sei er schon wieder weitergegangen, heißt es.
Von Oberbilk, so wird berichtet habe er mit ein paar Kindern Fußball gespielt. Er hatte sich offenbar seine Vorliebe für die kleinsten Erdenbürger erhalten. Einfach kicken, Lachen und Freude am Miteinander haben und dann ein kräftiger Segen. Beim Weihnachtsliedersingen im Rather Dom schien er dann noch mehr aufzutauen. Nicht auf der Bühne, sondern in der Menschenmenge. Besonders bei dem Klassiker „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Da seien bei der Zeile „Christ der Retter ist da“ viele Augen wie von einem Magneten gesteuert erwartungsvoll auf ihn gerichtet gewesen. Aber nur für einen kurzen Moment. Denn später konnten sich viele nicht mehr erinnern, ob er es wirklich gewesen war.
Danach sei er also auch noch mal zurück in die Stadtmitte zum Rheinufer, am Schlossturm, da sei eine Gruppe junger Leute gewesen, die über die Zukunft debattierten. Und da habe er zum ersten Mal auch ganze Sätze gesagt, besser eine Frage und einen Satz, nämlich: „Warum wartet ihr darauf, dass andere die Welt ändern? Fangt dort an, wo ihr gerade seid, lebt denk und fühlt, dann wird sich der Rest finden.“
Diese Begegnung habe ihm, heißt es, einen gewissen Schwung verliehen, den er gleich am Rathausplatz im Austausch mit den politisch Verantwortlichen der Stadt fortsetzte. „Hört auf zu streiten und haltet mehr zusammen“, habe er da kurz und knapp erklärt. „Und dann tut um Gottes Willen endlich das, was ihr den Menschen vorher versprochen habt. Und spart euch eure 1000 Erklärungen, warum dies und das nicht geklappt hat.“
Die Politiker sollen überwiegend an den richtigen Stellen genickt habe, ansonsten aber eher verdrießlich vor sich hingestarrt zu haben. Im Dreiständehaus habe er dann gar kein Blatt mehr vor den Mund genommen: „Eure Talkshows und Gesellschaftsanalysen in Ehren“, soll er gesagt haben, „aber es wird Zeit, höchste Zeit, dass sich was dreht, und zwar nicht nur der Fußball, sondern eure Überlegungen, wie und wo in dieser Welt es jetzt gilt, anzupacken, zu helfen, zu unterstützen, Hoffnung zu verbreiten und Vertrauen zu wecken ins Leben, in die Liebe und in Gottes Möglichkeiten für diese Welt.“ Auch da hätten etliche fromm den Kopf gesenkt, ansonsten aber abgewartet, bis dieser weltfremde Zaungast sich wieder auf den Weg machte.
Tja und schließlich, und deshalb erzähl ich ihnen das heute so ausführlich, soll er auch in die Kirchen gekommen sein. Merkwürdigerweise zuerst zu den Katholiken, womöglich weil die das nötiger haben. Aber vielleicht auch, weil die historisch eher dran sind, also rein zeitlich gesehen gibt es da ja eine durchweg längere Tradition weihnachtlichen Feierns. Ja, und da hat er also in der Maxkirche ein paar Vorschläge unterbreitet. „Die Menschen haben ein feines Gespür für das was richtig und das was falsch ist“, soll er gesagt haben. „Sie merken, wann etwas authentisch und wann etwas nur vorgetäuscht ist. Beherzigt das bei euren Verlautbarungen und Predigten. Und übt die Demut ein. Gebt Fehler zu, gebt Macht ab. Beharrt nicht darauf, dass ihr immer Recht habt und alles besser wisst. Hört vor allem auf, die ganze Menschheit mit Eurer Moral zu beglücken. Gebt der Liebe Raum und lebt Gerechtigkeit, alles andere wird sich dann finden.“ Diese kleine Gardinenpredigt sorgte für Bewegung aber auch für zahlreiche skeptische Blicke. Und etliche Zuhörer schienen unschlüssig, was sie von dem Gesagten wo und wie und wann in konkretes kirchliches Handeln einbringen sollten. Bevor es jedoch zu längeren Aussprachen und Nachfragen hätte kommen können, soll sich Jesus mit den Worten verabschiedet haben, dass er auch bei den evangelischen Christen noch etwas loswerden wolle. Da sei gerade in Düsseldorf doch einiges, was bei ihm höchste Verwunderung hervorgerufen habe.
So habe er also die Johanneskirche direkt im Zentrum der Stadt aufgesucht. Und sich auch hier recht schnell und ohne Schnörkel zu Wort gemeldet: „Bei euch gibt es sehr viel, um nicht zu sagen zu viel Lamentieren über Organisation, Finanzen, Immobilien und Strukturen, aber wenig über den Inhalt, die frohe Botschaft, das Evangelium zu hören. Das muss sich ändern!“, habe er mit fest vernehmlicher Stimme verlauten lassen. „Der Mensch lebt nicht von Konzepten und Organigrammen, sondern von der Zusage der Vergebung, von einer Umarmung und von der Verheißung, dass das Leben wieder gut werden kann und wird. Ihr seid viel zu viel mit Verwaltung und Management unterwegs. Dabei geht es darum, Menschen zu trösten, Mut zu machen und die Gewissheit zu verbreiten, dass Gott sie liebt. Kommt also zurück zum Wesentlichen, zum Eigentlichen, zum Kern des Glaubens und die Kirche wird lebendig sein und bleiben.“
Auch hier, heißt es, soll er nicht allzu lange geblieben zu sein. Er müsse da auch vor Ort noch einige wichtige Besuche machen, soll er gesagt haben und so steht zu hoffen, dass er über kurz oder lang auch in die Jonakirche nach Düsseldorf Lohausen kommt. Sicher, die U 79 fährt oder fährt auch nicht, aber wir alle wissen, irgendwann kommt sie dann doch an. Und wenn Jesus also dann an der Alten Flughafenstraße aussteigen und die letzten Meter die Niederrheinstraße entlanggehen würde, dann würde er also spätestens nach einer Viertelstunde hier vor der Tür stehen. Vermutlich würde er sich freuen, die Kirche so gut gefüllt zu sehen, mit einem schönen Tannenbaum mit vielen Lichtern an der Wand, dazu gut 22°C Raumtemperatur und einer Gemeinde, die nicht ohne Andacht die Weihnachtsgeschichte hört und erwartungsfroh auf eine mutmachende Botschaft wartet.
Und ich kann mir gut vorstellen, dass er da also auch ohne große Schnörkel anknüpfen würde. Er würde die spürbare Herzlichkeit bei etlichen Veranstaltungen, die gute Atmosphäre, auch die Hingabe beim Singen und Musizieren anerkennend loben. Aber wie ich ihn kenne, würde er dann auf weitere Allgemeinplätze verzichten und sich stattdessen ganz dicht neben dich und mich setzen, lächelnd den Arm um dich und mich legen und dann sagen: „Geliebtes Menschenkind, das ist heute und hier eine wirklich gute Gelegenheit, mit dir mal ganz offen über das reden, was dich umtreibt und bewegt. Du kannst mir alles anvertrauen: deine Gesundheit und deine Krankheit, deine Sorgen und deine Unbekümmertheit, deinen Kummer und deinen Optimismus, deinen Stress, deine Fragen ohne Antwort, deine Familie, deine Arbeit und deine Freizeit, deinen Erfolg und dein Scheitern, deine Triumphe und dein Versagen, dein Elend, deinen Schmerz und dein Glück. Denn darum geht es heute an diesem Heiligabend: Um dein Leben, so wie es ist und so wie es heil bleiben oder Heil werden kann und darf und soll.“
Ich bin nicht ganz sicher, ob er dieses alte Wort „heil“ benutzen würde. Vielleicht würde er sagen: „Es geht darum wie dein Leben gut werden, wie es gelingen kann, wie es so rund und zufrieden läuft, dass du dazu Ja sagen kannst.“ Sicher bin ich mir allerdings, dass er für jeden von uns, für dich und für mich, eine Ermutigung, einen Trost, eine Zusage mit dabei hätte. Und einen Segen, der unsere, deine und meine Lebenslage in ein neues Licht stellt. Und dieser Segen würde vielleicht folgenden Wortlaut haben:
„Möge die Tür zu deinem Herzen geöffnet werden
und heilende Kräfte dich durchströmen
wie der Glanz aus der Höhe.
Möge die weihnachtliche Freude in dir aufsteigen
und dich beflügeln zu einem leichteren Leben.
Möge ein Licht in deine verdunkelte Seele fallen
und aus deinen Augen widerstrahlen,
so dass andere sich mit dir freuen.
Möge ein Freund oder eine Freundin dir begegnen,
deren Weg sich mit deinem verbindet,
so dass ihr im Haus der Freundschaft geborgen seid.
Möge eine Hand dich finden
und dir die Zärtlichkeit geben,
nach der du dich sehnst.
Möge dein Fuß die Spuren finden,
die zum Leben führen, wie du es dir ersehnst.
Möge alle Tage der Segen Gottes dich erfüllen,
so dass du weißt:
Ich bin ein gesegneter Mensch.*
Tja, und wenn das also hier und heute und jetzt passieren würde, dann würde es richtig Weihnachten werden, denn das ist der Kern von Weihnachten: Der Moment, in dem wir spüren oder doch zumindest ahnen, dass wir gesehen und geliebt werden, so wie wir sind. Der Augenblick, in dem uns ein persönliches Wort aus der Ewigkeit erreicht und findet. Die Sekunde, in der uns die tiefe Zuversicht erfasst, dass alles gut werden kann. Wie dichtete es Paul Gerhardt noch: „Eins aber, hoff, ich, wirst du mir, mein Heiland nicht versagen, dass ich dich möge für und für, in, bei und an mir tragen. So lass mich doch dein Kripplein sein; Komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden.“ **
Amen.
*Segen von Helge Adolphsen, erschienen in: „Der Apfel am Weihnachtsbaum
Advents- und Weihnachtsbräuche“, erschienen in der Agentur des Rauhen Hauses
47 Seiten, 2010, ISBN 9783760019024
**Paul Gerhard, Ich steh an deiner Krippen hier (EG 37,9)
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